Süddeutsche Zeitung

Bremen:Schön reden statt schön spielen

Der im Sommer noch so ambitionierte Klub hat sich mit dem Ziel Klassenerhalt abgefunden - und sucht Verstärkung für die Offensive.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Wenn man das 0:3 von Werder Bremen gegen die TSG Hoffenheim noch aus dem Blickwinkel der Hinrunde betrachten würde, dann müsste der im Sommer selbsternannte Europacup-Anwärter nach der sechsten Heimniederlage mindestens verzweifeln. Weil Trainer Florian Kohfeldt seine Profis im Wintertrainingslager aber vor allem auf das neue Ziel "Klassenerhalt" und mögliche Rückschläge eingestellt hat, ist man bei Werder nach dem ersten Rückschlag tatsächlich relativ ruhig geblieben.

Trotz des deprimierenden Ergebnisses haben sich die Bremer Mühe gegeben, an den aufbauenden Momenten festzuhalten. Geschäftsführer Frank Baumann etwa stellte leicht gewagt fest, man sei über 90 Minuten "mindestens gleichwertig" gewesen. Vize-Kapitän Davy Klaassen, der in der 65. Minute mit einem Eigentor die Niederlage eingeleitet hatte, sagte: "Es gibt für mich keinen Grund zum Zweifeln oder zur Panik." Winterzugang Kevin Vogt hatte gegen sein altes Team aus Hoffenheim gar so viele aufmunternde Dinge entdeckt, als sei die Rettung Werders nahe. Gegen einen so ambitionierten Gegner durch mutiges Verteidigen und positive Körpersprache so in die Abschlusszone zu kommen, darauf könne man doch aufbauen, glaubt Vogt.

Das war am Ende doch ein bisschen zu viel des Schönredens. In diesem höchstens mittelmäßigen Bundesligaspiel hatten die Bremer zwar die erste Halbzeit ohne Gegentor überstanden - doch obwohl eine merkwürdige Statistik tatsächlich 16 Bremer Torschüsse gezählt hatte, waren es in Wirklichkeit nur eine Hand voll Versuche gewesen, mit denen Werder dem Tor der Gäste zumindest ein wenig nahe kam. Um die löchrige Abwehr (jetzt 44 Gegentore) auch mit Hilfe des routinierten Hoffenheimer Abwehrstrategen Vogt etwas sattelfester zu machen, sei "offensiv etwas verloren gegangen", urteilte Mittelfeldspieler Maximilian Eggestein. Der diesmal recht unglückliche Milot Rashica wieselte meist alleine in der Nähe des Hoffenheimer Strafraums herum, während der junge Sturmkollege Joshua Sargent seine Bundesliga-Tauglichkeit diesmal nicht nachweisen konnte. Und weil Kohfeldt selbstverständlich nicht versprechen konnte, dass sich das mit dem vorhandenen Kader alsbald ändert, kam vor Schließung des Transferfensters am Freitag noch einmal das Thema "neuer Offensivspieler" auf den Tisch.

"Wenn wir etwas Passendes finden - sportlich, menschlich und vor allem finanziell -, dann würden wir etwas machen", sagte Sportchef Frank Baumann. Er könne allerdings nicht einschätzen, ob und wann.

Vermutlich braucht man auch dem vorsichtigen Baumann nicht zu erklären, was dieser Tage sein Vorvorgänger Klaus Allofs erklärt hatte. Dass ein Abstieg nämlich deutlich teurer sei als ein neuer Spieler, der einen womöglich vor dem Gang in die zweite Liga bewahrt. Dass die Bremer sich offensiv derzeit schwertun und sich aktuell "nicht vier Hundertprozentige erspielen" (Vogt), hat neben etlichen verletzten Profis wie Mittelstürmer Niclas Füllkrug aber auch damit zu tun, dass der Trainer Kohfeldt mit der Einschätzung einiger Spieler offenbar etwas danebenlag.

Der Japaner Yuya Osako, der so etwas wie der Nachfolger von Max Kruse werden sollte, hat sich auch gegen Hoffenheim nach seiner Einwechslung wenig hervorgetan. Und der U 21-Nationalspieler Johannes Eggestein, der in dieser Saison den oft zitierten nächsten Schritt machen sollte, treffe in vielen Spielsituationen noch die falsche Entscheidung, sagte Kohfeldt. Auch gegen Hoffenheim wurde nicht etwa Johannes Eggestein eingewechselt - sondern neben Osako noch der zwei Jahre lang verletzte Fin Bartels sowie der inzwischen 41-jährige Claudio Pizarro. Während der Trainer über weitere unglückliche Gegentore verzweifelte - das 0:2 per Hacke durch Christoph Baumgartner nach unglücklicher Rettungsaktion von Bittencourt und das 0:3 durch Sargis Adamyan -, ärgerte er sich über seinen Abwehrspieler Marco Friedl besonders. Einerseits, weil Friedl beim 0:3 zu spät kam, andererseits weil er wegen Meckerns die fünfte gelbe Karte sah und am kommenden Samstag beim FC Augsburg passen muss. "Jetzt fehlen uns alle Außenverteidiger", klagte Kohfeldt.

Ein bisschen Hoffnung verleiht ihm dafür die Rückkehr von Bartels. Als der ins Spiel kam, habe man gesehen, "was er der Offensive geben kann", sagte Kohfeldt. Wann der lange verletzte Offensivspieler aber wieder in der Lage sein wird, ein komplettes Spiel zu absolvieren, darauf wollte sich der Coach nicht festlegen.

Einstweilen gelten nun ausschließlich die Vokabeln des Abstiegskampfes. In Augsburg, sagt Sportchef Baumann, "müssen wir alles aus uns rausholen, um drei Punkte zu holen". Und Kohfeldt verriet, er würde bei allem, "was in dieser Saison gegen uns läuft, den Klassenerhalt richtig feiern". Denn das, was er mit seinem Verein gerade erlebe, sei "nicht vergnügungssteuerpflichtig".

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SZ vom 28.01.2020
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