Süddeutsche Zeitung

Rettung für Werder:Abstiegskampf muss man können

Werder Bremen erreicht spektakulär die Relegation und darf hoffen. Dass es für den Europapokal-Aspiranten soweit kommen konnte, hat in der Bundesliga mittlerweile System.

Kommentar von Martin Schneider

Das war sie also, die 57. Bundesliga-Saison, und wenn man ein Fazit ziehen will, dann war sie sowohl komplett anders als alle bisherigen Spielrunden als auch erschreckend gleich. Klingt widersprüchlich, aber ihre Einzigartigkeit zieht diese Spielrunde natürlich daraus, dass sie aufgrund einer Pandemie wochenlang unterbrochen und dann doch trotz vieler Risiken zu Ende gespielt werden konnte. Daran erinnerte DFL-Chef Christian Seifert bei der Übergabe der Schale an den FC Bayern völlig zurecht. Dass man sich nun eine sportlich zustande gekommene Tabelle angucken kann, ist keine Selbstverständlichkeit.

Und damit zu dieser Tabelle, die der FC Bayern nun in der Endabrechnung mit 13 Punkten Vorsprung anführt. Guckt man sie sich an, so von Platz eins bis 18, fällt einem auf, das wenig auffällt. Es gab kaum Überraschungen. Eine positive sind die Mönchengladbacher, die es geschafft haben, die hochbegabte Leverkusener Mannschaft aus den Champions-League-Rängen zu werfen. Eine negative ist der FC Schalke 04, der in der Rückrunde einfach aufgehört hat, Fußball zu spielen (Rückrundentabelle Platz 17) und der nun eine unangenehme Debatte über den Aufsichtsratsvorsitzenden (Clemens Tönnies) führen darf. Das war es aber auch schon. Ansonsten ist fast jeder Verein ungefähr da gelandet, wo er laut Erwartungshaltung und Finanzkraft hingehört, auch wenn Hertha BSC diesen Platz nach einem Schleudergang eingenommen hat.

Wer jetzt denkt: Moment mal! Werder Bremen wollte doch in den Europapokal und hat sich gerade so nochmal in die Relegation gerettet, der hat natürlich recht. Aber das ist eigentlich keine Überraschung. Denn wie die Meisterschaft folgt auch der Abstiegskampf seit ein paar Spielzeiten einem gewissen Muster. Da wäre einmal Platz 18. Platz 18 ist reserviert für den krassen Außenseiter, den jeder schon vor der Saison auf Platz 18 tippt. In den vergangenen Jahren haben diesen Platz nacheinander Fürth, Braunschweig, Paderborn, Nürnberg und wieder Paderborn eingenommen. Nur der SV Darmstadt und der FC Ingolstadt haben es für eine Saison geschafft, den Fluch zu brechen - um dann im Jahr darauf gemeinsam abzusteigen.

Werder hat die Abwärtsspirale gerade noch so gestoppt

Die Plätze 17 und 16 werden aber nie von den beiden auf dem sogenannten Papier nächstschwächsten Teams belegt - sondern mittlerweile landen in erschreckender Regelmäßigkeit dort Klubs, die sich eher im Kampf um Europa sahen. In den vergangenen Jahren waren das Hoffenheim (Relegation), der HSV (zweimal Relegation, einmal Abstieg), der VfL Wolfsburg (zweimal Relegation), der VfB Stuttgart (einmal direkter Abstieg, einmal Abstieg nach Relegation) und nun Werder Bremen, die vor der Saison gesagt haben, sie wollen gern international spielen.

Wie kann man das erklären? Nun, Abstiegskampf muss man können, es ist eine dieser ewigen Weisheiten der Bundesliga. Mainz und Augsburg wissen das zum Beispiel. Selbst wenn sie mal europäisch unterwegs sind, beginnt die nächste Saison immer mit dem Ziel, irgendwie an die 40 Punkte ranzukommen.

Mannschaften, die unerwartet in den Überlebenskampf rutschen, scheinen damit - Achtung, böses Wort, vor allem in Dortmund - mental massive Probleme zu haben. Der Schock, plötzlich auf Augenhöhe mit den Augsburgs dieses Landes zu agieren, eliminiert jeden Qualitäts-Vorteil. Es ist ein ganz fieser Teufelskreis: Man sieht sich spielerisch im Vorteil, verliert aber trotzdem ein Spiel nach dem anderen, das Selbstvertrauen geht runter, man ändert die Taktik in Beißen und Kämpfen, das kann man aber nicht so gut wie die Beißer und Kämpfer - und so weiter. Selbst Fußballer der gehobenen Klasse nützen nichts, um aus diesem von den Verantwortlichen mehrfach beschriebenen Abwärtsstrudel herauszukommen.

Roberto Firmino und Divock Origi standen zum Beispiel mit Hoffenheim und Wolfsburg in der Relegation, im vergangenen Jahr gewannen sie mit Liverpool die Champions League, Firmino als Stammspieler, Origi als mehrfacher Torschütze. Oder Hakan Calhanoglu (HSV 2014), Filip Kostic (Hamburg und Stuttgart), Mario Gomez (Wolfsburg und Stuttgart), Benjamin Pavard (Abstieg mit Stuttgart als Weltmeister) oder jetzt Davy Klaassen, Maximillian Eggestein oder Milot Rashica - alles Spieler, die natürlich nur stellvertretend dafür stehen, dass ihre Teams eigentlich "zu gut" sind, um abzusteigen.

Werder hat nun wie damals Wolfsburg und Hamburg die Abwärtsspirale gerade noch so gestoppt und darf hoffen. Gerettet sind sie natürlich noch lange nicht, aber es hat auch System, dass der Erstligist in der Relegation einen massiven Vorteil hat. Nur dreimal stieg der Dritte der zweiten Liga auf - achtmal setzte sich der Bundesligist durch. Und alle anderen Klubs können daraus lernen, dass der Weg nach unten kürzer ist als der nach oben. Und wenn man sich die kommende Spielzeit so anschaut, dann sollte der FC Schalke 04 vielleicht nicht von Europa träumen.

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