Bremen:Kühl, nass, sonnig

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Auf Augen- und Zehenhöhe: Hendrik Weydandt, Torschütze von Hannovers Führungstreffer, im Zweikampf mit Johannes (l.) und Maximilian Eggestein (r.). (Foto: imago/Team 2)

Werder muss gegen Hannover feststellen, dass es zur Europapokal-Reife noch ein weiter Weg ist.

Von Peter Burghardt, Bremen

Die Älteren werden sich erinnern, wie Werder einst Europa verließ. Der Abschied ereignete sich am 7. Dezember 2010, der Trainer hieß Thomas Schaaf. Seine Bremer gewannen im Weserstadion 3:0 gegen eine unmotivierte Version von Titelverteidiger Inter Mailand, blieben aber trotzdem Gruppenletzter und flogen aus der Champions League. Nach 75 Minuten eingewechselt wurde Claudio Pizarro, Werder hatte ihn im Rahmen seiner zahlreichen Wechselmanöver im Jahr zuvor vom FC Chelsea zurückgeholt. Es war sein zweites Engagement in Bremen, kurz vor Schluss schoss er das dritte Tor.

Seitdem war der Europacupsieger von 1992 und Uefa-Cup-Finalist von 2009 dem Abstieg aus der Bundesliga zeitweise näher als einem europäischen Wettbewerb, mal mit und mal ohne Pizarro. Am Ende dieser Saison soll es nun endlich wieder so weit sein. In die Europa League wollen sie mit Trainer Florian Kohfeldt und allerlei neuen Leuten wie Davy Klaassen, Yuya Osako, Martin Harnik - und eben Claudio Pizarro, er wird Anfang Oktober 40.

Claudio Pizarro deutet an, dass seine vierte Verpflichtung durch Werder kein PR-Spaß ist

Beim 1:1 am Samstagnachmittag gegen Hannover 96, es stand noch 0:0, eilte der Peruaner nach 67 Minuten ins Spiel. Dies ist seine vierte Ära bei Werder in 19 Jahren, kürzlich hatte ihn sein Herzensklub vom Absteiger Köln verpflichtet und vor dem Ruhestand bewahrt. Da erhielt dieser ansonsten noch nicht so europapokalreife Auftritt am Wochenende zumindest eine schöne Geschichte. Es ist die Geschichte zweier Stürmer, einem recht unbekannten und einem längst berühmten.

Bevor sie kamen, ging nach ereignisarmen 52 Minuten erst mal ein anderer Angreifer: Max Kruse humpelte vom Platz, der Oberschenkel - jener Kruse, der Torjäger und Kapitän, der beim 4:0-Sieg im bis dato letzten Heimspiel gegen Hannover dreimal getroffen hatte und mit alles in allem spärlichen sechs Toren bester Bremer Schütze 2017/18 gewesen war. Kommende Woche in Frankfurt könnte er wieder dabei sein, aber wie sollte es jetzt torlos ohne ihn weitergehen? Trainer Kohfeldt hatte, wie die Mehrheit der 42 000 Zuschauer, schon mit Kruse "nie das Gefühl, jetzt passiert gleich was, jetzt fällt's gleich", das Tor. "Es gab nicht so wirklich Phasen, wo's emotional wurde für das Publikum". Das missfiel ihm und dem Publikum, dem Werder zuletzt tagelang eine baldige Rückkehr nach Europa in Aussicht gestellt hatte, ehe es mit Pizarro doch noch emotional wurde.

Die Bremer Euphorie schlug aber erst mal so plötzlich um wie das Wetter nach diesem Jahrhundertsommer, es wurde kühl, nass und umständlich. Bis wieder die Sonne schien und diese beiden Angreifer das Feld betraten. Die Freunde des SV Werder erhoben sich bereits und johlten, als Claudio Pizarro an der Reservebank entlang trabte, er trägt inzwischen die Rückennummer 4. Es ist wahrscheinlich kein gutes Zeichen für ein Match, wenn der bisherige Höhepunkt eine bevorstehende Einwechslung ist - aber hey, es ging um Claudio Miguel Pizarro Bosio aus Lima, Jahrgang 1978, den Bremer Rekordschützen.

Das Bremer Glückskind Pizarro lief also auf den Rasen und suchte sich gleich mehr Torchancen als sämtliche Mitspieler zuvor, was damit zu tun hatte, dass Werder gerade das Flügelspiel wiederentdeckte. Er rannte und schoss und köpfelte, womit sich mindestens fürs Erste die Frage erübrigt, ob seine erneute Heimholung nur ein PR-Gag war. "Er hat uns noch mal gepusht", berichtet der später ausgewechselte Philipp Bargfrede. Allerdings hatte Hannovers cleverer Trainer André Breitenreiter dann die ausgezeichnete Idee, Hendrik Weydandt in der 75. Minute zu seinem ersten Bundesligaeinsatz zu verhelfen. Selbst der eine oder andere Experte musste nachschlagen: Aha, Weydandt ist 23, misst 1,95 Meter und war zuletzt für den 1. FC Germania Egestorf/Langreder in der Regionalliga Nord am Ball, zuvor für den TSV Groß Munzel in der Kreisliga. Nach 75 Sekunden trat der Novize einen Pass von Ihlas Bebou links ins Netz, 0:1. Das sei "natürlich eine Wahnsinnsgeschichte", fand auch Mentor Breitenreiter, zur Belohnung versprach Manager Horst Heldt dem Debütanten einen Profivertrag.

"Der macht schon noch seine Tore", sagt Trainer Kohfeldt über seinen Stürmer Pizarro

Die Führung und der gut organisierte Auftritt lassen vermuten, dass Hannover 96 mit Zugängen wie dem Japaner Takuma Asano, dem ordnenden Brasilianer Walace vom Absteiger HSV oder eben Weydandt gar nicht so übel besetzt ist. Obwohl sich der Überschwang - anders als in Bremen - zuletzt in Grenzen hielt.

Werders Tor fiel schließlich doch noch. Nicht durch Pizarro, der Augustinssons Flanke haarscharf verfehlte, sondern durch Theodor Gebre Selassie, der zum 1:1 einnickte. Richtig glücklich war bei Werder niemand mit dem Punkt, aber immerhin ist Pizarro ja wieder da. "Er spricht für sich", sagte Gebre Selassie. "Am lautesten war's, als er gegrätscht hat", befand Kohfeld und glaubte: "Der macht schon noch seine Tore." Das mit Europa wird man dann sehen.

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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