Süddeutsche Zeitung

Bremen:In einem Zustand der Blutarmut

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Selbst zurückhaltende Leipziger sind noch zu stark für Werder. Trainer Kohfeldt erhält zwar Rückendeckung, aber das Team braucht Punkte.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Als das Licht am Ende des Tunnels für die Bremer längst kleiner geworden war, als RB Leipzig also gegen den SV Werder zur Halbzeit schon 2:0 führte, jagte der Stadion-DJ eine neueres Lied von Heinz-Rudolf Kunze durch die Boxen. "Die Zeit ist reif", heißt es, und unter anderem beinhaltet es ein paar Zeilen, die auf den Werder-Jahrgang 2019/20 passen: "Keine Medizin, kein Patentrezept helfen/wo die Angst regiert..."

Seit Wochen versuchen die Werder-Verantwortlichen zwar, diese Angst klein zu reden. Doch das verhindert nicht, dass sie dann doch auf dem Platz mit Händen zu greifen zu sein scheint. Am Samstag war Werder bestenfalls der Inbegriff einer großen Paradoxie. Bei eigenem Ballbesitz wirkten die Bremer wie eine Mannschaft, die gewillt war, positiv zu denken, nach vorne zu spielen, den Ball ins Zentrum des eigenen Tuns zu stellen. Aber nur am Anfang. Denn sobald die Leipziger die bloße Drohung ausstießen, anzugreifen, war Werder als ein Team entlarvt, das völlig zu Recht am Tabellenende steht. Als eine Mannschaft ohne jede defensive Stabilität.

Leipzig fackelte "kein extremes Feuerwerk" ab und zog auch kein Spiel auf, dass "man sich im Nachgang noch dreimal anschauen will", sagte Trainer Julian Nagelsman. Im Gegenteil. Sie bliesen mit Schalldämpfer zum Angriff, und doch wirkte Werder dann jedes Mal ängstlicher als Pinocchio beim Osterfeuer. Und weil das 3:0 schon in der 46. Minute feststand, konnte es sich Leipzig erlauben, mit Blick auf die Champions-League-Visite bei Tottenham Hotspur ein paar Sachen auszuprobieren, wie Nagelsmann sagte. Trotz des bedrückenden Auftritts seines Teams plädierte Werder-Manager Frank Baumann dafür, "die Kirche im Dorf zu lassen". Denn man habe bei einem Champions-League-Aspiranten und Titelkandidaten verloren, der in der Vorwoche den FC Bayern vor Probleme gestellt hatte.

Das stimmte faktisch, trug aber auch Züge der Schönrednerei. Und wer weiß, ob Nagelsmann seinem Freund und Kollegen Florian Kohfeldt einen Gefallen tat, als er Werder attestierte, bis zum Schluss der Partie einen Anschlusstreffer gesucht zu haben. Näher an der Wahrheit war Leipzigs Stürmer Patrick Schick, der sich nach der Partie an keine Werder-Chance erinnern wollte. Es gab sie auch nicht. Stattdessen gab es nur Gegentore nach bewährtem Muster. Denn die beiden Treffer, mit denen Leipzig in Führung ging, waren die Standard-Gegentore Nummer 16 und 17 der Saison. Das 1:0 durch Lukas Klostermann (18.) fiel nach einem Freistoß, den Schick per Kopf auflegte; Schick selbst traf dann nach einem Eckball von Dani Olmo. Das 3:0 der Leipziger durch Nordi Mukiele folgte keine 30 Sekunden, nachdem sich die Bremer in der Halbzeitpause vorgenommen hatten, jetzt aber mal so richtig aufzupassen.

Ansonsten wirkte Werder komplett frei von roten Blutkörperchen, in einem Zustand der Anämie, der Blutarmut, der nicht so einfach zu beheben sein wird. Auch Trainer Kohfeldt wirkte blass, als er nach der Partie berichtete, die Mannschaft sei "natürlich enttäuscht", aber "nicht ratlos und schon mal gar nicht aufgebend". Er selbst erhielt auch am Samstag wieder die Versicherung durch Baumann, dass sein Posten nicht gefährdet sei. Kohfeldt zeige der Mannschaft weiter Handlungsoptionen auf, "deswegen haben wir nach wie vor die Überzeugung, dass Florian der Richtige ist". Auch aus der Mannschaft erhält er aufrichtige Rückendeckung, man widersprach dort der Einschätzung, das dreitägige Kurztrainingslager in Leipzig sei nutzlos gewesen. "Wenn man sich das Spiel anschaut, denkt man, das hat nichts gebracht", sagte Abwehrspieler Milos Veljkovic, "aber das hat es. Wir haben uns vorgenommen, stark zu bleiben und Charakter zu zeigen." Selbst wenn man in die Diskussion eintreten wollte, ob an das am Samstag wirklich erkennbar war - es nützt ja nichts, Werder braucht schlicht und ergreifend Punkte. Werder hat acht der letzten neun Spiele verloren, in diesem Kalenderjahr wartet die Mannschaft noch auf einen eigenen Treffer: Zum Sieg gegen Fortuna Düsseldorf kam sie ja nur durch ein Eigentor des Gegners. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir Ergebnisse liefern, und wir sind überzeugt, dass wir das mit Florian erreichen", sagte Manager Baumann, "jedes Spiel ist eine neue Hoffnung."

Ach ja: Falls sich ein Bremer fragen sollte, wofür die Zeit nun reif ist, laut Heinz-Rudolf Kunze, dem sei auch dies gesagt: "Für ein riesiges Erwachen."

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Quelle:
SZ vom 17.02.2020
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