Bremen in der Bundesliga:Werders Kartenhaus stürzt zusammen

Bremen in der Bundesliga: Viktor Skripnik: Unangenehme Busfahrt zurück nach Bremen

Viktor Skripnik: Unangenehme Busfahrt zurück nach Bremen

(Foto: AFP)

Noch im Bus auf der Heimreise beschließt die Werder-Führung die Trennung von Trainer Skripnik. Auch Interimstrainer Alexander Nouri wird es schwer haben.

Von Ulrich Hartmann

Der Pfad der Erleuchtung war 324 Kilometer lang. Als Werder Bremens Sportdirektor Frank Baumann am Samstagabend am Mönchengladbacher Borussia-Park zur Heimfahrt in den Mannschaftsbus stieg, hatte er kurz zuvor noch mit dünner Stimme gesagt: "Wir brauchen Geduld." Doch auf der vierstündigen Fahrt Richtung Nordost ging die Geduld offenbar zu Ende.

Trainer Viktor Skripnik hatte die Heimreise nach einer 1:4-Demütigung noch mit einer Gnadenfrist angetreten, doch als der Bus das Bremer Weserstadion erreichte, verabschiedeten er und seine Assistenten Florian Kohfeldt und Torsten Frings sich bereits von der Mannschaft. Knapp zwei Jahre und 62 Ligaspiele, nachdem Skripnik sein Amt mit einem 2:1 in Mainz antrat, übergibt er den Kader nun vor einem Heimspiel gegen Mainz in vergleichbar üblem Zustand an den U 23-Trainer Alexander Nouri.

Der 37-Jährige aus Buxtehude wird an diesem Montag erstmals das Training leiten; er führt Werder am Mittwoch gegen die Mainz sowie am Samstag gegen Wolfsburg in zwei extrem wichtige Heimspiele. Nouri wird in Bremen explizit als "Interimstrainer" tituliert, dennoch ist der Klub bemüht, seine Qualifikation als Krisenmanager herauszustellen. "Er hat als Trainer des VfB Oldenburg sowie als Trainer der U 23 unter Beweis gestellt, dass er auch unter schwierigen Bedingungen erfolgreich arbeiten kann", wurde Baumann am Sonntag in einer Pressemitteilung zitiert. Das klang ähnlich bemüht wie die Beteuerungen vom Vorabend, man dürfe Skripnik nach gerade mal drei Ligaspielen kein negatives Zwischenzeugnis ausstellen.

Nostalgiker sehnen sich nach Rehhagel oder Schaaf

Während der Mannschaftsbus zwischen 23 und 3 Uhr in der Nacht zum Sonntag gen Bremen rollte, waren Sportdirektor Baumann, Geschäftsführer Klaus Filbry und Aufsichtsratsboss Marco Bode offenbar zur Erkenntnis gelangt, dass die Leistung in Gladbach einer fußballerischen Bankrotterklärung glich - und dass der Geduld für eine mögliche Selbstheilung die Notoperation in Form des Trainerwechsels vorzuziehen sei.

Schlimmer noch als das 1:4-Resultat war Werders Vorstellung in den ersten 21 Minuten gewesen, als das Team drei Gegentore zugelassen hatte. Bei der Umsetzung von Skripniks riskantem Forechecking war offenbar missverstanden worden, dass dazu auch eine hohe Laufbereitschaft gehört. Die erste Halbzeit war der Tiefpunkt eines missratenen Saisonauftakts mit vier Niederlagen in Lotte (Pokal, 1:2) und München (0:6), gegen Augsburg (1:2) und in Gladbach (1:4). Skripnik übergibt das Team nach dem schlechtesten Saisonstart der Klubgeschichte mit null Punkten und einem bereits jetzt verheerenden Torverhältnis von 2:12. Am Samstag ist das Kartenhaus zusammengestürzt, das bei Werder mit zittrigen Händen aufgebaut worden war. Den Sportchef Rouven Schröder hat man im Sommer nach Mainz ziehen lassen, den Manager Thomas Eichin hat man wohl auch deshalb entlassen, weil er den Trainer Skripnik loswerden und offenbar Jos Luhukay verpflichten wollte. Jetzt hat Werder in Aufsichtsrat Bode und Sportchef Baumann zwar zwei langjährig verdiente Bremer in verantwortlichen Positionen, aber man hat ohne die Verletzten Claudio Pizarro und Max Kruse keine richtig wettbewerbsfähige Mannschaft, man hat keinen Trainer und für den Moment auch keine klare Vorstellung, wie es weitergehen soll.

"Wir haben nicht viel Zeit", sagte Baumann am Sonntag, "wir hoffen, dass Alexander Nouri kurzfristig Impulse setzen kann, aber er ist eine Übergangslösung, und wir sondieren den Markt." Der Österreicher Andreas Herzog, derzeit Assistent von Jürgen Klinsmann beim Team der USA, der in Stuttgart zurückgetretene Jos Luhukay, der in Stuttgart gehandelte Markus Gisdol sowie der auf Schalke beurlaubte André Breitenreiter gelten als Kandidaten. Mit Letzterem soll Baumann bereits in Kontakt stehen. Die einstigen Meistertrainer Thomas Schaaf und Otto Rehhagel werden von Zynikern als Pointe ins Spiel gebracht.

Wichtige Spieler fehlen verletzt

Dabei spielen vereinshistorische Verdienste in Bremen wirklich eine übergroße Rolle. Man spricht dort gerne liebevoll von der "Werder-Familie" - für Skeptiker ist die Vokabel eher Ausdruck einer bedrohlichen Kumpanei. Vor der Saison zum Beispiel hatte der Klub den Vertrag mit Skripnik ohne Not bis 2018 verlängert, nur um jetzt nach vier Pflichtspielen einzugestehen, dass er doch nicht mehr der Richtige ist.

Ohne die fortgegangenen Abwehrspieler Papy Djilobodji (Sunderland) und Jannik Vestergaard (Mönchengladbach) wirkt die Defensive überfordert, Pech haben die Bremer außerdem, weil neben Kruse und Pizarro auch noch Santiago Garcia, Luca Caldirola, Philipp Bargfrede und Fin Bartels verletzt ausfallen. Das Gefälle im Kader erscheint dennoch als viel zu groß. "Wir haben alle Fehler gemacht", sagte Baumann am Sonntag, "aber mir ist schon wichtig zu betonen, dass in allererster Linie die Spieler gefordert sind." Mit dem derzeitigen personellen Notstand wird es auch Alexander Nouri nicht leicht haben. Die Mannschaft wirkte als Gast in Gladbach hochgradig überfordert - und nicht nur so, als brauchen sie bloß ein paar neue Impulse von außen. Nouri hat die Bremer U 23 in die dritte Liga geführt und hielt sie knapp in der Liga. Seine Saison im Abstiegskampf ist nun die Referenz für den Interimsjob im Bundesliga-Team. Am Samstag hat Nouri noch mit Bremens zweiter Mannschaft in der dritten Liga die zweite Mannschaft von Mainz 05 besiegt. Am Mittwoch geht's nun gegen die Erstvertretung.

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