Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Bremen bleibt

Ein 2:2 nach einer dramatischen Nachspielzeit rettet Werder in der Relegation vor dem ersten Bundesliga-Abstieg seit 1980. Heidenheim hadert mit einem frühen Eigentor.

Von Frank Hellmann, Heidenheim

Die aufmunternde Botschaft hatten Mitarbeiter und Fans des SV Werder gefertigt: "Wir glauben dran. Füreinander Werder" stand in Versalien auf jenen Unterstützer-Plakaten, die einen Platz in der Heidenheimer Arena gefunden hatten. Auch der Schulterschluss hat Bremen offenbar geholfen, an der Brenz seinen Status als Bundesligist zu bewahren: Mit einem schwer erkämpften 2:2 (1:0) im Relegationsrückspiel beim 1. FC Heidenheim haben die Grün-Weißen - nach torlosem Hinspiel - den Absturz in Liga zwei verhindert.

Dabei half ein ehemaliger Bremer unter dem Flutlicht auf dem Schlossberg entscheidend mit: Norman Theuerkauf, zwischen 2003 und 2007 für Bremen in der Jugend und zweiten Mannschaft am Ball, produzierte ein verhängnisvolles Eigentor (3.), ehe der Heidenheimer Torjäger Tim Kleindienst mit seinem Ausgleichstor noch eine aufregende Schlussphase einleitete (85.). In der Nachspielzeit wurde es noch einmal turbulent: Erst brachte Ludwig Augustinsson die Bremer in Führung (90.+4 - wieder assistierte Theuerkauf), dann egalisierte Kleindienst per Foulelfmeter (90.+6). Danach war aber auch sofort Schluss.

"Wenn man sieht, was wir für eine Saison hatten, wie schwer es von Anfang an war, dann ist das jetzt eine ganz, ganz große Erleichterung", sagte Werder-Kapitän Davy Klaassen bei Amazon Prime. Sein Coach Florian Kohfeldt war die Spannung noch anzumerken, als er bei DAZN sagte: "Ich bin einfach nur froh und glücklich, dass wir es geschafft haben. Wir waren so oft tot. Scheiß Saison, gutes Ende." Heidenheims Trainer Frank Schmidt bilanzierte dagegen: "Wir haben eine große Chance gehabt, wir sind mega enttäuscht."

Für den Gastgeber auf der Ostalb könnte das größte Spiel der Vereinsgeschichte noch ein Nachspiel haben: Dass Mitte der zweiten Halbzeit mehrere Dutzend Personen offenbar über die Eventräume auf die Tribüne gelangten, hat das Hygiene- und Sicherheitskonzept nicht vorgesehen. Dabei hatte die Heidenheimer Entourage mit Sirenen, Pfannen und anderen Schlaginstrumenten wirklich alles gegeben, um das fehlende Publikum wettzumachen.

Für die von Beginn an griffigen Gäste hatte die Partie optimal begonnen: Keine drei Minuten waren gespielt, da war Theuerkauf bei einem Klärungsversuch von der Strafraumgrenze so frei, die Bremer Führung zu erzielen. Den sagenhaften Linksschuss in den Winkel hätte kein Werder-Stürmer besser ansetzen können. Trotzig rief Patrick Mainka seinen Heidenheimer Mitspielern zu: "Scheißegal! Weiter geht's!". Doch nach neun Minuten hatten die Hanseaten schon mehr Chancen als im gesamten Hinspiel: Milot Rashica prüfte Torwart Kevin Müller mit einem Fernschuss (8.), dann machte sich der Keeper bei einem Kopfball von Davy Klaassen breit (9.).

Trainer Florian Kohfeldt hatte über das Alles-oder-Nichts-Spiel in der Provinz gesagt: "Das sind die Tage, an denen Geschichte geschrieben wird, und davon träumt man doch als Kind." Die Bremer gaben allerdings Mitte der ersten Spielzeit zunehmend die Spielkontrolle ab, ohne dass die mit ihrer Klublegende Marc Schnatterer angetretenen Hausherren daraus Kapital schlagen konnten. Die Bremer Viererkette, vor der Kevin Vogt den Aufräumer gab, geriet auch ohne ihren Chef Niklas Moisander nicht in Verlegenheit. Die von Langzeittrainer Frank Schmidt angeleiteten Heidenheimer wirkten diesmal planlos, ratlos bei den Offensivbemühungen.

Vor der zweiten Halbzeit dröhnte der "AC/DC"-Klassiker "Hells Bells" über den Schlossberg - dazu kamen David Otto und Stefan Schimmer neu ins Spiel. Schimmer prüfte prompt den bis dahin unterbeschäftigten Werder-Torwart Jiri Pavlenka (46.). Doch die Bremer merkten, dass sie in die Bredouille geraten würden, wenn sie sich nur noch in Passivität üben würden. Milos Veljkovic kam nicht durch, Ludwig Augustinsson (58.) und Josh Sargent (59.) scheiterten bei gut herausgespielten Werder-Möglichkeiten am starken Tormann Müller. Was sich später rächen sollte: Als Tobias Mohr den Ball an die Latte knallte, sorgte Kleindienst per Abstauber noch für späte Heidenheimer Hoffnung. Doch mit dem nach Vorlage von Fin Bartels erzielten 2:1 von Augustinsson warfen die Bremer quasi jenen Anker zum Klassenerhalt, den 2014 und 2015 der Hamburger SV genutzt hatte. Der abermalige Ausgleich von Kleindienst tat niemand mehr weh.

Bei Werder sind alle gut beraten, ihre Versäumnisse nach einer "schlechten Saison" (Kohfeldt) nicht unter den Teppich zu kehren. Dass die Delegation noch in derselben Nacht aufbrach, um über den Flughafen Nordholz/Cuxhaven in die Heimat zurückzukehren, sprach Bände: Heidenheim soll ein einmaliger Abstecher gewesen sein. Die nächsten Tage steht die Aufarbeitung an, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Personelle Konsequenzen in den Gremien sind nicht zu erwarten: Klaus Filbry als Vorsitzender der Geschäftsführung und Marco Bode als Aufsichtsratschef hatten zuvor schon ihre Bereitschaft zum Verbleib bekundet. Nun, da der Kelch des Abstiegs am Klub noch einmal vorübergegangen ist, wird sich daran erst recht nichts ändern. Man steht bei Werder Bremen zueinander. Nicht nur am Zaun in Heidenheim.

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SZ vom 07.07.2020/schm
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