Breitensport:Ein Schaden von fast einer halben Milliarde Euro?

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Kommen die Absperrbänder bald weg? Die Verbände drängen auf die Rückkehr des Sports in Bayern. (Foto: Sammy Minkoff /imago)

Vereine und Verbände in Bayern klagen über den Mitgliederschwund und zu wenig Gehör bei der Politik. Der BLSV und der neu gegründete Verband Team Sport-Bayern wahren in der Not nun einen brüchigen Burgfrieden.

Von Thomas Gröbner

Sie kamen nicht überraschend, alarmierend waren sie aber doch: Die Zahlen, die der Bayerische Landes-Sportverband (BLSV) vorgelegt hat, fallen dramatisch aus. Fast hunderttausend Mitglieder hat der organisierte Sport verloren, tiefe Spuren hat die Corona-Pandemie hinterlassen in der bayerischen Sportlandschaft. Besonders bei Kindern und Jugendlichen, von denen fast jedes 20. Mitglied aus Vereinen ausgetreten ist. "Es ist keine verlorene Generation. Aber es ist ein Jahrgang, um den wir sehr hart kämpfen werden müssen", sagt BLSV-Präsident Jörg Ammon.

Der Mitgliederschwund trifft vor allem den Sport in der Nische hart, ganz besonders die Kampfsportarten. Ju-Jutsu hat zum Beispiel fast ein Viertel seiner Mitglieder verloren, die Ringer melden fünf Prozent Verlust. Der Fußball scheint den Lockdown gut wegstecken zu können, nur 3860 seiner 1,6 Millionen Mitglieder haben sich abgemeldet, der Tennis-Verband hat seine Zahlen sogar erhöhen können.

"Wenn man den Verein als Dienstleister begreift, dann ist der Austritt naheliegender," glaubt Alfons Hölzl, Präsident des bayerischen Turnverbandes und des deutschen Turner-Bundes, "anders ist es, wenn der Verein auch eine soziale Heimat ist." Doch so einfach ist es nicht, der Mitgliederschwund tritt überall auf, nicht nur in Städten. Während die Zahlen in Nürnberg um fast vier Prozent sinken, sind sie in Augsburg sogar gestiegen, auch in Freyung-Grafenau, Garmisch-Partenkirchen und im Berchtesgadener Land gab es Zuwächse. Größter Verlierer ist nicht die Stadt München - sondern der Landkreis Starnberg.

Wer wissen will, wie es dem bayerischen Sport geht in der Corona-Krise, der muss inzwischen gleich zwei Männer anrufen: Ammon und Hölzl, der neuerdings auch Vorsitzender des neu gegründeten Verbandes Team Sport-Bayern ist. Nur übereinander wollen sie nicht reden.

Alfons Hölzl, 52, ist Vorsitzender von Team Sport-Bayern sowie Präsident des bayerischen Turnverbandes und des deutschen Turner-Bundes. "Der Sport ist Teil der Lösung, nicht Teil des Problems", sagt der Jurist aus Regensburg. (Foto: Rainer Jensen/dpa)

Sie haben einen brüchigen Burgfrieden geschlossen, nachdem sich 27 der 54 bayerischen Sportfachverbände des BLSV Ende November zu einem eigenen Interessensverband zusammengeschlossen haben. Team Sport-Bayern ist seitdem eine mächtige Stimme, die fast vier Millionen Mitglieder vertritt, darunter auch die des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV). Die Sportfachverbände bleiben zwar unter dem Dach des BLSV, wollen aber ihre Interessen selbst vertreten. "Wir sind eine Selbsthilfe-Aktion", sagt Hölzl. Der BLSV will die Konkurrenz im eigenen Haus gar nicht mehr kommentieren, auch die Gegenseite hält sich zurück. Nur so viel mag Hölzl sagen: "Wir verfolgen den Ansatz des Miteinanders, und nicht diese Über- und Unterordnungsverhältnisse."

Vor Kurzem waren die kritischen Stimmen noch lauter gewesen. Man wolle nicht mehr "Bittsteller" sein, "in einem System, das sich seit Jahren nur mit seiner eigenen Struktur und seiner zukünftigen Ausrichtung beschäftigt", schimpfte etwa Florian Geiger, Vizepräsident des Deutschen Ringer-Bundes.

Dabei ringen Ammon und Hölzl um das gleich Ziel: den Sport wieder zurückzubringen ins Spiel. "Wir sehen uns als natürlichen Ansprechpartner, wenn es um politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen geht," sagt Hölzl. Das dürfte aber auch der BLSV von sich behaupten. Und der hat dazu mit der Technischen Universität München ein Konzept vorgelegt, wie das gelingen soll.

Der Kernpunkt: Diesmal sollen nicht die Individualsportarten am Ende des Lockdowns als erstes zurückkehren, sondern auch der Mannschaftssport sofort wieder einsteigen. Die Sprachregelung lautet nun: Fast alles kann als kontaktloser Sport durchgehen, man muss sich da nur entsprechend umstellen. "Fußball, Basketball, Volleyball - das kann ich alles mit Passspiel machen", sagt Ammon. Das funktioniert natürlich nur im Trainingsbetrieb - für den Wettkampf hilft dieser Kniff nicht.

Ab Unterschreiten einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 möchte der BLSV dann den organisierten Sport unter freiem Himmel öffnen - und diesmal gleich in größeren Gruppen. Im Sommer waren aus Ammons Sicht die Regeln zu streng, "Fünfergruppen im Training sind unrealistisch", findet er, man könne "mit Zehnergruppen auf alle Fälle einsteigen", die Sportplätze seien ja groß genug, um Abstand zu halten. Und in der Halle könnte es nach Ammon auch losgehen. Voraussetzung: ein fester Partner beim Sport. "Paartanz" fällt ihm als Beispiel ein, oder Ringen. Testmöglichkeiten oder Impfungen sind bislang in das Konzept nicht einbezogen worden: "Das ist noch zu weit weg", sagt Ammon. Das Konzept hält Hölzl für eine Sammlung "sehr grober Anhaltspunkte", die man in einer Arbeitsgruppe diskutieren könne, "dafür stehen wir zur Verfügung".

Auch an der Basis werden die Rufe lauter nach einer Rückkehr auf den Sportplatz. Eine Petition des Vereins Post SV Nürnberg mit der Forderung nach der Öffnung des Vereinssports hatte am Donnerstag schon über 20 000 Unterzeichner. Auch von über einem Dutzend Sportvereinen kam ein Hilferuf: "14 Großsportvereine - 10 000 Mitglieder weniger - keine Neueintritte". Mit einem offenen Brief haben sich die größten Vereine Bayerns an Innenminister Joachim Herrmann gewandt. Mit der Verdoppelung der Vereinspauschale sollte die Not gelindert werden. Doch es ist eine Hilfe nach dem Gießkannenprinzip, die bei einigen Großvereinen nicht mal die Gebäudeversicherung abdeckt.

Wirtschaftliche Schäden lassen sich beziffern, die psychischen Schäden nur schwer

Das Ganze wird vom BLSV nun mit neuen Zahlen unterlegt. Schäden von 450 Millionen Euro für das Jahr 2021 fallen bei den Vereinen an nach Hochrechnungen des Verbands. Für das Jahr 2020 hatte der BLSV 200 Millionen angegeben. "Am größten sind die Schäden in den Großstädten", sagt Ammon, vor allem "in der Stadt München". Allerdings hantiert der BLSV dabei mit Berechnungen, die man ziemlich hoch gegriffen finden darf: 1649 Vereine hatten bis Sonntag erwartete Einbußen von 62,05 Millionen Euro gemeldet, die vom BLSV auf die 12 000 Vereine hochgerechnet wurden. So landete man am Ende bei fast einer halben Milliarde Euro.

Wirtschaftliche Schäden lassen sich beziffern, die psychischen Schäden nur schwer. "Wie vielen Menschen es gerade schlecht geht, das ist nicht sichtbar, anders als lange Haare. Deshalb ist es schwieriger, unserer Belange in die Diskussion einzubringen", klagt Hölzl. Während Friseure am Montag öffnen, tauchte der Sport zuletzt gar nicht mehr auf in den politischen Runden. "Wir sind dankbar, wenn wir überhaupt Erwähnung finden." Anfang der Woche hatte sich immerhin die deutsche Sportministerkonferenz mit der Wiederöffnung des Amateursports beschäftigt. Beschlossen wurde dabei die Rückkehr zur Normalität nach einem Sechsstufenplan. Nur wann der umgesetzt werden soll, ist unklar.

Es bleibt die Hoffnung auf sinkende Fallzahlen und positive Signale beim Corona-Gipfel der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin am kommenden Mittwoch. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte diesen Mittwoch gute Nachrichten für Individualsportler, aber schlechte für Mannschaftssportler. "Tennis oder Golf - die Einzelsportarten gehen natürlich deutlich schneller als Judo oder Fußballspielen", sagte Söder im Bayerischen Fernsehen: "Das wird später sein. Da muss die Zahl der Inzidenz weiter stabil bleiben und die britische Mutation nicht kommen."

Hölzl findet: "Die Hygienekonzepte liegen in der Schublade. Diese Hausaufgaben haben wir gemacht."

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