Brasilien vor der Fußball-WM:"Das Volk zahlt die Rechnung"

Brazil's Neymar races to the ball against Chile's Cristian Alvarez during their international friendly soccer match in Belo Horizonte

Hoffnung einer ganzen Fußballnation: Auch Brasiliens Jungstar Neymar (rechts) hörte zuletzt Pfiffe.

(Foto: REUTERS)

Brasilien verzweifelt zunehmend am Fußball: Für die WM-Generalprobe verzichtet Nationaltrainer Scolari auf die Lichtfiguren Kaká und Ronaldinho - und selbst das runderneuerte Maracanã-Stadion macht Ärger.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Wenn Romário de Souza Faria in Fahrt kommt, dann wird es lustig. Früher war der Brasilianer als Stürmer gefürchtet, nach eigener Rechnung hat er mehr als 1000 Tore geschossen. Mit ihm beendete die Seleção 1994 eine Leidenszeit von 24 Jahren ohne WM-Titel. Später brillierte "O Baixino", der Kleine, als Weltenbummler, Strandkicker und Nachtschwärmer, inzwischen sitzt er für eine linke Partei im brasilianischen Parlament.

Einen Anruf der Zeitung O Globo hat der Politiker aus dem Strafraum jetzt zum fröhlichen Rundumschlag genutzt. Auch für deutsche Sportfreunde war was dabei, sogar eine schöne Nachricht. Denn auf die Frage, wer 2014 in Brasilien den Pokal gewinnt, antwortete Romário: "Deutschland wird Weltmeister."

An die heimische Nationalmannschaft glaubt der Abgeordnete nicht, diese Zweifel teilt er mit den meisten seiner Landsleute. Brasilianer sind ein optimistisches Volk in fast allen Lebenslagen, aber die Auswahl schleppt sich seit Ewigkeiten von einer Enttäuschung zur nächsten. In der Fifa-Rangliste ist Brasilien 19., ein historischer Tiefstand. "Brasiliens Fußball hat ein hässliches Problem", findet Romário. Angesichts der schwachen Ergebnisse wurde Ende November panisch der Trainer gewechselt, Luiz Felipe Scolari übernahm den Posten von Mano Menezes. Das soll retten, was zu retten ist.

In Scolari und dem Manager Carlos Alberto Parreira wird die Auswahl nun von jenen beiden Männern betreut, die 1994 und 2002 bei den beiden letzten Triumphen das Kommando geführt hatten. Doch auch unter dem Nothelfer Felipão ging es nicht voran, beim 2:2 gegen Chile wurde seine Elf kürzlich verspottet. Und bei der Nominierung für den Konföderationen-Cup im Juni sorgte Scolari bei manchen Fans für Verwirrung.

Der Coach strich den Altmeister Ronaldinho aus der Liste und berief stattdessen seinen Vereinskollegen Bernard aus Belo Horizonte. Draußen bleiben muss auch Real Madrids Kaká. Im Aufgebot stehen nur noch vier Mann, die 2010 beim WM-Debakel in Südafrika dabei waren: Torwart Júlio César (Queens Park), Manndecker Thiago Silva (Paris St. Germain), Dani Alves (Barcelona) und Fluminenses Angreifer Fred. Scolaris Gnade fanden elf Profis aus Brasiliens träger Riesenliga und zwölf Emigranten, darunter die Bayern Dante und Luiz Gustavo. Laut einer Studie sind die 23 Auserwählten 447 Millionen Euro wert. Angeführt von Wunderkind Neymar (55 Millionen Euro), den der FC Barcelona möglichst schnell vom FC Santos kaufen will.

Streit ums Maracanã

Das Eröffnungsspiel des Testturniers bestreiten die Gastgeber am 15. Juni in Brasília gegen Japan. Am 2. Juni steht ein feierliches Duell in Rio de Janeiro gegen England an - zur Einweihung des runderneuerten Estádio Maracanã, womit man bei den nächsten Baustellen wäre. So richtig fertig sind beide Arenen noch nicht, weshalb schon wieder die Fifa droht.

Am 1. August beginne der Kartenverkauf für die WM, erinnerte der Fifa-Generalsekretär Jerôme Valcke, eine Art reisender Vorstopper des Präsidenten Joseph Blatter. São Paulo könne sogar als WM-Startort ausgewechselt werden, falls das mit öffentlichen Krediten finanzierte Stadion Itaquerão nicht bis zum 23. Dezember abgeschlossen sei. Worauf der Klub Corinthians konterte, man bezahle das Bauwerk notfalls selbst.

Gestritten wird obendrein um die Privatisierung des Maracanã. Ein Firmen-Konsortium will die Rechte für 35 Jahre übernehmen, Gegner sind entsetzt. 1,2 Milliarden Reais soll die Renovierung des Heiligtums vor allem den Staat kosten - "ein Überfall ohne Waffen", wettert Romário. Der kann sich über die Kolonialmacht Fifa ("Brasilien liefert sich der Fifa aus") genauso aufregen wie über die brasilianischen Funktionäre. CBF-Verbandspate Ricardo Teixeira wurde von seinem vormaligen Vize José Maria Marin ersetzt, einem korruptionsverdächtigen Amigo der ehemaligen Militärdiktatur.

Die Regierung solle dafür sorgen, dass Marin als CBP-Präsident und WM-Organisationschef verschwindet, rät Romário und schimpft: "Es fehlt der Mut." An der WM und Olympia werde sowieso nur Brasiliens Oberschicht ihre Freude haben, glaubt er. "Das brasilianische Volk und vor allem die Cariocas (Rios Einwohner) zahlen die Rechnung."

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