Es scheint nur eine Formalität zu sein, wenn sie am Mittwoch in Belo Horizonte aufeinandertreffen: Brasiliens strahlend auferstandene Seleção - und eine Horde überwiegend namenloser Gauchos aus Uruguay. Ungeduldig schaut die Presse voraus auf nächsten Sonntag, wenn in Rios Maracanã -Stadion der Sieger dieser Mini-WM (alias: Confed Cup) ermittelt wird: Brasilien - oder Spanien? Am Ausgang der Halbfinals aber zweifelt die Fachwelt nicht. Der Welt- und Europameister wird Italien abfertigen und die Seleção kurzen Prozess mit dem kleinen Nachbarn im Süden machen, mit Uruguay.
Nur: Was passiert, wenn das zwischen Protest und patriotischer Euphorie oszillierende Land eiskalt erwischt wird? Bei diesem ersten, wenn auch kleinen Weltturnier im eigenen Land seit 1950? War damals nicht was mit Uruguay?
"Gol do Uruguai!" Es wird diese drei Worte immer geben, die alles Unglück Brasiliens beschreiben, eine unheilbare Wunde, die selbst von sonst ernstzunehmenden Schriftstellern des Landes wie dem Theaterschreiber Nelson Rodrigues mit der Bedeutung Hiroshimas für Japan verglichen wurde. Gol do Uruguai! - Tor für Uruguay.
Sechsmal hat Luiz Mendes diesen Satz rausgepresst, in tonloser Verzweiflung. Mendes arbeitete bei der WM 1950 für den Sender Radio Globo, er wurde mit diesen Sätzen zum Herbert Zimmermann Brasiliens. Nur dass Mendes' Spielreportage keinen nationalen WM-Triumph beschrieb, sondern einen Schlag, der eine ganze Nation niederstreckte. So, wie sich vier Jahre später die Helden von Bern in ihrer Heimat unsterblich machten, sollte es den Beteiligten an jener Niederlage, dem 1:2 gegen Uruguay im WM-Finale 1950, nie gelingen, ihr Trauma zu überwinden. Auch die gut 200 000 Zuschauer ließen das kollektive Schockerlebnis nicht hinter sich. Ein Zehntel der damaligen Bevölkerung Rio de Janeiros war auf den Beinen, um den in voreilig gedruckten Zeitungen bejubelten Sieg ihrer Seleção mitzuerleben.
Brasilien hatte geführt, Uruguay ausgeglichen, doch auch ein Remis hätte zum Titel gereicht - dieses Endspiel war keines, es war nur die letzte Partie einer Finalrunde mit vier Teams. Und dann stürmte Alcides Ghiggia wie ein Stier über den rechten Flügel und erzielte das Siegtor für die Elf aus der Pampa. Grabesstille senkte sich auf Maracanã. Elf Minuten waren noch zu spielen. Doch die Seleção, die ihre Gegner zuvor wie im Rausch weggeputzt hatte, vermochte sich so wenig aus der Agonie zu erheben wie die Anhänger auf den Rängen.
Viele irrten nach dem Abpfiff stundenlang durch die gewaltige Beton-Ellipse, die für die WM gebaut worden war. Alles war bereitet für den Eintritt der 60 Jahre jungen Republik in die moderne Welt - nun hatte sie die historische Chance vertan. Es gab es eine Reihe von Selbstmorden im Land. "Maracanazo", wie die Niederlage südlich der Grenze getauft wurde, ist über all die Jahre eine Obsession geblieben.