Süddeutsche Zeitung

Eklat beim Länderspiel in Brasilien:Fußball-Farce statt Rasenkrimi

Nach dem Spielabbruch in der WM-Qualifikation zwischen Brasilien und Argentinien blickt Südamerika verwundert auf den Fußball - sind die Behörden mit den Corona-Regeln überfordert?

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Schon am Sonntagvormittag rochen die Straßen von Buenos Aires nach Rauch. Viele Familien in der argentinischen Hauptstadt hatten ein Asado geplant, ein traditionelles Grillfest. Erst Steaks, dann Fußball, das war der Plan, nicht der schlechteste noch dazu, schließlich gab es am Nachmittag nicht irgendein Spiel, sondern Brasilien gegen Argentinien, der Südamerika-Klassiker schlechthin.

Keine zwei Monate sind vergangen, seit Messi und Co. die Brasilianer im Endspiel der Südamerika-Meisterschaft besiegten, zu allem Überfluss auch noch im mythischen Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro. Nun ging es um die WM-Qualifikation, viele erwarteten sich ein Fußballfest. Stattdessen aber gab es eine Fußball-Farce, keinen Rasenkrimi, sondern eher ein Ratespiel, bei dem allerdings bislang noch die Auflösung fehlt.

Kurz nach Anpfiff stürmen Beamte das Feld

Die Partie in São Paulo war schon angepfiffen, als in der 4. Spielminute auf einmal Unruhe aufkam. Am Spielfeldrand gab es eine Diskussion, ein Mitarbeiter mit einer Weste der staatlichen brasilianischen Gesundheitsbehörde Anvisa redete da aufgebracht mit Fußballfunktionären, eine Minute verging, dann noch eine, schließlich betraten Anvisa-Mitarbeiter das Feld, zusammen mit Polizisten und einer Liste. Es folgte noch mehr Konfusion, irgendwann aber war klar, was die Beamten wollten: Vier Spieler aus dem argentinischen Team, allesamt unter Vertrag bei englischen Premier-League-Teams - und allesamt unter Verdacht, die Quarantänevorschriften von Brasilien verletzt zu haben.

Emiliano Martínez und Emiliano Buendia von Aston Villa, sowie Cristian Romero und Giovani Lo Celso von Tottenham sollen am Freitag gemeinsam mit dem argentinischen Team in Brasilien eingereist sein. Dabei, so Anvisa, hätten sie nicht angegeben, dass sie sich in den vergangenen 14 Tagen in England aufgehalten hätten. Großbritannien steht in Brasilien zusammen mit Südafrika und Indien auf einer Liste mit Hochrisikostaaten für das Coronavirus. Wer sich 14 Tage vor Abflug in diesen Staaten aufgehalten hat, darf nicht nach Brasilien einreisen - es sei denn, er ist Staatsbürger oder hat eine Aufenthaltsgenehmigung.

Über all dies verfügten die argentinischen Fußballer nicht, darum, sagt Anvisa, hätte man die lokalen Behörden gebeten, die Spieler sofort unter Quarantäne zu stellen und daran zu hindern, "auf brasilianischen Territorium zu bleiben".

Spätestens hier aber wird es unübersichtlich, denn Martínez, Romero und Lo Celso liefen trotz der angeblichen Anweisungen der Gesundheitsbehörde am Sonntag auf, live übertragen auf Millionen Fernsehbildschirmen in Brasilien, Argentinien und dem Rest der Welt.

Staunend verfolgten die Zuschauer in Buenos Aires genauso wie in Brasília, was sich da im Neo-Química-Stadion in São Paulo abspielte. Auch Neymar und Lionel Messi schauten erst scheinbar amüsiert auf das ganze Spektakel. Als aber klar war, dass dies kein Spaß oder eine lustige Verwechslung war, sondern bitterer Ernst, verschwand das komplette argentinische Team in der Kabine.

Es folgte ein Hin und Her, Brasilien versuchte wohl das argentinische Team dazu zu überreden, die Partei ohne die vier in England unter Vertrag stehenden Spieler zu absolvieren; Argentinien wiederum sagte, unter diesen Konditionen würde man nicht zurück auf den Rasen, das Team sei seit Tagen im Land und es sei unverständlich, wieso bis nach dem Anpfiff gewartete wurde, um das Spiel abzubrechen.

Um fünf Uhr Ortszeit war dann klar: Die Partie wird abgesagt, erklärte die Conmebol, der südamerikanische Fußballverband. Ein paar Stunden später saßen die argentinischen Spieler schon im Flugzeug. Was blieb, war ein schlechter Nachgeschmack und die große Frage: Was zur Hölle ist da nur passiert?

War es vielleicht nur eine Verwechslung? Viele Fans rätseln

Für die brasilianische Gesundheitsbehörde bleibt die Sache einfach. Die Spieler hätten die gesundheitlichen Vorgaben des Landes nicht erfüllt, erklärte sie in einem Statement. Man habe bereits am Samstag darauf hingewiesen und dann am Sonntagmorgen die Bundespolizei verständigt. Die Spieler mussten ausgewiesen werden, sagte Anvisa-Chef Antonio Barra Torres: "Sie werden nun wegen der Verstöße mit einer Geldstrafe belegt und bestraft."

Claudio Tapia, der Präsident des argentinischen Fußballverbands, bereute es sehr, dass dieses als Fußballfest geplante Spiel im Chaos endete. "Wir haben uns immer an die sanitären Vorgaben der Conmebol gehalten." Und auch der brasilianische Fußballverband CBF gab sich verwundert bis verärgert: Man unterstütze die Durchsetzung strenger Hygiene-Protokolle, verstehe aber nicht, wieso die Anvisa erst so spät reagiert habe.

Viele Fans rätseln nun, was der eigentliche Grund für die seltsame Episode war. War es vielleicht nur eine Verwechslung? Ein Missverständnis, gilt bei den Turnieren doch eigentlich ein extra Protokoll, das auch von den Gesundheitsbehörden vor Ort abgesegnet wurde. Und selbst wenn nicht: Wieso griff die Polizei erst ein, als das Spiel schon angepfiffen war?

In Argentinien waren viele Fans am Sonntag überzeugt, dass die Angst vor einer weiteren Niederlage der eigentliche Grund für den Abbruch vonseiten der brasilianischen Behörden war. In Brasilien wiederum fragten Fans im Netz, wie es denn sein könne, dass man fast 600 000 Covid-Tote zu beklagen habe und einen Präsidenten, der stets nur von einem Grippchen sprach, nun aber ein Top-Fußballspiel abbrechen müssen, weil Spieler die Einreisebestimmungen verletzt hätten.

Und noch eine Frage blieb bisher ungeklärt: Wie die Partie gewertet wird und ob sie wiederholt wird. Bisher hat sich die Fifa noch nicht dazu geäußert.

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