Brasilianer beim TSV 1860:Samba de Giesing

Fussball 2 Bundesliga  TSV 1860 Muenchen - Wacker Burghausen

Rodrigo Costa verließ die Löwen im Jahr 2006 nach vier Jahren vorzeitig.

(Foto: Stefan Matzke / sampics)

Mit Victor Andrade verpflichten die Löwen wieder einmal einen Brasilianer. Die Geschichte der Zuckerhutkicker beim TSV 1860 ist voller kurioser Begebenheiten. Eine Übersicht.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

"Und jetzt kauf ma an Brasilianer!" - an diesen ironischen Spruch erinnern sich die Fans des Zweitligisten TSV 1860 München immer dann, wenn mal wieder die leise Hoffnung besteht, die sportliche Situation könnte sich bessern. Ein Brasilianer steht im Fußball ja noch immer für gesteigerte Erwartungen, ihre Herkunft sichert den Kickern einen Ruf wie Donnerhall. In Offensivspieler Victor Andrade von Benfica Lissabon hat Sechzig seit dieser Woche neben Verteidiger Rodnei einen zweiten Brasilianer im Kader. Und ein dritter könnte folgen: Der 19-jährige Ribamar befindet sich angeblich seit zehn Tagen in München, nur am Trainingsgelände hat man ihn noch nicht gesichtet. "Ich weiß auch gar nicht mehr, ob Ribamar noch da ist. Meines Wissens wird noch verhandelt", sagte Präsident Peter Cassalette. Schaden kann das nicht. Die Geschichte von 1860 und seinen Brasilianern ist voller Missverständnisse.

Rodrigo Barbosa Rodrigues Costa (Der robuste Brasilianer)

Der erste Brasilianer, den der TSV 1860 München verpflichtete, kam 2002 vom FC Santos nach Giesing. Aber er war "kein typischer Brasilianer", wie Cheftrainer Peter Pacult erklärte, "sicher kein Zauberer." Und Costa meinte selbst: "Ich bin kein guter Techniker. Ich spiele eher wie ein Europäer, bin ein robuster Typ wie alle Spieler im Süden Brasiliens." Das passte, weil Costa schließlich Innenverteidiger war. Insgesamt kassierte er während seiner Zeit bei den Löwen 34 gelbe Karten, also durchschnittlich in fast jedem dritten Spiel eine, sowie zweimal Gelb-Rot und einmal Rot.

Costa wurde Stammspieler und war sehr beliebt bei den Löwen, die er im April 2006 verließ - obwohl sein Vertrag bis 2008 lief. Er wurde fristlos gekündigt, das war einerseits folgerichtig, weil er erklärt hatte, dass er unter dem damaligen Trainer Walter "Schoko" Schachner kein Spiel mehr absolvieren werde. Andererseits war es auch ärgerlich, weil Schachner bereits Anfang 2007 gefeuert wurde, Costa also noch eineinhalb Jahre seinen Vertrag hätte erfüllen können. Stattdessen nahm er noch Engagements in Belgien, Paraguay und Griechenland an, die allesamt nach wenigen Wochen oder Monaten endeten, ehe er zurück in die Heimat ging.

Rafael da Silva Santos (Der sparsame Brasilianer)

Nachdem Rodrigo Costa in der Vorbereitung überzeugt hatte, waren Brasilianer bei Sechzig zu Beginn der Saison 2002/03 plötzlich im Trend. "Durch die Wirtschaftskrise in Brasilien sind die Spieler auch noch alle billig", frohlockte Sportchef Dirk Dufner. Also wurde der Linksaußen Dudu von Santa Helena de Goias zum Training eingeladen. "Wir haben Pacult auf unserem Laptop eine CD-Rom gezeigt, und er war sofort begeistert", erzählte Dudus Berater. Die Live-Eindrücke waren anders. Nach einem Testspieleinsatz fand Pacult: "Er bringt uns nicht weiter." Dafür kam dann ein anderer Brasilianer, der 23-jährige Abwehrspieler Rafael vom FC Ipiranga. "Wenn dir so einer zuläuft, musst du einfach zuschlagen", fand Dufner. Rafael hatte als ehemaliger U20-Nationalspieler zuletzt in unterklassigen brasilianischen Klubs gespielt, angeblich aufgrund von bestehenden Knebelverträgen, aus denen reiche Freunde ihn erst herauskaufen mussten.

Entschädigen konnte Rafael seine Gönner angesichts seines niedrigen Gehalts bei Sechzig zunächst nicht. "Der Billig-Löwe", titelte die Abendzeitung, "spielt für nur 6000 Euro - und fährt MVV." Rafael spielte fünf Mal in der Bundesliga. Beim 0:0 in Kaiserslautern stand er so nahe am Rande eines Platzverweises, dass Pacult berichtete: "Mir blieb fast das Herz stehen." Beim 1:4 in Stuttgart ging er mit seinen Kollegen unter und wurde nach 52 Minuten ausgewechselt. Und im DFB-Pokal-Viertelfinale brachte ihn Pacult für die Verlängerung, um die Abwehr zu stabilisieren - Ergebnis 1:4 n.V. Der TSV nahm die Option auf Vertragsverlängerung nicht wahr. Rafael ging für ein Jahr nach Nürnberg (zwei Zweitligaeinsätze) und danach zurück in die Heimat zum Paulista FC.

Fernando Santos (Der Abstiegs-Brasilianer)

Fernando Santos (nicht zu verwechseln mit Fernando Manuel Costa Santos, dem Trainer von Europameister Portugal) wurde in seiner Zeit bei 1860 schlicht "Fernando" genannt, was die Verwechslungsgefahr nicht verringerte. Fernando wurde im Januar des Abstiegs-Jahres 2004 gemeinsam mit Gerhard Poschner als möglicher Retter verpflichtet; und manch ein Kiebitz vor dem Löwenstüberl raunt heute noch über die glückliche Fügung, dass Fernando im Gegensatz zu Poschner nicht in anderer Funktion nach Giesing zurückkehrte.

Fernando, damals 23, war 1,92 Meter groß, hatte die Statur eines Möbelpackers und erstaunlicherweise schon einen Löwen auf den Oberarm tätowiert, bevor er zu Sechzig wechselte. Das waren die guten Nachrichten. Ansonsten ging er wegen zwei eher unangenehmen Geschichten in die Klub-Chronik ein: Beim 1:3 gegen Borussia Mönchengladbach, nach dem feststand, dass Sechzig absteigen würde, brach sich Fernando den Mittelfußknochen. Er musste zwei Monate pausieren. Und weil die kolportierte Ablöse in Höhe von zwei Millionen Euro für Sechzig nicht realisierbar erschien, entschied sich Geschäftsführer Karl-Heinz Wildmoser junior dafür, die Zahlung an ein (ansonsten sicher tiptop seriöses) Investorenkonsortium aus Südamerika in Form von drei Raten zu tilgen. Irgendwann war Sechzig aber Zweitligist und hatte erst eine Rate bezahlt. Der Vertrag mit Fernando wurde aufgelöst, die Abendzeitung titelte: "Millionenklage gegen 1860! Klub aus Uruguay verlangt von den Löwen 1,8 Mio und schaltet Fifa ein". "Die Sache ist eindeutig", sagte Fernando Santos' Berater: "Die Urus werden ihre Klage knallhart durchziehen."

Die Sache war dann doch nicht so eindeutig, jedenfalls wollten die Urus - in dem Fall der uruguayische Zweitligist El Tanque - offiziell nichts wissen von einer Forderung. Offenbar, weil das Transfergeschäft eines Spielers, dessen Rechte ja besagtem Investorenkonsortium gehörten, nur pro Forma über El Tanque abgewickelt wurde. Fernando wechselte nach zehn Einsätzen für Sechzig ablösefrei nach Wien; in der Saison 2007/08 kehrte er noch einmal nach Deutschland zurück und stieg dann mit dem nächsten Klub aus der Bundesliga ab: dem MSV Duisburg.

Marcos Antonio (Der Bender-Ersatz-Brasilianer)

Kam im Sommer 2009 vom Sport Club Corinthians Alagoano, ging im Sommer 2010 zum Sport Club Corinthians Alagoano zurück. Was das sollte, wusste er am Ende wohl selbst nicht so recht. Selbst ein Einsatz über die volle Spielzeit beim 1:0-Sieg in Bielefeld brachte in dieser Hinsicht keine Klarheit. Jener Tag, als Marcos Antonio zum ersten Mal an der Grünwalder Straße spielte, war zugleich der Tag, an dem Trainer Ewald Lienen ("es war eine sehr emotionale Verabschiedung") im damals 20-jährigen Sven Bender ("ich hatte feuchte Augen") schon den zweiten talentierten Zwilling auf die Reise zu einem neuen Klub schickte: Bayer Leverkusen. Der für die Transfers verantwortliche Sportdirektor Miroslav Stevic lobte die Benders abschließend für ihr "löwentypisches Verhalten" und betonte, "die Tür bei 1860" sei für die beiden "immer offen".

Beide Benders weg, Marcos Antonio da, das war die Situation bei Sechzig. Welch glückliche Fügung, dass der 21-Jährige eine Alternative für verschiedene Positionen sei, befand Lienen, "links defensiv, links offensiv, in der Zentrale - er hat schon überall gespielt". Warum Antonio auf all den schönen Positionen nicht zum Einsatz kam, bleibt Lienens Geheimnis.

Leonardo (Der positionslose Brasilianer)

Leonardo wurde im Sommer 2014 von Sportchef Gerhard Poschner verpflichtet, blöderweise gemeinsam mit Trainer Ricardo Moniz, mit dem sich Poschner fortan nicht einigen konnte, ob, und wenn ja, wo genau, Leonardo überhaupt spielen sollte. Moniz präferierte ein System mit den Stürmern Okotie und Rodri und zwei kreativen Spielern dahinter. Einer von ihnen sollte Leonardo sein, den Poschner aber lieber auf dem Flügel sehen wollte, im von ihm geliebten 4-3-3-Korsett. Der so abkommandierte Leonardo habe sich bisweilen als Rechtsverteidiger betätigen müssen, motzte Moniz. Wenn Leonardo diese profane Aufgabe auch in Zukunft haben sollte, ahnte Moniz "dann kann ich ihn nach zwei Monaten wegschmeißen". So kam es dann auch. Im Winter darauf war Leonardo schon wieder fort.

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