Boxer Arthur Abraham:Auf der Flucht vor den Niederlagen

Arthur Abraham erhält gegen Weltmeister Robert Stieglitz eine weitere Chance, sich in der neuen Gewichtsklasse zu etablieren - womöglich ist es seine letzte. Abraham hat sich seinen Niederlagen nicht gestellt, er will jedoch weiter ein Champion sein, kein Verlierer.

Benedikt Warmbrunn

Ein Boxer kämpft nicht, um zu gewinnen. Er kämpft, um nicht zu verlieren. Mike Tyson hat das einmal zugegeben, er war damals noch der furchteinflößendste Boxer, den die Welt gesehen hatte. Alle Gegner hatten Angst vor ihm, so sehr, dass Tyson es in ihren Augen sehen konnte.

Germany's former middleweight world champion Abraham sits in corner during their super-middleweight WBO continental fight against Poland's Wilczewski in Kiel

Gehegt und gepflegt, aber wenig schlagkräftig: Der einstige Mittelgewichts-Champion Arthur Abraham in Kiel.

(Foto: REUTERS)

Doch Mike Tyson gestand: "Jedes Mal, wenn ich von meinen Kämpfen träume, verliere ich. Wenn ich in meinen Kämpfen verliere, geschieht das meistens sehr dramatisch. Es ist sehr realistisch. Es macht mir Angst." 1990 wurden Tysons Träume wahr, er verlor überraschend vorzeitig gegen Buster Douglas. Danach war er nie mehr derselbe Boxer.

Siege sind im Boxen vorübergehend, sie halten nur bis zum nächsten Kampf. Niederlagen aber bleiben für immer. Sie sind eine öffentliche Demütigung, sie zertrümmern das Selbstvertrauen des Boxers. Nur wenigen gelingt es, nach dem Verlust der Unbesiegbarkeit wieder ein Champion zu werden. Jeder Treffer des Gegners fordert den Glauben an die eigenen Fähigkeiten heraus. Viele Boxer bleiben nach der ersten Niederlage Verlierer, auch wenn sie wieder gewinnen. Ein Sieg ist daher auch stets: ein weiteres Mal nicht verloren zu haben.

An diesem Samstag treffen in Berlin die Supermittelgewichtler Robert Stieglitz und Arthur Abraham aufeinander, es geht um Stieglitz' WM-Titel nach Version der World Boxing Organization (WBO). Es ist zugleich ein Kampf, der zeigt, dass die Kunst großer Boxer die Kunst des Verlierens ist. In dieser Hinsicht hat Stieglitz seinem Herausforderer Abraham etwas voraus, was mehr wert ist als der Weltmeister-Titel selbst.

Abraham, 32, war von 2005 bis 2009 ungeschlagener Weltmeister im Mittelgewicht, oft zeigte er im Seilgeviert Kämpfe mit spektakulärem, frühzeitigem Ende. Abraham war nie ein technisch guter Boxer, er schlug kaum eine Gerade, sondern überwiegend Haken und wilde Schwinger.

Aber er konnte so wuchtig hauen, dass ihm kein Gegner standhielt. Ein bisschen hatten die Gegner sogar Angst vor ihm. So baute Abraham ein Gefühl der Unbesiegbarkeit auf, das ihn auch Phasen der Bedrängnis überwinden ließ. Er wusste, dass er irgendwann den Gegner so treffen würde, dass dieser zu Boden gehen musste. Er fing jedoch an, so sehr an seine K.o.-Kraft zu glauben, dass seine technischen Defizite immer größer wurden.

2009 stieg Abraham ins Supermittelgewicht auf, und er dachte, mit seiner Schlaghärte würde es weitergehen wie zuvor. Dann traf er auf Gegner, die ebenfalls fest zuschlagen konnten und die zugleich die Mängel Abrahams aufdeckten: dass er kein Konterboxer ist. Oder dass er sich nicht wehren kann, wenn er in den Ringseilen lehnt. Abraham verlor. Einmal, zweimal, dreimal. Und er verlor nicht nur ein, zwei, drei Kämpfe. Er verlor den Glauben an sich selbst.

Niederlagen als Teil des Geschäfts

Abraham wurde vorgeführt, gerade von dem Briten Carl Froch und dem Amerikaner Andre Ward. Mit jeder Niederlage wurde die Basis seiner Siege, sein Selbstvertrauen, mehr und mehr zerbröselt, und so wie Abraham verlor, hatte danach kein Boxer mehr Angst vor ihm.

Ring frei für WBO-Weltmeister Robert Stieglitz bei 'ran Boxen'

Niederlagen als Katalysator einer Karriere: Box-Weltmeister Robert Stieglitz.

(Foto: obs)

Doch Abraham wollte weiter ein Champion sein, kein Verlierer. Er hat sich, so wirkt er selbst, seinen Niederlagen nicht gestellt, er ist auf der Flucht vor ihnen. Sie verletzen seinen Stolz, am liebsten würde er sie aus seinem Kampfrekord verbannen. Vor dem Duell gegen Stieglitz sagt er: "Ich habe sie längst aus meinem Kopf rausgebracht. Ich denke nicht mehr daran." Doch Niederlagen verändern den Menschen und den Boxer. Abraham hat in diesem Jahr zwei Aufbaukämpfe gewonnen. Zu sich gefunden hat er nicht.

Mit dem Kampf gegen Stieglitz bekommt er eine weitere, eine letzte Möglichkeit, das Trauma seiner Niederlagen zu überwinden. Er hat gegen Stieglitz, einen feinen Techniker, der seine Gegner mit variablen Kombinationen ständig unter Druck setzt, nur mit seiner Schlaghärte eine Chance. Sollte Abraham einmal eine Lücke in Stieglitz' Deckung finden - und in den vergangenen Kämpfen waren dort viele Lücken -, wäre er wieder Weltmeister. Er wäre wieder der Mann mit der Wucht in den Fäusten. Er wäre wieder ein selbstbewusster Boxer.

Obwohl Stieglitz seit vier Jahren Weltmeister ist, wird er oft unterschätzt, Abrahams Trainer Ulli Wegner etwa sagt: "Wenn Arthur diesen Gegner nicht löst, weiß ich nicht mehr, was ich machen soll." Dabei hat der Weltmeister seinem Herausforderer eine Erfahrung voraus: Er weiß mit Niederlagen umzugehen.

2007 und 2008 verlor er je einen Kampf, den ersten um den WM-Titel nach Version der IBF, aus Übermut. Er hatte den Gegner, Alejandro Berrio, bereits besiegt, nahm ihn nicht ernst. Der Kolumbianer gewann vorzeitig. 2008 verlor Stieglitz gegen Librado Andrade, es gab Schwierigkeiten mit seinem damaligen Trainer. Heute sagt Stieglitz: "Niederlagen gehören dazu." Und das ist nicht so banal, wie es klingt.

Der 31-Jährige hat akzeptiert, dass diese Niederlagen einen Teil seiner Persönlichkeit ausmachten, und er wollte sie von da an unbedingt vermeiden. Stieglitz nahm jeden Gegner ernst, analysierte ihn in der Vorbereitung noch genauer, überlegte sich eine Taktik, und wenn diese nicht aufging, hörte er in den Rundenpausen auf seinen Trainer. Er ist ein intelligenter Boxer geworden, einer, der durch den Umgang mit den eigenen Schwächen die des Gegners besser zu nutzen weiß.

Stieglitz gewann den WBO-Titel 2008 in einem intensiven Duell mit Karoly Balzsay, es war ein offener Schlagabtausch, und Stieglitz überwand seine innere Furcht vor der nächsten Niederlage. Er gewann durch technischen Knockout in der elften Runde. Er hatte seitdem immer wieder kritische Minuten in seinen Kämpfen. Aber er konnte sich stets behaupten.

Mit einem Sieg über den bekannteren Abraham könnte sich Stieglitz nun für große Kämpfe empfehlen. Und für den Fall einer Niederlage steht im Vertrag die Option auf einen Rückkampf. Stieglitz glaubt, dass er gewinnen wird. Aber er weiß, dass auch eine Niederlage ihn nicht schwächer macht.

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