Boxenstopps in der Formel 1:Reifenwechsel in zwei Sekunden

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So schnell wie möglich wieder weg: Die Red-Bull-Crew überzeugte beim Grand Prix in Malaysia bei den Boxenstopps. Sieger Sebastian Vettel (im Bild) fertigte sie einmal in 2,13 Sekunden ab, Teamkollege Mark Webber in 2,05 Sekunden. (Foto: Getty Images)

Spezialisten für jedes einzelne Rad: Zwanzigköpfige Teams wechseln in den Boxen der Formel-1-Rennställe die Reifen der Boliden - und das mit aufwändig entwickelten Werkzeugen. Tausendfach wird das Manöver geprobt, damit die Boxenstopps immer kürzer werden - ein gefährlicher Trend.

Von René Hofmann

Der Wert lässt jeden Autofahrer träumen, der in einer Werkstatt schon einmal auf einen Reifenwechsel gewartet hat: Beim Großen Preis von Malaysia am 24. März in Sepang glückte dem Red-Bull-Team ein Rekord-Boxenstopp. Beim zweiten Reifenwechsel des am Ende zweitplatzierten Australiers Mark Webber benötigten die Mechaniker gerade einmal 2,05 Sekunden, um alle vier Räder zu tauschen. Das ist ein neuer Bestwert. Zuvor hielt McLaren den Rekord mit 2,31 Sekunden.

Die Zahlen werden nicht offiziell ermittelt, die Teams erheben sie selbst. Der Formel-1-Ableger von Red Bull meldete den Rekord am Mittwoch auf seiner Homepage - zehn Tage nach dem Rennen. Dass es so lange dauerte, die exakte Standzeit zu ermitteln, zeigt, wie akribisch die Stopps analysiert werden, die über Sieg oder Niederlage mitentscheiden.

Möglichst kurz an der Box zu stehen - das ist dabei immer schon das Ziel gewesen. Seit vier Jahren aber haben die Sprints beim Stopp eine neue Qualität bekommen. In der Saison 2010 wurde das Nachtanken verboten. Wie lange der Tankschlauch am Auto saß, hatte bis dahin bestimmt, wie gut ein Stopp war. Die Reifenwechsler waren stets lange vor dem Tankwart fertig. Inzwischen hängt alles an ihnen.

Kommt ein Fahrer an die Box, wartet dort Hightech auf ihn. Die Wagenheber, mit denen die Formel-1-Autos einige Zentimeter vom Boden gehoben werden, sind Eigenentwicklungen, von denen manche so viel wert sind wie ein neuer Kleinwagen. Auch die Pressluft-Schlagschrauber, mit denen die Radmuttern gelöst werden, gibt es so in keinem Baumarkt zu kaufen. Sie sind frisiert und entwickeln eine Kraft, die mehreren Tonnen gleichkommt.

Pro Rad sind drei Mechaniker im Einsatz. Einer löst das Rad, einer zieht es weg, einer setzt das neue auf. Zudem gibt es Spezialisten, die kontrollieren, ob sich vor den Kühlern in den Seitenkästen etwas verfangen hat, die bereitstehen, falls ein Flügel verstellt werden muss, oder die die anderen Autos in der Boxengasse im Auge behalten. Die Szene gleicht stets einem Wimmelbild. Bei Mercedes sind 19 Mann im Einsatz, bei Ferrari sogar 24.

Am Ende des Services hob früher ein Mechaniker ein Schild, das an einen übergroßen Lollipop erinnerte und gab den Weg für den Fahrer wieder frei. Inzwischen gibt es dafür bei den meisten Teams eine Ampel, deren Grün aktiviert wird, wenn die Sensoren in allen Schlagschraubern und Wagenhebern "okay" melden. Die Reifenwechsel in der Formel 1 sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich aus allem eine Wissenschaft machen lässt. Früher wurden einfach irgendwelche Mechaniker für die Stopps abkommandiert; bei McLaren wirkte einst sogar Teamchef Ron Dennis selbst mit. Inzwischen gibt es Spezialisten für jedes Rad. Und es wird hart trainiert.

Ferrari absolvierte im vergangenen Jahr 1900 Räderwechsel am stehenden Auto. Mercedes ließ die Boxencrew bei den Rennen regelmäßig donnerstagabends sowie freitag-, samstag- und sonntagmorgens zum Üben antreten. Pro Einheit wurden gut 30 Reifenwechsel geprobt. McLaren ließ selbst zuletzt in Malaysia, wo morgens wie abends eine schweißtreibende Hitze herrschte, rund 80 Stopps üben.

Der große Aufwand zeigt Wirkung. Ferrari hat Buch geführt: 2009 lag die Bestzeit für einen Reifenwechsel bei 3,3 Sekunden; im Schnitt dauerte es bei der Scuderia aus Maranello damals zwischen 3,5 und 4,1 Sekunden, bis die vier Räder am roten Renn- er getauscht waren. 2010 glückte es Mercedes, den Bestwert um 0,4 Sekunden zu verbessern. 2011 war McLaren der Spitzenreiter - und noch einmal eine halbe Sekunde schneller: 2,4 Sekunden. Die durchschnittliche Standzeit hatte sich in den drei Jahren um fast eine Sekunde verkürzt.

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Das Streben nach dem Immer-Kürzer birgt allerdings auch Gefahren. Mercedes reduzierte einst die Gewindelänge der Radnaben. In Malaysia musste Force India beide Autos aus dem Rennen nehmen, weil es bei zwei Stopps Probleme mit den Radmuttern gegeben hatte. Vor dem Saisonstart hatte Charlie Whiting, der Sicherheitsbeauftragte des Automobilweltverbandes, noch beschieden, bisher habe er beim Wettrennen um die schnellsten Stopps "nichts entdeckt, was Anlass zur Sorge bietet". Inzwischen könnte er das anders sehen. Den Druck der Schlagschrauber zu begrenzen oder maximale Durchmesser für die Druckluftzuleitungen vorzuschreiben, ist seit längerer Zeit schon im Gespräch.

Daheim in den Rennwagenfabriken haben es sowohl die Ferrari- wie auch die Mercedes-Crews bereits geschafft, vier Räder in weniger als zwei Sekunden zu wechseln. Um den absoluten Bestwert aber gehe es gar nicht, heißt es zumindest bei Ferrari. Der Leiter des Boxenstopp- Programms hat die Devise ausgegeben: "Wichtig sind konstant gute Zeiten! Das Ziel ist es, beim Reifenwechsel bloß kein Rennen zu verlieren."

© SZ vom 05.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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