Süddeutsche Zeitung

Boxen:Zuschauer im Bademantel

Das Hotel Stanglwirt in Going am Wilden Kaiser und der Münchner Profi Alem Begic laden zu einem gewagten Experiment.

Von Benedikt Warmbrunn

Der Schweiß liegt noch pfützenweise auf dem Ringboden, da wird die Bühne, zu der am Nachmittag alle hinaufgeschaut hatten, von den Kindern erobert. Sie klettern durch die Seile, rennen von der blauen in die roten Ecke und wieder zurück, manche haben sich auch vom Hauptprogramm inspirieren lassen. Das Model Monica Meier-Ivancan hält sich im Duell mit den Kindern mühsam auf den Beinen, irgendwann haut ein kleiner Junge einem anderen auf den Kopf. Dann wird der Ring gesperrt, das Gerüst mit der Beleuchtung wird heruntergefahren, und so werden die Spuren dieses Experimentes beseitigt, nicht einmal eine Stunde nach dem letzten Gong.

Boxen und ein exklusives Publikum in einem exklusiven Rahmen. Das war das Experiment gewesen. Das Hotel Stanglwirt in Going am Wilden Kaiser hatte zu einem Profikampf eingeladen, an einem Samstagnachmittag, der Großteil der Zuschauer: Hotelgäste. Ein gewagtes Experiment.

Seit fast drei Jahrzehnten, seit das Profiboxen im deutschsprachigen Raum wieder populär geworden ist, durch die Rocchigiani-Brüder, durch Henry Maske, durch Axel Schulz, hat sich das Publikum bei Kampfabenden kaum verändert. Immer waren viele Männer in körperbetonten, engen Anzügen dabei, immer waren Frauen mit ebenfalls körperbetonten, engen Outfits dabei. Anders war das eigentlich nur bei den Klitschko-Brüdern, die zwar auch die schrillen Gäste hatten, diese fielen aber nicht auf, da zu den Klitschkos an manchen Abenden Zehntausende kamen. Die Brüder hatten bei ihren Veranstaltungen zudem einen gewissen Glamour-Faktor, es kamen Models, Schauspieler sowie andere Halbprominente und Schwerreiche. Vorbereitet hatten sich die Klitschkos auf ihre Kämpfe meistens im Stanglwirt, in einem Wellness-Hotel also, das mit seiner Exklusivität wirbt (und dafür auch ziemlich exklusive Preise aufrufen kann), schon in ihrem Trainingslager hatten sie also gezeigt, dass sie für ein seriöseres Boxen stehen. Weniger Rotlicht am Ring, mehr Fichtennadelnduft in der Vorbereitung.

Aber ein Boxkampf im Stanglwirt? Weit weg von einer großen Stadt? In einem kleinen Rahmen? Es könnte ein Zeichen dafür sein, dass im Boxen die Verzweiflung schon groß geworden ist. Oder aber, dass die schwere Lage erfinderisch macht.

Am frühen Samstagnachmittag kommen knapp 300 Zuschauer in die Tennishalle des Hotels, es sind Dirndl zu sehen, ansonsten viel entspannte Kleidung. Schwarze Anzüge oder andere körperbetonte Outfits? Nicht bei diesem Boxevent. Nur ganz wenige Zuschauer sind freizügig bekleidet - die nämlich, die das Geschehen durch ein Fenster im ersten Stock verfolgen, nach einem Besuch des Wellness-Bereichs. Sie schauen sich den Boxkampf im kuscheligen Bademantel an.

Spätestens seit den Klitschkos ist ein Boxkampf nicht mehr nur ein Boxkampf, er steht jetzt auch für Unterhaltung. Am Samstag übernehmen das zwei Tänzer, die offenbar bei der Fernsehsendung "Let's Dance" bekannt geworden sind. Das Lied, zu dem sie tanzen, heißt "Gypsy Love", und mehr muss man über das Vorprogramm nicht wissen. Die Zuschauer trinken höflich-interessiert Pils und Prosecco aus Plastikgläsern. Dann beginnt der Kampf.

Erst kommt Tiran Metz, ein 33-Jähriger aus Essen, er ist der Außenseiter in diesem Duell um den Interkontinental-Titel des Weltverbandes WBO. Ihm folgt Alem Begic, 32 Jahre alt, Münchner, der Favorit und, das wird schnell klar, der Boxer, für den das Publikum klatscht. Viele kennen ihn, Begic trainiert seit mehreren Jahren beim Personal Coach des Hotels, bei Björn Schulz. Begic läuft ein zu der Rocky-Hymne "Eye of the Tiger", so viel klassische Box-Atmosphäre darf dann schon sein. Der Gong zur ersten Runde. Dann wird es erst einmal still in der Tennishalle.

Als das Urteil verkündet wird, ein Unentschieden, buht niemand

Begic, der seine ersten 22 Kämpfe alle gewonnen hat, versucht gegen den kleineren Metz die richtige Distanz zu finden, doch er ist zunächst unbeweglich, fast steif, er schlägt wenig. Metz schlägt viel, oft zum Körper. Begic kontert, seine Schläge sind präzise und wuchtiger als die seines Gegners. Doch auf der Suche nach der richtigen Distanz verliert Begic einige Minuten und Runden. "Im Nachhinein hätte ich anders geboxt", sagt Begic später.

Es ist ein spannender Boxkampf, auch wenn in den ersten Runden die ganz großen Momente fehlen. In der fünften Runde wird das Publikum jedoch aufgerüttelt. Draußen beginnt es zu gewittern. Einer ruft: "Hau ihn um!"

Die sechste Runde ist Begics beste. Er taucht unter den Schlägen von Metz hindurch, und er setzt zweimal zu Schlagserien an, treibt seinen Gegner in die Seile. "Da habe ich mich richtig gut gefühlt, und mein Gegner ist müde geworden", sagt Begic, er gibt jedoch auch zu: "Zum Nachsetzen hat mir die Luft gefehlt." Draußen gewittert es weiter, im Ring gleichen die letzten Runden wieder den ersten. Metz schlägt fleißig, aber ohne Wirkung. Begic schlägt gezielt und effektiv, aber für ein vorzeitiges Ende reicht es nicht. Den Kampf beendet Begic mit einer Schlagserie. Das Publikum klatscht zufrieden. Als das Urteil verkündet wird, ein Unentschieden, ist kein Buhen zu vernehmen.

Begic hofft nun, dass er bald wieder um den Interkontinental-Titel boxen darf - und auch, dass er wieder im Stanglwirt antreten darf. Beide, Verband und Hotel, sagt er, hätten sich gesprächsbereit gezeigt. Und obwohl er spürbar enttäuscht ist, nimmt sich Begic Zeit für alle, die gekommen sind. Er spricht mit jedem, lässt sich fotografieren, einmal sogar mit einem Hund. Für die Zuschauer und Hotelgäste bleibt er da, bis er zur Dopingkontrolle abgeholt wird. Erst dann leert sich die Tennishalle langsam.

Noch hat ja auch der Wellness-Bereich geöffnet.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2019
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