Boxen:Warum ein Bremer für Katar boxt

Boxen: „Ich wollte gern mein eigenes Leben leben“: Thulasi Tharumalingam schloss sich 2015 dem katarischen Verband an.

„Ich wollte gern mein eigenes Leben leben“: Thulasi Tharumalingam schloss sich 2015 dem katarischen Verband an.

(Foto: Tharumalingam / oh)
  • Thulasi Tharumalingam ist in einer Gemeinde bei Bremen augewachsen, seine Mutter kommt aus Sri Lanka.
  • Doch nun boxt er für Katar, weil der Verband ihm bessere Möglichkeiten bot und die Einbürgerung für Sportler leichter ist als anderswo.

Von Anne Armbrecht

Thulasi Tharumalingam hatte sich warm angezogen. Die Muskeln waren im Boxring unter einem schwarzblauen Trainingsanzug verschwunden, der Kragen reichte bis unter den getrimmten Bart. Es ist kühl im russischen Jekaterinburg, wo in diesen Tagen die Weltmeisterschaft der Amateurboxer anbricht. Auch wenn Tharumalingam das von Zuhause, aus der Nähe von Bremen, gewohnt ist. Die Vorbereitung auf das Turnier hatte er ein paar Tagen zuvor noch unter Palmen absolviert. In der Wüste Katars - dem Land, für das er jetzt auch bei der WM im Weltergewicht startet.

Katar suchte vor vier Jahren nach Boxern

Seinen ersten Kampf bestreitet der 26-Jährige an diesem Freitag gegen Lim Hyun-chul aus Südkorea. Dann geht es bis zum Finale, so hofft er, Schlag auf Schlag. Gewicht halten, auf die Gegner einstellen. Es war noch nie so schwer wie bei dieser WM für Tharumalingam.

"Ich wollte eigentlich nicht fahren und mich auf meine Bachelorarbeit konzentrieren", sagt er. Fitnessökonomie, 50 Seiten muss er bis Ende Oktober einreichen. Danach will er sich auf 2020 konzentrieren, Olympia in Tokio. Zuletzt entschied er sich dann aber auch für die WM. Ein gutes Abschneiden wäre die beste Vorbereitung fürs nächste Jahr, sagt Tharumalingam.

So ganz überzeugt klingt er nicht. Aber darum geht es auch nicht. Dass er sich überhaupt bei der WM zeigt, ist Katar, seinem Verband, wichtig. Wichtiger noch als Medaillen. Mit Sport macht das Emirat Politik: Katar ist zwar reich, aber klein, es hat in der Golfregion mächtige Nachbarn als Feinde. Im Sport vernetzt sich der Zwergstaat daher weltweit: durch Sportwettbewerbe wie die Leichtathletik- und Fußball-WM, Sponsoring von Klubs und größtmögliche Präsenz bei Turnieren.

Letztere erreicht das Land auf bürokratischem Weg. "Katar selbst kann mit seinen 300 000 Staatsbürgern keine konkurrenzfähige Sportstruktur aufbieten. Es muss also einbürgern, um auf der Weltbühne präsent zu sein", sagt Danyel Reiche. Der Politikwissenschaftler forscht und lehrt an der American University of Beirut zu Sportpolitik im Mittleren Osten. Das Vorgehen Katars beschäftigt ihn schon lange. Reiche, 47, nennt es eine "strategische Staatsbürgerschaft".

Das hat Katar in der Vergangenheit viel Kritik eingebracht. Die Schelte schwoll bei der Handball-WM 2015 bislang am lautesten an, als fast der ganze Kader aus Söldnern bestand. Während andere Nationen zumindest Sportler einbürgerten, die teils entfernte Verwandte in dem jeweiligen Land hatten, hätten die neuen Katarer oft nichts mit dem Land gemein, hieß es. Patriotismus sei eben noch immer die Triebfeder des organisierten Sports, sagt Danyel Reiche: der vermeintliche, oft inszenierte Wettkampf der Nationen.

Nicht, dass andere nicht einbürgern. "Solche strategischen Staatsbürgerschaften gibt es weltweit immer öfter, auf Initiative von Sportlern und Nationen. Nur die Quoten sind unterschiedlich", sagt Reiche. Als Tharumalingam 2016 bei Olympia in Rio für Katar antrat, waren zwei Drittel der Delegation nicht dort geboren. Der Deutsche hatte erst 2015 den Verband gewechselt. Wie leicht das geht, ist von Fachverband zu Fachverband unterschiedlich. Die Boxer machten es ihm leicht. Den Kontakt hatte ein Trainer aus Niedersachsen hergestellt. Katar suchte damals nach Boxern für ihre Heim-WM. Tharumalingam fahndete gerade selbst nach einem Weg. Katar bot ihm die Staatsbürgerschaft an - und so die Chance, international zu starten.

Warum der Boxer sich für Katar entschied

Die Entscheidung war auch für ihn eine strategische. "Ich bin in Deutschland geboren. Bremen ist der Ort, wo ich lebe. Aber ich wollte studieren und nicht gleich Vollprofi werden." Dabei hätte ihn der deutsche Box-Verband nicht unterstützt. "Man muss in Deutschland am Stützpunkt trainieren. Dann hätte ich ein Studium oder eine Ausbildung haben können. Ich wollte aber gern mein eigenes Leben leben. Ich wollte bei meiner Familie bleiben." Zu Jahresbeginn unterzeichnete er zudem einen Vertrag mit dem Boxstall MTK Global, der auch den ehemaligen Schwergewichtsweltmeister Tyson Fury betreut. Nach seinem Studium winkt eine Profikarriere.

Im Alltag trainiert er in Bremen. Nur vor Turnieren fliegt er für die Vorbereitung nach Doha. Von dort geht es mit der Delegation zum Wettkampf. Der Verband hat auch die Pässe. Tharumalingam besitzt nur eine Aufenthaltsgenehmigung für die Einreise. Arabisch hat er nicht lernen müssen, Geschäftssprache ist Englisch.

Tokio 2020 könnten schon seine zweiten Olympischen Spiele werden

Dieses Mal hatte er nur fünf Tage mit dem Coach des Verbands. Es war seine kürzeste Vorbereitung bislang, wegen der Abschlussarbeit. Ansonsten trainiert er in Bremen ohne festen Trainer. Zehnmal die Woche Laufen, Kraft und Boxen - alles in Eigenregie. Die Katarer lassen ihn machen. Beim deutschen Verband wäre das undenkbar gewesen. "Die Katarer haben da mehr Vertrauen in mich. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich selber für meine Leistung verantwortlich bin." Nach 15 Jahren weiß er selbst am besten, was er braucht. Solange Leistung und Gewicht stimmen.

Handball, Schwimmen, Judo, selbst Geräteturnen hatte er als Kind ausprobiert. "Unsere Mutter wollte, dass wir Energie loswerden", erzählt Tharumalingam über sich und seine Geschwister, einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Aber es ging nicht nur ums Stillsitzen in der Schule. "Sport war unseren Eltern wichtig. Weil wir damit was für uns tun und fürs Selbstbewusstsein. Und weil es für sie zur Integration einfach dazugehört hat."

Ihre Mutter kam 1983 nach Schwanewede, als sie durch den Bürgerkrieg in Sri Lanka ihre Heimat verlor. Dass der Sohn nun für Katar boxt, war nicht selbstverständlich. Zunächst hatte die Familie abgelehnt. Tharumalingam wollte die deutsche Staatsbürgerschaft auch nicht ganz aufgeben.

Er haben nicht gewusst, was mit Katar auf ihn zukommt, sagt er. Als Tamile ist die Familie hinduistischen Glaubens. Das wäre aber nicht das Problem gewesen. "Eher die Gesetzeslage." Katar beschreibt sich als demokratisch, Staatsreligion aber ist der Islam. Die Scharia ist die Hauptgesetzquelle.

Ein Nationenwechsel hätte weit über die Karriere hinaus gewirkt. Tharumalingam wollte aber immer in Bremen bleiben. Der Entschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft war für ihn deshalb "rein sportlich", sagt er: "Sie haben mir angeboten, bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen starten zu können. Das war ein Traum, den ich mir in Deutschland nach meinem Lebensentwurf nicht hätte erfüllen können."

Im kommenden Jahr könnte er das sogar ein zweites Mal schaffen. Wenn er im Februar die Asien-Qualifikation schafft, stünden im Sommer in Tokio seine zweiten Olympischen Spiele an. Die Ringe hat er sich schon auf den Oberarm tätowieren lassen.

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