Boxen:Von Boxern in Stadien

Boxen: Muhammad Ali (re.) wartete auf den richtigen Moment - dann attackierte er George Foreman.

Muhammad Ali (re.) wartete auf den richtigen Moment - dann attackierte er George Foreman.

(Foto: UPI Photo/Imago)

Der wahre Gigant im Duell Waldimir Klitschko gegen Anthony Joshua ist das Wembley-Stadion. Denn die Geschichte zeigt: Sobald man Boxer in einer Arena kämpfen lässt, verändert sich alles.

Von Holger Gertz

Am Samstag wird Wladimir Klitschko gegen den Briten Anthony Joshua boxen, Weltmeisterschaftskampf, Riesenbörse, in den Ankündigungen und Vorberichten ist in boxmilieutypischer Breitbeinigkeit die Rede vom Giganten-Duell. Aber nun, Herausforderer Klitschko ist mit 41 zu alt für einen Giganten. Und Weltmeister Joshua ist mit 27 auch schon zu alt, um noch ein weltweit respektierter Gigant werden zu können. Man frage die Leute auf der Straße nach dem amtierenden Schwergewichts-Champ der IBF und biete ihnen drei Antwortmöglichkeiten.

a) Anthony Joshua

b) Joshua Anthony

c) Weiß nicht

Wäre interessant zu erfahren, welche Variante vorn liegen würde. Der echte Gigant im Gigantenduell ist der Kampfplatz, das Stadion, sie boxen in Wembley, 90 000 Leute werden da sein, und hier kommt dann eine kaukasische Lebensweisheit zur Geltung. "Einen Edelstein betrachte in seiner Fassung, einen Menschen in seiner Wohnung, nur dort beginnt er zu funkeln." Also: welchen Rahmen man einer Sache gibt. Der Rahmen ist sehr groß, der Gefühlspalast Wembley. Aber Joshua (48 cm Bizepsumfang, 208 cm Reichweite) und Klitschko (48 cm Bizepsumfang, 206 cm Reichweite) brauchen ja auch entsprechenden Platz, um sich entfalten zu können.

Es hat seinen Reiz, Boxer mal nicht in Hallen einzusperren, sondern sie in einem Stadion antreten zu lassen. Wenn die Boxer kommen, verändert sich alles. Der kleine Ring wird dann zum Zentrum, die Tribünen müssen so gebaut sein, dass viele der Zuschauer etwas erkennen können von dem, was im Zentrum passiert.

Heute kann man Videowürfel aufhängen, oder die Leute sind zwar beim Kampf, schauen sich dessen Details aber parallel auf dem Smartphone an.

Früher waren sie beim Kampf und hatten leichte Mäntel an und flache Hüte, wie alle anderen, die auch beim Kampf waren. Aber was sah man denn, von oben, von den billigeren Plätzen? Man sah auf ein Meer von leise wackelnden Florentiner Strohhüten, die sämtliche Männer von Welt in den Zwanzigern trugen, naturfarben und mit schwarzem Hutband. Die Franzosen sagten Canotier zu diesem Hut, die Amerikaner Boater. Im Juli 1921 versammelten sich gut 80 000 Menschen mit ungefähr genauso vielen Canotiers und Boaters in Jersey City, wo auf Brachland ein Stadion zusammengezimmert worden war, Boyle's Thirty Acres. Der Besitzer des Ackers hieß so, John P. Boyle. In dieser Freiluftarena traten damals an der Schwergewichtschampion Jack Dempsey gegen Georges Carpentier aus Frankreich, es war der Kampf des Jahrhunderts, es war natürlich auch der Kampf der Kontinente.

Dempsey haute den anderen um. Aber wer nicht mit guter Sicht in Ringnähe sass, musste sich verlassen auf das innere Auge der Fantasie. Der Kampf spielte sich ab in der Imagination jedes Einzelnen, und natürlich wuchs er dort zu ewiger Größe.

Der "Tiger" Michalczewski gegen "Rocky" Rocchigiani - das war Rummel im Ring

Als in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts das Preisboxen in Deutschland vorübergehend eine große Sache war, zu Zeiten von Maske, Michalczewski und den Rocchigianis, fanden viele Kämpfe in langweiligen Mehrzweckarenen statt. Manchmal wagten sich die Boxer allerdings auch an die frische Luft. Im Sommer 1996 kam es dabei zu einem unvergleichlichen Ereignis, wie man es nur im Stadion erleben kann, und nur in einem Stadion wie dem in St. Pauli.

Am Millerntor boxten Dariusz Michalczewski, genannt Tiger, und der hervorragende Graciano Rocchigiani gegeneinander, der Rocky genannt wurde und dessen Vater - dieses Detail soll in keiner Boxgeschichte jemals verschwiegen werden - ein sardischer Eisenbieger war.

An diesem Samstag im August war nebenan auf dem Heiligengeistfeld Jahrmarkt, es roch vor dem Kampf im Stadion nach Mandeln und Räucheraal, der Wind wehte die Metallstimmen von den Fahrgeschäften rüber. Draußen war Rummel, drinnen im Stadion lag Rocky vorne, aber der Tiger sackte in sich zusammen, und plötzlich war der Rummel auch im Stadion, im Ring.

Rocky hielt den Tiger für einen Betrüger, der Tiger spielte toter Mann. Auf einmal war der Ring voller Menschen, Fernsehleute, Offizielle, Sonnenbrillenträger, Zigarettenraucher, der Glatzkopf des riesigen Ringrichters trieb wie eine Boje auf dem Menschenmeer. Die Innenwelt verband sich mit der Außenwelt, die Besatzung der Geisterbahn klapperte rüber, Teufel und der Knochenmann.

"Für die Massen muss man entweder ein Gott oder nichts sein"

Okay, inneres Auge. Aber Rocky Rocchigiani, innen und außen komplett rotgeprügelt, richtete sich noch einmal auf und brüllte: "Ihr seid Betrüger, Schweine seid ihr!" Wobei nicht klar war, wen er meinte. Aber natürlich hatte er recht.

Eigentlich gehören die Boxer nach draußen, ins Stadion, sie sind Naturmenschen, archaische Gestalten. Nikolai Walujew sah mit seinem dicht behaarten Rücken aus wie ein bemooster Hügel.

Boxen im Stadion ist immer auch ein Experiment mit der Masse: Welche Energie gibt sie ab, wie verführbar ist sie. "Für die Massen muss man entweder ein Gott oder nichts sein", hat Gustave Le Bon geschrieben, und natürlich war Muhammad Ali im Oktober 1974 der Gott im Kampf gegen George Foreman.

Ali hatte den Leuten beigebracht, "Boma ye!" zu rufen, "Töte ihn"

Der "Rumble in the Jungle" fand statt im Stade du 20 Mai in Kinshasa/Zaire. Diktator Mobuto hatte in den Katakomben dieses Stadions Folterkammern für politische Gegner einrichten lassen, jetzt wurde es ein Kampfplatz der Propaganda. Der größte Fight, in einem afrikanischen Land. Und Ali hatte den Leuten schon vorher beim Training beigebracht, "Boma ye!" zu rufen, "Töte ihn".

Wenn man den Kampf sieht, sieht man Ali, den schweißglänzenden Obercharismatiker, wie er ins Publikum schaut und die Leute anfeuert und sich mit jedem einzelnen Mitglied der Besatzung dieses riesigen Stadions zu verlinken scheint.

Alles war gewaltig, die Boxer, die Arena, die Symbolik dieses Ortes. Sein Schrecken, seine Magie. Und als der Kampf vorbei war, brach ein Unwetter los, das Norman Mailer beschrieben hat, der damals dabei war. "Foremans Umkleideraum glich einem dunklen Teich, in dessen dreißig Zentimeter hoch stehendem Wasser benutzte Handtücher schwammen, gegen Ende der Sintflut gingen im Stadion Kinder auf Beutezug, Apfelsinenschalen und Eintrittskarten sammelten sich, von den Fluten zusammengetrieben, unter der Leinwand, Batterien wurden nass, Generatoren fielen aus. Die Hälfte der Telexgeräte versagte in diesem Unwetter, und der Satellit übertrug weder Bild noch Wort."

So schlimm wird es beim Gigantenkampf am Samstag nicht kommen.

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