Boxen beim TSV 1860 München:Seine Trainer vergleichen ihn mit dem jungen Ali

Boxen beim TSV 1860 München: "Wenn ich boxe, fühle ich mich anders": Randy Botikali hat seine Berufung gefunden.

"Wenn ich boxe, fühle ich mich anders": Randy Botikali hat seine Berufung gefunden.

(Foto: Claus Schunk/SZ)

Die Bundesliga-Boxer des TSV 1860 München haben in Randy Botikali ein Talent wie nie zuvor. Der 18-Jährige will Profi werden - und zu den Olympischen Spielen.

Von Christian Bernhard

Nicht erschrecken, sagt Rachach Pekpassi zur Begrüßung - er grinst. Er meint den muffigen Geruch, der in der alten Turnhalle allgegenwärtig ist und sofort in die Nase steigt. "Das ist noch der Schweiß von 1914." Jetzt lacht er. Seit mehr als hundert Jahren gibt es die Turnhalle in der Münchner Auenstraße 19, hier war einst auch die Geschäftsstelle des TSV 1860 München, für den Pekpassi als Boxtrainer tätig ist. An diesem Dienstag tänzeln 17 Boxerinnen und Boxer unter seiner Anleitung durch die unübersehbar in die Jahre gekommene Halle. Auf dem Fenstersims steht eine rote Box, aus der die Trainierenden mit Musik beschallt werden. Unterbrochen werden die Klänge nur vom Box-Gong auf Pekpassis Handy, welcher Anfang und Ende der Übungsintervalle markiert.

Randy Botikali ist der einzige, dessen Kopf von einer Kapuze bedeckt ist, unter der sich seine blau gefärbten Haare verbergen. Abschwitzen ist angesagt, am Wochenende steht der nächste Bundesligakampf an, da muss das Gewicht passen. Der 18-Jährige boxt eine starke Premierensaison, vier seiner bisherigen fünf Bundesligakämpfe hat er gewonnen.

Davon war vor ein paar Jahren nicht auszugehen, denn Botikalis Einstieg in die Boxwelt geriet reichlich holprig: Seine ersten zehn Kämpfe hat er allesamt verloren. Botikali sei ein "Trainingsweltmeister" gewesen, erzählt Pekpassi, im Kampf aber fehlte die mentale Stärke - und die unbedingte Fokussierung. "Er war bei den Kämpfen mit den Gedanken woanders." Die Niederlagen hätten den Burschen betrübt, viele in seinem Alter hören bei solch negativen Kampferfahrungen schnell auf. Doch die Löwen-Trainer redeten ihm gut zu, motivierten ihn, nicht aufzugeben. Denn sie hatten erkannt, dass Botikali viel mitbringt, was einen guten Boxer ausmacht: eine gute Reaktionsfähigkeit, schnelle Beine, gute Augen. Was Botikalis Kampfname "The black Flash", der schwarze Blitz, ausdrückt. Junge, glaub an dich, mach weiter, habe Pekpassi dem niedergeschlagenen Botikali immer wieder gesagt, als sie nach seinen ersten Kämpfen mit der S-Bahn zurück nach München fuhren. Kleinbusse hatte die Boxabteilung damals noch nicht. Pekpassi sagte auch: "Bleib dran, du wirst mal Weltmeister."

"Randy ist für mich der Muhammad Ali in jungen Jahren", sagt 1860-Abteilungsleiter Ali Cukur, der einmal WM-Fünfter war

Weltmeister - der Titel liegt im obersten Regal, und die Löwen-Verantwortlichen trauen ihn dem 18-Jährigen zu. Sogar der größte Name der Boxgeschichte fällt im Zusammenhang mit Botikali häufig: Muhammad Ali. "Wie er sich bewegt, wie er tänzelt, seine Beinarbeit: Randy ist für mich der Muhammad Ali in jungen Jahren", sagt Ali Cukur mit ruhiger Stimme. Cukur ist seit den 1970er-Jahren im Box-Business, 1974 kam er zu den Löwen. Er wurde Fünfter bei den Amateur-Weltmeisterschaften, ist seit 1988 Trainer beim TSV und übernahm 1997 die Abteilungsleitung. Cukur hat viele kommen und gehen gesehen, doch so einer wie Botikali war noch nicht dabei. "Der Randy ist etwas Besonderes", das größte Talent, das er bisher begleitete. Cukurs Augen glänzen, als er erzählt, dass Muhammad Alis erster Trainer ihm das Tänzeln im Ring verbieten wollte, weil man damals dachte, dass dadurch keine harten Schläge möglich seien. Stattdessen wurde Ali mit seinem damals unkonventionellen Stil zur Legende. "Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene": Muhammad Alis Motto soll auch Botikali weit bringen.

An Selbstvertrauen mangelt es dem 18-Jährigen nicht. In bester Muhammad-Ali-Manier erzählt er, er wolle "mein eigenes Vermächtnis" hinterlassen. Botikali sitzt im Kraftraum, der gleichzeitig auch Umkleideraum ist, als er über sich spricht. Über den Boden verstreut liegen abgegriffene Langhanteln und alte Autoreifen, der große Spiegel, der den Raum dominiert, ist heftig demoliert. Die Szenerie verdeutlicht ansehnlich, warum Pekpassi über die Rahmenbedingungen in der Halle sagt: "Die Karosserie ist scheiße, aber der Motor läuft."

"Ich war ein Problemkind", sagt Botikali - beim Boxen fand er eine Heimat. Was ihm noch fehlt, ist die deutsche Staatsbürgerschaft

"Ich will nicht seinen Weg gehen", sagt Botikali auf Muhammad Ali angesprochen, von dem er viele Kämpfe studiert hat. "Einen ähnlichen, aber meinen eigenen." In Sachen "Großartigkeit" darf es aber gerne in Richtung Ali gehen. Botikali ist fest davon überzeugt, "der beste meiner Generation zu werden". Sein nächstes Ziel sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris, dann will er ins Profilager wechseln. Was ihm dafür noch fehlt, ist die deutsche Staatsbürgerschaft. Obwohl er in München geboren ist, ist er noch Kongolese, wie sein Vater. Das Einbürgerungsprozedere ist im Gange, wenn es erfolgreich ist, ist sein Weg in einen deutschen Olympia-Stützpunkt frei. Empfehlungsschreiben vom deutschen Boxverband gibt es bereits, auch die Kontakte zur Sportfördergruppe der bayerischen Polizei sind schon geknüpft. Davor gilt es noch, das abschließende Schuljahr zu Ende zu bringen.

Als Kind war Botikali ungeduldig, leicht zu provozieren und deshalb oft aggressiv, erzählt er nun ruhig zwischen Hanteln und alten Autoreifen. Wenn es in der Schule zu Streitereien und körperlichen Auseinandersetzungen kam, war er meist vorne dabei. "Ich war ein Problemkind", sagt er. Sein Vater schickte ihn zum Judo und Kickboxen, doch beides gefiel ihm nicht wirklich. Erst beim Boxen fand er seine sportliche Heimat. Sein großer Bruder nahm ihn zum TSV 1860 mit, als er 13 war - und löste in ihm die erste sportliche Sehnsucht aus: besser zu werden als der große Bruder. Um dieses Ziel zu erreichen, nahm er die Tipps seiner Trainer schnell an und verfiel schließlich dem Boxsport. "Wenn ich boxe, fühle ich mich anders", erzählt er noch, das "anders" ist durch und durch positiv gemeint. Botikali hat seine Berufung gefunden.

Und die Anfangsschwierigkeiten im Ring? Längst vergessen. "Da ist er rausgewachsen", sagt Pekpassi, während draußen, am gegenüberliegenden Isarufer, die Menschen in der Nachmittagssonne spazieren. "Ihn schockt nichts mehr, jetzt kann wirklich jeder kommen. Randy ist bereit."

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