Boxen:Ruhe im Ring

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"Gerade im Schwergewicht geht es nicht nur um Kraft": Peter Kadiru, 23. (Foto: Hartmut Boesener/imago)

Jahrelang war das deutsche Schwergewicht bedeutungslos geworden - der Werdegang von Peter Kadiru zeigt, was sich im Boxen verändert hat.

Von Benedikt Warmbrunn, Magdeburg/München

Bernd Bönte hatte 1989 erstmals einen Kampf von Mike Tyson fürs Fernsehen kommentiert, genauso wie dessen berühmte Duelle ein paar Jahre später gegen Evander Holyfield. Er hat die Klitschko-Brüder gemanagt und dabei den Jüngeren, Wladimir, in einer der dominantesten Regentschaften in der Geschichte des Schwergewichts begleitet. Bönte weiß also, was es braucht, um im Sport erfolgreich zu sein, und da er auch Mitglied im Aufsichtsrat des Hamburger SV war, weiß er zudem, was es braucht, um nicht erfolgreich zu sein. Bernd Bönte also sagt über den jungen Boxer Peter Kadiru: "Ich glaube, dass Peter das Potenzial hat, um ganz oben anzuklopfen."

Bönte sagt diesen Satz nicht ganz unbefangen, er arbeitet als Kadirus Manager. Er verbindet diesen Satz allerdings auch mit der Aufforderung an den Boxer, "weiter diszipliniert und hart" an sich zu arbeiten. Ob es dann mit einem WM-Kampf oder gar einem WM-Titel klappen wird, sagt Bönte, "weiß man nie, weil ja gerade die großen Kämpfe meistens eine enge Kiste sind".

Ganz oben anklopfen. Große Kämpfe. Es ist noch nicht lange her, da hätte sich kein Mensch mit auch nur einem Funken Boxverstand getraut, so etwas über ein deutsches Schwergewicht zu sagen. Doch die Zeiten haben sich geändert.

An diesem Samstag veranstaltet das Magdeburger SES-Team den ersten Kampfabend in Deutschland seit Beginn der Corona-Pandemie mit Zuschauern, auf der Seebühne in Magdeburg dürfen 1000 Menschen dem Geschehen im Ring folgen. Sie werden mit Abstand zueinander sitzen, auf dem Weg zum Platz müssen sie eine Maske tragen, die sie dort wieder absetzen dürfen. Verfolgen werden sie nicht die allergrößten Namen des gegenwärtigen Boxens; Dominic Bösel, der SES-Weltmeister im Halbschwergewicht, wird zum Beispiel nicht antreten. Zu sehen aber wird sein, wie das Schwergewicht, das in Deutschland in der Bedeutungslosigkeit versunken war, zu neuer Stärke kommt.

Den Hauptkampf bestreitet der 27 Jahre alte Agit Kabayel, der bereits Europameister ist, der gegen bekannte Namen wie den früheren Klitschko-Gegner Dereck Chisora gewonnen hat, der eine unglaubliche Kämpfermentalität mitbringt. Mit dem Kampf gegen den Griechen Evgenios Lazaridis will Kabayel sich positionieren für einen WM-Kampf. Ob er das Potenzial für die absolute Weltspitze hat, davon sind in der Branche noch nicht alle überzeugt - Kabayel ist dennoch die Schwergewichtshoffnung der Gegenwart. Doch der Mann für die Zukunft, da sind sich viele in der Szene einig, das könnte Peter Kadiru sein.

Der 23 Jahre alte Hamburger steigt am Samstag zum achten Mal als Profi in den Ring, doch schon nach dieser kurzen Zeit lässt sich an seinem Werdegang erkennen, wie sich das deutsche Preisboxen in den vergangenen Jahren verändert hat. Lange galt hier die Devise, junge Leute gegen Nobodys schnell zu einem spektakulär klingenden Kampfrekord zu treiben, dann noch ein paar griffige Geschichten dazugepackt, schon galt das Talent als kommender Weltmeister. Kadiru dagegen wählt einen Weg, der nicht atemberaubend beginnt, der dafür aber über mehr Substanz verfügt. Kadiru war bei den Amateuren Jugend-Olympiasieger, er war in der Jugend mehrmals Europameister. SES-Chef Ulf Steinforth und Manager Bönte achten darauf, dass Kadiru ausschließlich gegen Männer boxt, die einen positiven Kampfrekord haben - gegen Gegner also, die sich nicht aufgegeben haben, die noch diese Selbstsicherheit haben, die Boxer gefährlich werden lässt. Gegner, die eine ernsthafte Prüfung darstellen. Kadirus ursprünglich vorgesehener Gegner für den Samstag ist kurzfristig ausgefallen, der neue, Eugen Buchmüller, hat von 21 Kämpfen 16 gewonnen. Er ist 16 Jahre älter, erfahrener, hat das Auge des Alters - und dennoch ist er gegen einen Athleten wie Kadiru der klare Außenseiter. Doch für diesen geht es ohnehin nicht darum, dass er gewinnt - sondern darum, wie er gewinnt.

"Ich sehe mich noch in einer Phase, in der ich viel lernen kann", sagt Kadiru, "gerade im Schwergewicht geht es nicht nur um Kraft. Es geht darum, Situationen zu erkennen - und dann zu entscheiden, ob es nun Kraft braucht oder doch eher eine Finte." Trainer Christian Morales lobt, dass Kadiru vieles mitbringe, "er ist beweglich, er hat schnelle Beine, er kann hart schlagen". Nun müsse er an der "berühmten Ringintelligenz" arbeiten. Morales will, dass Kadiru sich den Kampf einteilt, dass er nicht jede Runde mit hohem Tempo angeht, dass er lernt, Ruhe in seinen Auftritt zu bringen. "Ich will von ihm auch immer wieder eine Idee sehen, wie eine Situation zu lösen ist."

Durch all diese Fähigkeiten, sagt Morales, "wird er gewappnet sein, falls irgendwann einmal der große Angriff kommen sollte".

All das klingt nach einem vernünftigen, fast naheliegenden Weg. Doch gerade im Schwergewicht wurden in den vergangenen Jahren Boxer überverkauft, war das Drumherum viel spektakulärer als der Athlet selbst. Kadiru aber sagt: "Ich weiß schon, dass das Schwergewicht ganz besonders beachtet wird. Manche schaffen es da leider auch nach oben, indem sie eine große Show machen, laut sind. Ich glaube aber, dass ich auch dann beachtet werde, wenn ich ruhig und diszipliniert an mir arbeite. Dann wird vieles möglich sein."

Und sollte er es tatsächlich nach ganz oben schaffen, dann wäre dieser neue, ruhige, zwar selbstsichere, aber nicht überhebliche Tonfall vielleicht ein noch größeres Vermächtnis als jeder gewonnene Titel.

© SZ vom 18.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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