Boxen:Nervenbündel gegen Schaumschläger

Boxen: Das übliche Verbalgetöse vor einem Boxkampf – das allerdings auch erste Indizien liefert: Deontay Wilder (links) wirkt angespannt, Tyson Fury bleibt gelassen und hat sichtlich seinen Spaß.

Das übliche Verbalgetöse vor einem Boxkampf – das allerdings auch erste Indizien liefert: Deontay Wilder (links) wirkt angespannt, Tyson Fury bleibt gelassen und hat sichtlich seinen Spaß.

(Foto: Isaac Brekken/AP)

Vordergründig geht es beim Rückkampf zwischen Deontay Wilder und Tyson Fury um einen WM-Titel. In Wahrheit steht wieder einmal viel mehr auf dem Spiel - vor allem für Wilder.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Wer vom Haupteingang des MGM Grand in Las Vegas zur Boxarena will, der hat einen Fußmarsch vor sich, der nur knapp unter Marathondistanz liegt. Das macht aber nichts, es gibt genügend Oasen zur Stärkung sowie Spielverlockungen zum Geldverlieren, vor allem aber gibt es überall Erinnerungen an die legendären Boxkämpfe in dieser Stadt, bei denen die Nachnamen der Kontrahenten genügen, damit Connaisseure des Faustgefechts die entscheidenden Bewegungen nachahmen: Chavez gegen Taylor, Hearns gegen Hagler, Holyfield gegen Tyson. Am Samstag soll ein unvergessliches Duell hinzukommen, wenn sich Deontay Wilder und Tyson Fury zum Rückkampf treffen.

Der erste Kampf vor 14 Monaten endete unentschieden, Boxfans machten zwei Bewegungen dazu: aufgerissene Augen darüber, wie in aller Welt Fury nach dem brutalen Niederschlag in der zwölften Runde wieder aufstand, und noch weiter aufgerissene Augen, wie jemand das Geschehen, das Fury trotz zweier Niederschläge gegen sich weitgehend dominiert hatte, mit 115:111 Zählern für Wilder werten konnte.

Aber Punktrichter mit Sehschwäche gehören zum Boxen wie Verlockungen zu Vegas. Deshalb gibt es nun also dieses zweite Duell, für das sich viel mehr Leute interessieren als für das erste, weil diese Gewichtsklasse nun plötzlich spannend ist. Offiziell geht es um den Schwergewichts-titel des Verbandes WBC, in Wahrheit um viel mehr - vor allem für Wilder.

Von Wilder-Kämpfen bleiben oft nur dessen Einmärsche in bleibender Erinnerung

Der 34-Jährige sollte aufgebaut werden zum nächsten großen Amerikaner des Schwergewichts, nach Ali, Tyson, Holyfield, und von der Bilanz her hat das auch funktioniert: Wilder hat keinen seiner bislang 43 Profikämpfe verloren, er ist seit mehr als fünf Jahren WBC-Weltmeister. Die Leute wollen beim Boxen jedoch nicht nur sehen, wer gewinnt - sie wollen mitfiebern und später die einzigartigen Bewegungen nachahmen: wie Julio César Chavez am Ende der zwölften Runde die Links-rechts-Kombination serviert, wie Marvin Hagler den rechten Haken an den Kopf von Thomas Hearns zimmert, wie Mike Tyson ins Ohr von Evander Holyfield beißt.

Was einem von Wilder-Kämpfen in Erinnerung bleibt - und da kann es kaum ein schlimmeres Urteil für einen Boxer geben: der Einmarsch, bei dem er ein Kronen-Masken-Gebilde und "Mad Max"-artige Kostüme trägt. Er hat sich, und auch das spricht nicht gerade für die sportlichen Qualitäten eines Boxers, seinen Spitznamen selbst verliehen: Wegen seiner Medaille bei Olympia 2008 und wegen Joe Louis ("The Brown Bomber") heißt er "Bronze Bomber". Kaum jemand erinnert sich daran, was bei den Kämpfen im Ring passiert, weil Wilder technisch arg limitiert boxt, sich trotz eines beneidenswert austrainierten Körpers unbeholfen bewegt und den meist sorgsam ausgewählten Gegnern irgendwann mit einer wuchtigen Rechten die Lichter ausknipst.

All das führt zu ein paar Problemen bei der Vermarktung: Wilder wäre wahnsinnig gern ein cooler Typ, wirkt dabei jedoch wie so ziemlich jeder Mensch, der das mit dem Coolsein unbedingt erzwingen will. Er glaubt, dass er längst auf einer Ebene mit Ali, Tyson und Holyfield steht. "Wenn die Leute nach meiner Karriere an Boxen denken, dann sollen sie zuerst an meinen Namen denken", sagt er: "Ich will den Respekt, den ich verdiene." Wilder ist in dieser Woche vom Haupteingang des MGM Grand zur Arena gelaufen - wahrscheinlich als Konditionseinheit -, er redete auf dem langen Weg mit Reportern, und dabei wurde klar, dass er sich sehr ernst nimmt, den Gegner am Samstag indes nicht so sehr: "Im Lebenslauf von Fury stehen zwei große Kämpfe: gegen Klitschko und gegen mich. Schaut doch mal meinen an."

Kurzer Blick in diesen Lebenslauf: Erinnerungswürdig ist nur jenes Duell mit Fury, dabei kam Wilder weder im Ring noch bei den Erklärungen besonders gut weg. Schlimmer noch: Fury mag zwar aussehen und sich bisweilen so benehmen wie einer, der auf der Wanderkirmes gegen jeden antritt, der dafür bezahlt. Es gibt jedoch kaum jemanden, der einen so großen (2,06 Meter) und wuchtigen (120 Kilo) Körper derart elegant bewegt wie er; das hat er bei seinen Erfolgen gegen Dereck Chisora (2011/2014), Steve Cunningham (2013) und Wladimir Klitschko (2015) gezeigt. Gegen Wilder bewies er, dass er einstecken kann und ganz offensichtlich das besitzt, was sie beim Boxen "Cojones" nennen. Eier.

Fury, 32, ist ein Schaumschläger, der sich selbst nicht besonders ernst nimmt, und er ist umso unterhaltsamer, weil er sich diese Verrücktheiten leisten kann - er ist als Profiboxer noch immer unbesiegt. Im Oktober trat er beim Catchen auf und spendete die Börse in Höhe von 15 Millionen Dollar für gemeinnützige Zwecke. Kurz darauf veröffentlichte er das Buch "Behind the Mask", in dem er solche Sätze über Depression schreibt wie diesen: "Wenn das jemanden wie mich in die Knie zwingt, dann kann es jedem passieren - aber wenn jemand wie ich wieder aufsteht, dann kann es jeder schaffen."

Kurzum: Dieses Duell am Samstag ist vor allem wegen Fury so interessant. Das kann einem wie Wilder nicht gefallen.

Wer will, dass sich die Leute an einen erinnern in diesem Sport, der muss unvergessliche Schlachten liefern. Dafür braucht es Gegner, die einen an eine Grenze treiben, die man sonst nicht erreichen würde. Das Publikum wiederum muss sehen, dass der Sieger diese Grenze selbst erreicht hat und nicht von Punktrichtern dorthin geschleppt wurde, weil es das Drehbuch so vorsieht. Der Plan für Wilder war ein anderer als der Rückkampf am Samstag: Er sollte Fury verprügeln; der britische Klitschko-Bezwinger Anthony Joshua unterdessen die Herausforderer Alexander Powetkin und Andy Ruiz aus dem Weg räumen. Dann sollte es zum transatlantischen Spektakel kommen, mit 100 Millionen Dollar Kampfbörse. Joshua jedoch verlor gegen Ruiz und gewann erst den Rückkampf, Wilder erlebte diesen ernüchternden Abend gegen Fury.

Und so braucht Wilder diesen Sieg dringender als Fury. Es ist möglich, dass er deshalb nervöser ist als sein Gegner, wie dieser Moment bei der ersten Begegnung am Mittwoch zeigte. Die beiden Kontrahenten beschimpften sich gegenseitig, es gab eine Schubserei, das übliche Geplänkel vor einem Kampf. Dann flog plötzlich eine Taube durch die Arena. Wilder war verwirrt, Fury amüsierte sich prächtig, das setzte den Ton für den Rest des Treffens. Wilder wirkte aufgeregt, brüllte teils wirre Sachen und beleidigte Fury immer wieder. Der blieb gelassen, hatte einfach nur Spaß, und als der Termin vorbei war, lief er nicht durchs Hotel. Er ließ sich am Hintereingang der Boxarena abholen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: