Boxen: Klitschko gegen Haye:Von Opfern und Idioten

Seit Monaten pöbelt David Haye gegen Wladimir Klitschko - und macht damit nur, was im Boxen und auch anderswo seit jeher getan wird: Eine Kulturgeschichte der gezielten Beleidigung, oder warum sich Klitschko nicht so anstellen sollte.

Bertram Job

Seit etlichen Wochen schon mokiert sich ein ukrainischer Doktor der Sportwissenschaften über die fortgesetzten Verbalinjurien eines britischen Berufskollegen. Der 30-jährige Emporkömmling aus London lässt keine Gelegenheit aus, dessen Leistungen öffentlich herabzuwürdigen.

Boxen: Klitschko gegen Haye: Meister der gezielten Provokation: Muhammad Ali, damals noch Cassius Clay, beim Kampf gegen Sonny Liston.

Meister der gezielten Provokation: Muhammad Ali, damals noch Cassius Clay, beim Kampf gegen Sonny Liston.

(Foto: AFP)

Wenn es sich dabei um zwei verbissene Jungakademiker handelte, wären nun wohl giftige Seitenhiebe in Seminaren und Fachorganen fällig, von denen außer ihresgleichen niemand Notiz nimmt. Weil es aber um zwei renommierte Preisboxer geht, die sich an diesem Samstagabend im Ring einer Hamburger Fußballarena leibhaftig gegenüber stehen, zirkulieren jetzt derbe Worttiraden in den internationalen Medien.

Der häufigste Vorwurf, den Wladimir Klitschko in diesem Zusammenhang erhebt, betrifft die respektfreien Salven seines streitbaren Gegners David Haye, der ihn mal als "langweiligen Roboter" und mal als "beschissenen Esel" tituliert. Für den populären Schwergewichts-Weltmeister ist das alles nur "Trash-Talk", mit dem er aus der Fassung gebracht werden soll - und damit per se schon nicht diskurs- oder gesellschaftsfähig.

Also reagiert Dr.Klitschko, wie düpierte Erzieher sich traditionell bei solchen Anlässen verhalten. Er rümpft die Nase über den degoutanten Stil, in dem bildungsbürgerliche Werte (Höflichkeit, Respekt, Bescheidenheit) über Bord befördert werden und droht postwendend Sanktionen, in diesem Fall sogar die Prügelstrafe an.

"Am 2.Juli wird es eine gehörige Lektion für dich geben", polterte Ausbilder Klitschko am vergangenen Montag auf der abschließenden Pressekonferenz in Richtung Haye - zusätzlich erbost über den Umstand, dass der erst mit einiger Verspätung zum Termin erschien. Und sein TV-Partner RTL, dessen Geschäft von den markanten Ausfällen des Briten bestens angeschoben wird, gibt sich nach außen ähnlich betroffen.

Beinahe täglich werden über seinen Presseverteiler und im Internet Meldungen abgesetzt, die deftige Zitate mit bigotter Distanz kolportieren. "Haye provoziert Klitschko", lauten die Schlagzeilen, oder "Haye geht auf die Barrikaden".

Die gespielte Bestürzung geht am linguistischen Phänomen des Trash-Talk weit vorbei. Als bewusst aggressive, den allgemeinen Konsens ignorierende Variante der "prahlerischen Rede", wie es in den Lexika oft sinngemäß heißt, will sich der Trash-Talker so drastisch wie möglich über sein Gegenüber erheben.

Er pumpt sich rhetorisch auf und nimmt dabei keine Rücksichten, weshalb ihn etwaige Moralpredigten nicht erreichen. Der offene Tabubruch ist schließlich keine Grenze, sondern eines seiner wichtigsten Stilmittel: Wer sich in prekärem Gelände behaupten will, setzt sich über die Regeln des gepflegten Miteinanders bei Bedarf hinweg.

Meister der Provokation: Muhammad Ali

Originalität und Wortwitz unterstützen seine Strategie, die Zuhörer auf seine Seite zu ziehen. Der sogenannte "Punster", der seine Rivalen mit Wortspielen und witzigen Inventionen dem Gespött freigibt, hatte im britischen Pub-Alltag seit jeher seinen festen Platz. Die Trash-Talker sind nun seine jugendlichen Erben.

Official intermits as heavyweight boxers, IBF and WBO titleholder Klitschko of Ukraine and WBA champion Haye of Britain stand face to face after their weigh-in in Hamburg

Mögen sich nicht besonders: Wladimir Klitschko und David Haye.

(Foto: REUTERS)

Man muss sehr schnell, direkt und witzig sein, um es in der trivialen Kunst der Beleidigung und Selbstanpreisung zur Meisterschaft zu bringen. So führt die Spur des Trash-Talk nicht zufällig in die Subkultur des Hip Hop, wo Atemlosigkeit die halbe Miete ist. In Curtis Hansons Spielfilm "8 Miles" spielt Rapper Eminem den Jimmy "B-Rabbit" Smith Jr., der sich mit anderen Kids etliche "Battles" um die phonetische Vorherrschaft auf Detroits weniger feinen Straßen liefert. Wer hier sein Stakkato mit dem meisten Drive und "Boost" vorbringt, ist der gefühlte Champion.

Ähnlich gilt übrigens in der Graffiti-Szene derjenige "Writer" als wahrer König, der die besten und verwegensten "Tags" anbringt. Eigener Stil und ostentativer Mut sind entscheidende Kriterien für das inoffizielle Ranking im Viertel und in der Szene. Das gilt jenseits der 8 Mile-Road in Detroit ebenso wie in Bermondsey, jenem vernachlässigten Stadtteil im Südosten Londons, wo David Haye als Sohn englisch-jamaikanischer Eltern aufwuchs.

Die Posen und Trash-talk-Pointen des Hip-Hop sind inzwischen auch auf deutschen Schul- und Hinterhöfen der Standard. Zwischen Moabit, Köln-Kalk und Neuperlach hauen sich Jungs und Mädels Herabsetzungen um die Ohren, dass es ihrer Elternschaft schwindlig wird. Wie Fäuste kommen Zumutungen wie "Opfer", "Behinderter" und "Fickfehler" angeflogen, und wem darauf ein schneller Konter einfällt, dem geht es wie im Boxen deutlich besser.

"Deine Mutter tanzt im Bus an der Stange" ist zum Beispiel ein grandios-fieser Haken, der sitzt. Wirklich nett geht sicher anders, aber jede Jugend- und Subkultur hat ihre eigene Semiotik der Verwegenheit. Darum dringen belehrenden Einlassungen von außen kaum je durch: Wer sich nur stereotyp über das "unmögliche Benehmen" echauffiert. bleibt als Kollaborateur des Etablierten außen vor.

Auch die Preisboxer wissen längst die präpotente Salve zu nutzen, um sich wirksam in Szene zu setzen - kreist in ihrer großspurigen Mikrowelt doch beinahe alles um demonstrative Selbstgewissheit. "Streicht meinen Namen aus den Rekordbüchern, wenn ich diese Null nicht schlagen kann", tönte Schwergewichts-Weltmeister Jersey Joe Walcott 1952 vor seinem Kampf gegen Rocky Marciano - und ging in Runde 13 k.o. "Der kann nicht mal einen geparkten Bus erwischen", giftete sein Nachfolger Larry Holmes 1985 über die Beinarbeit von Michael Spinks, der ihn nach Punkten besiegte.

Kein anderer aber setzte den Trash-Talk so methodisch ein wie Muhammad Ali. Der Größte von eigenen Gnaden pries sein hohes Tempo ("Ich werde so schnell sein, dass er sich umzingelt fühlt"), spann kleine, böse Verse im Hip-Hop-Takt um die Namen seiner Gegner und lästerte über deren Aussehen. "Der ist zu hässlich, um Champion zu sein", hieß es unisono über Sonny Liston, Joe Frazier und Leon Spinks.

Ich Halbgott, du Vollidiot: Das ist im Kern die (nicht immer bierernst gemeinte) Botschaft, die das Ballyhoo der Boxer mit dem Trash-Talk gemeinsam hat. Und wenn das witzig vorgebracht wird, kurbelt es die PR-Maschine leider wirksamer an als alle nüchternen bis höflichen Auskünfte.

Wer habe denn schon von ihm gesprochen, fragte David Haye in diesen Tagen augenzwinkernd, bevor er sich vor zwei Jahren mit diesem T-Shirt zeigte, auf dem er die abgeschlagenen Köpfe der Klitschkos in die Höhe hält? Darum geht die Entrüstung des ukrainischen Sportwissenschaftlers ("Du hast keine Manieren!") an den rhetorischen Traditionen seines Showsports vorbei. David Haye ist nicht unverschämter als Muhammad Ali, den Wladimir Klitschko stets als Vorbild angibt. Und wie man sich hier und da zu betragen hat, lässt sich so einer bestimmt nicht von einem Milchschnitten-Testimonial diktieren.

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