Süddeutsche Zeitung

Boxen:Ihr Duell ist richtungsweisend

Abass Baraou tritt im Superweltergewicht gegen Jack Culcay an, der Gewinner ist ausnahmsweise mal nicht vorhersehbar. Der Kampf könnte das deutsche Boxen aus seiner Lethargie befreien.

Von Benedikt Warmbrunn

Im zehnten Kampf seiner Profikarriere trat der spätere Weltmeister Felix Sturm an gegen den Amerikaner Robert Davies, der von seinen vorherigen 14 Duellen nur eines gewonnen hatte. Sturm gewann nach Punkten. Im zehnten Kampf seiner Profikarriere trat der spätere Weltmeister Wladimir Klitschko an gegen den Amerikaner Gilberto Williamson, der zuvor zweimal verloren hatte. Klitschko gewann vorzeitig. (Williamson boxte ein paar Wochen später gegen Wladimirs älteren Bruder Vitali, der ebenfalls Weltmeister werden sollte.)

In den ersten Kämpfen eines talentierten Boxers geht es oft genau darum nicht: ums Boxen. Es geht oft vielmehr darum, ein paar Erfahrungen zu sammeln, vor allem aber eine makellose Bilanz, die furchteinflößend klingen soll - und die später einmal bei den großen Kämpfen viel Geld wert sein soll. In den ersten Kämpfen eines talentierten Boxers geht es meist nur um das Geschäft.

Abass Baraou ist 25 Jahre alt, er will einmal Weltmeister werden. In seinem zehnten Kampf als Profi tritt an diesem Freitag an gegen Jack Culcay, der neun Jahre älter ist, der schon Weltmeister war, der wieder Weltmeister werden will. Baraou sagt: "Ich interessiere mich nicht für meine Statistik. Ich komme aber auch nicht, um nur Erfahrungen zu sammeln." Er sagt: "Ich bin einfach auf mich gespannt in diesem Kampf, darauf, wie ich ihn dominieren werde."

Die deutschen Box-Teams haben erkannt, dass sie sich nicht mehr alles erlauben können

Baraou und Culcay zählen in Deutschland nicht zu den bekanntesten Sportlern, ihr Duell im Superweltergewicht wird keine Millionen vor den Fernseher locken (Sport1 überträgt ab 21 Uhr). Und doch ist ihr Duell richtungsweisend: Es könnte das deutsche Boxen aus seiner Lethargie befreien, denn ein Duell wie dieses gab es schon lange nicht mehr: ein Duell, bei dem nicht vorhersehbar ist, wer gewinnen wird. Der wendige, erfahrene Culcay, der sich noch einmal für einen WM-Kampf positionieren will? Oder Baraou mit seinen schnellen Fäusten, der auf einem steilen Weg zum ersten WM-Kampf kommen könnte?

"Boxkämpfe auf schlechtem Niveau finden ja ständig statt", sagt Horst-Peter Strickrodt, der Manager des Berliner Agon-Teams. Mit dem Duell zwischen seinem Boxer Culcay und Baraou vom Team Sauerland wolle er "auch wieder das beseitigen, was das deutsche Boxen in den vergangenen Jahren kaputt gemacht hat: Dass alles gehypt wurde, dass jedes Duell einen Titel verliehen bekommen hat, dass dann aber sofort einer der Kämpfer umgefallen ist wie sonst noch was." Der Zuschauer, sagt Strickrodt, "ist sich irgendwann nur noch verarscht vorgekommen, der ist mittlerweile richtig sauer". Irgendwann, sagt Strickrodt, habe kein Sender mehr Boxen übertragen wollen, das Geld ging aus, das Niveau ließ noch mehr nach. Nun klingt auch Strickrodt sauer: "Mit dem Duell zwischen Jack und Abass wollen wir versuchen, das deutsche Boxen neu zu orientieren."

Strickrodt nennt Sauerland nicht namentlich als Schuldigen für den Niedergang des deutschen Boxens, dazu ist er zu höflich. Er muss das auch gar nicht betonen - bei Sauerland wissen sie auch so, dass sie sich nicht mehr alles erlauben können. "Unter normalen Umständen hätten wir über dieses Duell wahrscheinlich nicht gesprochen", sagt Frederick Ness, der als Sauerland-Berater mit Strickrodt verhandelt hat, "aber wir wissen, dass dieses Duell dem deutschen Boxen insgesamt dient. Wir wissen, dass es Nachholbedarf gibt."

"Die Frage ist: Wollen wir im deutschen Boxen umdenken?"

Bereits im Februar hatten die beiden Seiten über ein Duell gesprochen, damals wollte Sauerland nichts überstürzen. Ness gesteht auch, dass sich durch die Corona-Krise "Konstellationen ergeben haben, zu denen es vielleicht sonst nicht gekommen wäre". Dazu zählt, dass die deutschen Boxteams zusammenarbeiten, allein schon, weil es keine Reiseauflagen oder Quarantäneregeln gibt. Ness spricht von Gesprächen über weitere hochwertige Duelle: "Wir müssen im deutschen Boxen enger zusammenrücken, wenn wir wieder etwas bieten wollen." Strickrodt sagt: "Die Frage ist: Wollen wir im deutschen Boxen umdenken? Dann müssen wir gleich nach diesem Duell damit weitermachen."

Wer nun am Freitag gewinnen wird? Ness sagt, die Chancen stünden "fifty-fifty"; Strickrodt glaubt, dass "die berühmte Tagesform" entscheidend sein könnte. Baraou sagt: "Ich bin gespannt, wie der Tag laufen wird. Aber ich bin sicher, dass ich ihn genießen werde."

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SZ vom 28.08.2020/ska
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