Süddeutsche Zeitung

Boxen:Ein Putin-Mann als Präsident

Angriffskrieg? Uns doch egal. Der Boxverband IBA kürt Umar Kremljow erneut zum Präsidenten. Das erhöht die Abhängigkeit von Russland und verschärft die Diskussion um ein Olympia-Aus für die Sportart.

Von Johannes Aumüller

Am Ende war die Wahl schnell erledigt. Wobei Wahl das falsche Wort ist für das, was beim Kongress des internationalen Boxverbandes (IBA) in Istanbul passierte. Kurz vor der Abstimmung war nämlich unter fragwürdigen Umständen die Kandidatur des Herausforderers Boris van der Vorst für ungültig erklärt worden. So blieb alleine der Amtsinhaber Umar Kremljow aus Russland als Bewerber übrig - und die 155 teilnehmenden Mitgliedsländer bestätigten ihn gleich per Akklamation für eine weitere Legislaturperiode im Präsidentenjob. Doch mit dessen Wahl hat sich der ohnehin schwer belastete Verband nur weiter in Schwierigkeiten manövriert; denn nun verschärft sich die Debatte, ob Boxen aus dem olympischen Programm fliegt.

Es ist schon ein besonderer Affront, den der Boxsport rund um seinen Kongress aufgeführt hat. Immer wieder tut der organisierte Sport in diesen Tagen so, als gebe es strenge Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Tatsächlich betreffen diese weitgehend nur das Startrecht von Athleten und Mannschaften. Das Gros der Funktionäre hingegen bleibt unbehelligt. Doch dass die seit Jahrzehnten skandalumtoste IBA (früher AIBA) trotz des Überfalls einen umstrittenen russischen Funktionär nicht nur im Amt belässt, sondern sogar aktiv wählt, toppt diese Haltung noch einmal.

Zumal Kremljow jemand ist, der das System Putin trefflich repräsentiert. Der 39-Jährige machte seine Karriere auch dank des engmaschigen Netzwerks, mit dem der Kreml in den vergangenen Jahren den Weltsport durchzog. Früher war er mal Mitglied bei den "Nachtwölfen", einer Rockergruppe, die Staatschef Wladimir Putin nahesteht. Später amtierte Kremljow als Generalsekretär des russischen Box-Verbandes, der ein gutes Beispiel dafür ist, wie intensiv die Staatsspitze in allen Sportarten mitmischt: Damals wie heute gehören zu den Aufsichtsgremien so enge Putin-Vertraute wie Igor Setschin, Chef des Öl-Konzerns Rosneft, oder Alexej Rubeschnoj, seines Zeichens über viele Jahre so etwas wie der oberste Leibwächter des Staatschefs. Und kurz nachdem Kremljow 2020 an die Spitze der hoch verschuldeten IBA gerutscht war, stieg der staatlich kontrollierte Energiekonzern Gazprom als Hauptsponsor ein, um die finanziellen Probleme zu lösen.

Nun will sich das IOC mit dem Vorgang befassen

Viele Mitgliedsverbände haben mit Kremljow trotz dieser Hintergründe kein Problem. Im Gegenteil: Sie sind offenkundig der Meinung, dass sie auf das russische Geld angewiesen sind und ihrem Sport ansonsten der Kollaps droht. Und endgültig geklärt wurde die Sache, als kurz vor der Wahl ein formal unabhängiges Gremium auch noch den niederländischen Gegenkandidaten Boris van der Vorst ausschloss und so Kremljows Wiederwahl absicherte. Die Begründung: Er habe zu einem unerlaubten Zeitpunkt Wahlkampf gemacht. Die Gegner des Präsidenten sind schockiert über diesen Vorgang, van der Vorst selbst kündigte den Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) an.

Für die Boxer ist nun entscheidend, welche Folgen Kremljows Kür für ihren Status im olympischen Kosmos hat. Das Internationale Olympische Komitee reagierte mit kritischen Einlassungen. "Die verschiedenen Bedenken des IOC, einschließlich der finanziellen Abhängigkeit von dem staatlichen Unternehmen Gazprom, sind noch immer nicht ausgeräumt", hieß es in einer Stellungnahme: Die Ereignisse rund um den Kongress, "insbesondere die Wahlen, verdienen eine sorgfältige Analyse und verstärken die Fragen und Zweifel an der Führung der IBA nochmals". Noch in dieser Woche will sich die Exekutive mit dem Boxsport befassen.

Ob die Entscheidung des Konvents nun wirklich Konsequenzen hat, wird sich zeigen

Diese Sätze passen zu der Linie, die das IOC nach jahrelangem tatenlosen Zusehen zuletzt vertrat. So entzog es dem Verband bereits die Ausrichtung des Olympia-Turnieres in Tokio. Für Los Angeles 2028 ist Boxen bisher nicht im Programm vorgesehen, zudem sind Gelder eingefroren, die dem Verband zustehen.

Doch ob die Entscheidung des Konvents nun wirklich Konsequenzen hat, wird sich zeigen. Es hat in der Box-Frage schon deutlich mehr kritisch klingende Worte als tatsächliche Taten gegeben. Und in den vergangenen Jahren waren wichtige IOC-Mitglieder um ihren Präsidenten Thomas Bach mit großer Nähe zu Russland und dem System Putin aufgefallen. Michael Müller, Sportdirektor des Deutschen Boxsport-Verbandes, sagte der dpa: "Offiziell hat sich niemand vom IOC zu Kremljow geäußert. Wir wollen endlich klare Aussagen. Hätte das IOC klipp und klar gesagt: Wählt ihr wieder Kremljow, bleibt Boxen suspendiert und wird nicht gefördert, hätte Kremljow keine Stimme gekriegt."

Jetzt hat Umar Kremljow viele klatschende Hände bekommen - und ist die Frage, wie das IOC auf diesen Affront reagiert.

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