Süddeutsche Zeitung

Boxen:Fauler Zauber

Lesezeit: 3 min

Nach zwei Niederlagen stellt sich Wladimir Klitschko in Las Vegas dem 36-jährigen DaVarryl Williamson.

Von Ralf Wiegand

Hamburg - Las Vegas ist bekanntlich die Stadt der Illusionen. Hier zauberten Siegfried und Roy, ehe Roy der Tiger biss. David Copperfield lässt Häuser, Menschen und Elefanten verschwinden oder zersägt sich gern auch selbst.

Deshalb ist es keine Überraschung, dass in dieser Stadt hinter dem Amphitheater der Eiffelturm wächst. Ein Eiffeltürmchen wenigstens, denn in Las Vegas liegt Mini-Paris neben Mini-New York neben Mini-Venedig, und dazwischen liegt das riesige Ceasar's Palace.

Der legendäre Hotelkomplex dient seit jeher als Kulisse für das nicht weniger illusionäre Profiboxen, und magisch waren die Open-Air-Kämpfe, die es früher dort gab: Muhammad Ali, Sugar Ray Leonard und Larry Holmes boxten unterm weiten Wüstenhimmel.

Nun eröffnet das Ceasar's eine neue Freiluft-Bühne, eben jenes Amphitheater, mit einem Mann, der in einer solch illustren Reihe aber auch gar nichts verloren hat. Wladimir Klitschko, 28, ukrainischer Ex-Weltmeister, empfängt zu einem Kampf am boxerischen Existenzminimum den 36-jährigen DaVarryl Williamson. Selbstverständlich sind nicht alle Karten verkauft.

Eine Illusion ist es eben auch, dass Las Vegas eine "Wahnsinns-Boxnacht" erleben wird, wie der Pay-TV-Sender Premiere hierzulande brüllt. Der Bezahl-Kanal begrüßt den im Rechtsstreit mit seinem Ex-Manager Klaus-Peter Kohl liegenden kleinen Klitschko zurück im Programm und feiert das mit einer besonderen Premiere-Premiere.

Der "Oktoberfist", wie die Amerikaner das Gefäustel des Ukrainers gegen Williamson seltsam deutschtümelnd betitelt haben, landete im Direktprogramm. Das heißt: Nur, wer 19,90 Euro zahlt, kann den Kampf sehen. Bisher kosteten Box-Events 15 Euro und die Klitschkos gar nichts, weil sie sich fürs ZDF schlugen.

Die Reaktionen in den Internet-Foren sind entsprechend. Einerseits kommen dort mitfühlende Klitschko-Fans wie Sandmann aus Limburg beinahe die Tränen, wenn sie darüber fabulieren, dass die Klitschkos "gerade eine schwere Zeit" durchmachen und, wenn sie es selbst zu entscheiden hätten, der Kampf natürlich auf ARD und ZDF laufen würde: "Sie brauchen doch ihre Fans."

Sandmann hat sich, um ins Pay-TV investieren zu können, sogar das Rauchen abgewöhnt. Andere wiederum, wie Witti, haben dem eigenen Bekunden nach "die Schnauze voll" von den ebenso alerten wie geschäftstüchtigen Box-Brüdern und wünschen ihnen, alsbald "im Boxstaub unterzugehen".

Tatsächlich ist die Pay-Per-View-Aktion einerseits aus der Not geboren, weil der Kampf erst letzten Freitag an Premiere fiel und nicht einfach so "versendet" werden soll, wie es aus München heißt.

Andererseits haben auch die Klitschkos selbst Interesse an der speziellen TV-Vermarktung. Mit ihrer Firma K2 könnten sie, wenn die Trennung vom Hamburger Universum-Boxstall auch juristisch vollzogen ist, dauerhaft bei Premiere landen. Der Kampf in der Nacht zum Sonntag (4Uhr) dient beiden als Testballon.

Karriere im freien Fall

Ein gewagtes Unterfangen, denn viele Argumente gibt es nicht, einem Boxer zuzuschauen, der gerade die Karriere im freien Fall erprobt. Gegen Lamon Brewster und Corrie Sanders ging Wladimir Klitschko zuletzt auf die Bretter, wobei vor allem die Klatsche gegen Brewster immerhin größten Unterhaltungswert hatte.

Nach wildesten Spekulationen über manipulierte Getränke und unerkannte Krankheiten hat Wladimir Klitschko nun frustriert den Cutman gewechselt. Im Brewster-Kampf soll Adjutant Joe Souza die Beine des Boxers mit Vaseline eingeschmiert haben, was angeblich die Poren verstopfte und die Körpertemperatur derart in die Höhe trieb, dass Klitschko in der fünften Runde über Betriebstemperatur lief.

Beim K.o. wirkte der Hüne so platt, als wäre ein Bulldozer über ihn hinweggerollt.

Solche atemberaubende Theorien haben Wladimir Klitschkos Ruf in den USA nachhaltig beschädigt. Nichts verabscheuen Box-Experten dort mehr als Verlierer, die sich mit abstrusen Verschwörungstheorien lächerlich machen.

"Heulsuse" ist noch der harmloseste Kosename, den Box-Dienste für den Ukrainer gefunden haben. Seinem Gegner DaVarryl Williamson widmen sie sich allerdings ähnlich hingebungsvoll: Erst seit fünf Jahren Profi, geben sie dem Gesandten eines mexikanischen Kartoffelchips-Herstellers für den Show-Kampf über zehn Runden am Samstag die Chancen eines "Bowling Pin".

Interessant an diesem Kampf ist also nur, wer ihn verliert. Williamson, der als Meister der North American Boxing Federation und 26. der Weltrangliste in den Ring steigt, dürfte bei einer Niederlage aus dem Geschäft verschwinden.

Klitschkos endgültiges Karriereende sollte dagegen niemand prognostizieren. Der 28-Jährige steht anscheinend unter dem Schutz aller Magier von Las Vegas und ist noch immer irgendwo überraschend wieder aufgetaucht.

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Quelle:
SZ vom 2. Oktober 2004
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