Boxen:Er denkt mit den Fäusten

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Mit neun Jahren ging er erstmals zum Boxtraining, mit zehn bestritt er seinen ersten Kampf, mit 27 boxt er erstmals um die WM: Shefat Isufi. (Foto: Christian Schroedter/imago)

Der Münchner Shefat Isufi boxt um die Weltmeisterschaft im Supermittelgewicht - für ihn geht es dabei auch um ein Versprechen an seinen Vater.

Von Benedikt Warmbrunn

Shefat Isufi steht in einem Kellergewölbe in Neubiberg, die Decken sind tief, die Wände eng, es ist kein prunkvoller Ort. Isufi aber sieht einen Raum, in den sich alles hineininterpretieren lässt, einen Keller der Möglichkeiten. Shefat Isufi ist Boxer, und ein Boxer braucht nicht viel, solange er den Glauben an sich selbst hat. Isufi blickt auf die Wände, er sieht dort sich selbst, Fotos von seinen Kämpfen, Fotos von ihm mit diversen Titeln, doch Isufi blickt an diesen Fotos vorbei. Ein Foto fehlt noch. Isufi sagt: "Ich glaube an mich, weil ich in mir einen Drang spüre. Ich möchte ein Versprechen erfüllen, das ich meinem Vater gegeben habe, bevor er gestorben ist."

Isufi, geboren 1990 in Veliki Trnovac, einer Stadt im Süden Serbiens, die fast nur von Albanern bewohnt wird, war neun Jahre alt, als er erstmals zum Boxtraining ging. Er war zehn Jahre alt, als er erstmals einen offiziellen Boxkampf bei den Amateuren bestritt. Sein wichtigster Förderer in diesen Jahren war sein Vater Nasuf, der selbst nicht viel hatte, aber den Glauben an das boxerische Talent seines Sohnes. Shefat Isufi wurde ein Teenager, der dachte, dass ihm das Boxen all das Glück der Welt bringen könnte. Dann erkrankte sein Vater schwer. Isufi versprach ihm noch, dass er immer eifrig trainieren werde, dass er sich von keinem Blödsinn vom Boxen ablenken lassen werde. Und dass er eines Tages das Ziel erreichen werde, von dem sein Vater und er immer gemeinsam geträumt hatten: einen Weltmeistertitel.

An diesem Samstag ist der 27 Jahre alte Isufi diesem Ziel so nah wie noch nie zuvor in seiner Karriere. In Stevenage, einem Ort 40 Kilometer nördlich von London, boxt Isufi gegen Billy Joe Saunders, genannt: Superb. Die beiden kämpfen um den vakanten WM-Titel im Supermittelgewicht nach Version der World Boxing Organization (WBO). Bevor er in den Ring steigen wird, wird Isufi wie vor jedem seiner bisherigen 30 Kämpfe als Profi (27 Siege, drei Niederlagen) an seinen Vater denken und an sein Versprechen. "Ich bin topmotiviert", sagt Isufi. Die Erinnerung an sein Versprechen, mehr braucht er dazu nicht.

Für alles andere hat er ja seine Fäuste.

Es gibt Boxer, die analysieren einen Kampf so lange, bis er seinen Reiz verloren hat; bei Wladimir Klitschko war das manchmal so. Der Ukrainer hatte einen Boxkampf wie ein Schachspiel gesehen, manchmal hatten seine Duelle dann auch eine ähnliche Dynamik. Für solche Überlegungen ist Isufi aber zu leidenschaftlich, für solche Überlegungen hat er zu viel Drang. Wenn er im Ring steht, denkt Isufi mit seinen Fäusten.

In dem Kellergewölbe in Neubiberg schaut Isufi auf seine Hände, liebevoll, wie auf einen seltenen Schatz. Seine Hände haben ihm in seinen ersten Jahren in Deutschland einige Jobs gesichert, er hat Schnee geschippt, er hat Backsteine geschleppt, er hat als Gärtner gearbeitet, als Hausmeister. Er hat sich nie beschwert. Und diese Hände haben ihn zu dem Boxer werden lassen, der sich so weit nach oben gekämpft hat, dass er nun um die WM antritt, wenn auch als Außenseiter.

Isufi ist kein Ringstratege, er will es auch nicht sein. In einem Boxkampf vertraut er seinem Willen und seinem Instinkt. Beides, das hat er gelernt, werden dazu führen, dass er seine Fäuste zum richtigen Zeitpunkt genau passend lenken wird. Bei einem seiner ersten Duelle als Profi überhaupt, in Lübeck gegen den Kroaten Emil Markic, spürte Isufi bereits in der zweiten Runde Schmerzen an der Hand, er hatte das Gefühl, nicht mehr klar denken zu können. Aber er gab nicht auf. Er versuchte, seine Schmerzen zu ignorieren. Mit viel Willen schaffte er es in die vierte Runde. Dort setzte er instinktiv seinen besten Schlag, den rechten Haken. Er gewann durch einen technischen Knockout. Erst danach stellte er fest, dass er seine Hände falsch bandagiert hatte. Passiert, sagte ihm sein Trainer.

Isufi aber lernte daraus. Er weiß jetzt, dass sein Körper keine Schmerzen fürchtet. Er weiß aber auch, dass er sich nie wieder selbst im Weg stehen darf. Und dass er seine Hände schützen muss wie sonst kein anderes Körperteil. Also bindet er sich die Bandagen immer sorgfältig, erst die linke Hand, dann die rechte, um den Daumen, über die Handfläche, über die Knöchel, den Daumen immer besonders dick eingepackt, nicht eine Falte darf zu sehen sein.

Bevor Isufi die Boxhandschuhe an diesem Samstag anziehen wird, wird er seine Hände anschauen, dann wird er in den Ring steigen. Er hat ein Versprechen zu erfüllen.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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