Süddeutsche Zeitung

Boxen:Ein Turner übernimmt

Das IOC schließt den Boxweltverband von den Sommerspielen 2020 in Tokio aus - aber nicht die Boxer. Es ist auch eine Folge jahrelanger Korruption, Misswirtschaft - und von fragwürdigen Personalentscheidungen.

Von Benedikt Warmbrunn, Lausanne/München

Morinari Watanabe hat es als Geschäftsmann in der Holdinggesellschaft des größten Einzelhändlers Asiens bis zum Direktor des Sportgeschäfts gebracht, seit 2017 ist er der Präsident des Internationalen Turnverbandes, als erster Asiate. Der Japaner war ein aktiver Turner, er hat Basketball, Baseball und Golf gespielt, dazu hat er Kendo betrieben, eine modernisierte Version des japanischen Schwertkampfes, wie ihn schon die Samurai gekämpft haben. Morinari Watanabe hat in seinen 60 Lebensjahren also viel erreicht, er hat nie aufgehört, sich für andere Dinge zu interessieren. Dass er ein Experte für den Boxsport sein könnte, das hat Watanabe bisher aber nicht nachweisen können. Dennoch ist er nun der Mann, der das olympische Boxen retten soll.

Am Mittwoch hat das Internationale Olympische Komitee in Lausanne einen Weg in die Zukunft für das olympische Boxen beschlossen, nach monatelangem Hin und Her im Hintergrund. Dieser Weg sieht zwei Punkte vor. Erstens: Bei den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio werden Boxer teilnehmen. Zweitens: Nicht teilnehmen wird der Box-Weltverband Aiba, er wurde vom IOC suspendiert, mit der nötigen Zweidrittelmehrheit. Einspringen wird das IOC selbst, es wird die weltweiten Qualifikationsturniere veranstalten und die Wettkämpfe in Tokio. Vorstehen wird diesem improvisierten Dachverband der Boxer der japanische Turner Watanabe.

Die jüngere Geschichte des Weltboxverbandes war eine der organisierten Unregelmäßigkeiten

Seit Monaten hatte das IOC damit gedroht, mindestens den Boxverband, vielleicht sogar die Boxer von den Spielen in Tokio auszuschließen. Dieses Drohpotenzial sollte die Aiba dazu bewegen, endlich die seit Jahren geforderten Reformen einzuleiten. Denn die jüngere Geschichte des Weltboxverbandes ist eine Geschichte der organisierten Unregelmäßigkeiten. Wenige Monate nach den Spielen 2016 hatte die Aiba alle 36 eingesetzten Punkt- und Ringrichter suspendiert, nachdem sich mehrere Athleten über Urteile beschwert hatten. Am deutlichsten hatte dies Michael John Conlan ausgedrückt. "Die Aiba ist eine Bande von Betrügern", hatte der Ire gesagt. "Das sind korrupte Bastarde, das läuft alles mit Bezahlung." 2017 wurde der Aiba-Präsident Ching-Kuo Wu aus dem Amt gejagt, wegen angeblicher Misswirtschaft. Ende 2018 wählte der Verband den usbekischen Interimspräsidenten Gafur Rachimow zum regulären Präsidenten, trotz Warnung des IOCs. Rachimow wird von Experten als einer der führenden Köpfe des Drogenhandels in den ehemaligen Sowjetstaaten bezeichnet, was er bestreitet; 2012 führte ihn das US-Finanzministerium auf einer Liste mutmaßlicher Mafiabosse, seine Konten wurden eingefroren. Die Aiba sah in ihm einen Mann des Aufbruchs. Im Frühjahr trat Rachimow wieder zurück, aber da war das Vertrauen bereits zerstört.

Wie es mit der Aiba weitergehen soll, ist offen. "Ich hoffe, sie finden einen Ausweg aus der Krise", sagt Nenad Lalovic, der Chef der IOC-Untersuchungskommission sowie Weltpräsident der Ringer. Die Aiba soll mit 29 Millionen Franken verschuldet sein, durch den Ausschluss des Verbandes von den Spielen entgehen dem Verband 17,5 Millionen Dollar. "Momentan hängen wir in der Luft. Wir wissen nicht, wie es weitergeht, auch was die Olympia-Nominierung der Sportler angeht", sagt Jürgen Kyas, der Präsident des Deutschen Boxsport-Verbandes, dem Sportinformationsdienst. An diesem Donnerstag versammelt sich die Aiba in Lausanne zu ihrer eigenen Exekutivsitzung, zu Gast sind auch Mitglieder des IOC. "Danach wissen wir mehr", sagt Kyas. Fraglich bleibt nur, ob sie auch für einen sauberen Neuanfang genug wissen werden.

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SZ vom 27.06.2019
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