Süddeutsche Zeitung

Boxen:Ein letztes Krächzen

Ulli Wegner, 77, arbeitet seit 1996 für das Boxteam Sauerland. In dieser Zeit formte er unter anderem Sven Ottke, Markus Beyer und Arthur Abraham zu Weltmeistern. Nun wurde sein Vertrag beim größten deutschen Stall gekündigt. Sein Anwalt ist eingeschaltet.

Von Benedikt Warmbrunn

Das, was Ulli Wegner in all den Jahren ausgemacht hat, hat er nicht verloren. Seine Stimme ist weiter ein heiser gehauchtes Krächzen. Diese Stimme hat Wegner zu einem kleinen Fernsehhelden gemacht; in den letzten Jahren, in denen die ARD Boxen übertragen hatte, ließ das Niveau der Kämpfe zunehmend nach. Die Höhepunkte waren dann oft die Pausen zwischen den Runden. Die Minuten, in denen Wegner krächzen durfte. Einmal, bei einem Kampf in Helsinki, krächzte Wegner Arthur Abraham an: "Du bist feige!" Abraham schaute traurig zurück. Er wusste, dass sein Trainer die Wahrheit gesagt hatte.

Wegners Boxer wussten diese Heiserkeit meist gut zu deuten. Wenn Wegner gut gelaunt ist, gluckst er zwischendurch über seine Witze, manchmal auch über die Schusseligkeit seiner Boxer. Wenn er nicht gut gelaunt ist, gluckst Wegner nicht. So ehrlich ist er immer geblieben, auch zu sich selbst. Am Sonntag, am Telefon, gluckst Wegner nicht.

Am 30. September hat ihm Sauerland schriftlich die Kündigung überreicht, der 31. Dezember ist für Wegner daher der letzte Tag beim größten deutschen Boxteam, nach 23 Jahren. Er hat in dieser Zeit Sven Ottke und Markus Beyer zu Weltmeistertiteln geführt, neben Fritz Sdunek war er das Trainergesicht des deutschen Boxens. Nicht ganz zufällig war der Trainer einer, der sich kaum unterschied von all den Turn- und Sportlehrern der Republik. Wegner waren immer die Boxer am liebsten, die nicht ihrem Talent vertrauen, sondern allein ihrer ehrlichen Arbeit. Pünktlichkeit, Ordnung, Gehorsam: Brachte ein Boxer all das mit, blieb Wegner ihm immer treu. Und mit dieser Einstellung war Wegner auch immer ein Schutzschild für Sauerland. Wegner stand und steht für das Ehrliche in einer Branche, in der sonst mit vielen Tricks gearbeitet wird. Dass Sauerland nun Wegner gekündigt hat, zeigt daher, wie schwer die Zeiten selbst für das größte Boxteam in Deutschland geworden sind.

"Zu gewissen Grundproblemen", sagt Wegner am Telefon, dürfe er sich nicht äußern, die Sache liegt inzwischen bei seinem Anwalt. Er erzählt aber von einem Abendessen mit Wilfried Sauerland, der ihn 1996 zum Profiboxen geholt hatte. Zurzeit trainiert Wegner vier Boxer, Sauerland habe ihm angeboten, dass er diese weiter betreuen dürfe - allerdings nur, wenn die Boxer mit ihm direkt Verträge abschließen und ihn auch bezahlen, nicht aber Sauerland. "Das mache ich nicht", sagt Wegner, er wollte seinen Athleten nicht die finanzielle Belastung zumuten. Sauerland bestätigte diese Version in der Bild: "Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, für so wenige Boxer so viel Geld für den Trainer auszugeben. Wir haben Ulli Wegner angeboten, dass er seine Boxer weiter trainieren kann und wir einen Zuschuss geben." Ob das schon alle Grundprobleme waren, dazu will Wegner nichts sagen.

Nächsten April wird er 78 Jahre alt, und auch dann will er weiter Boxer trainieren. Er habe da bereits was in Aussicht, sagt er. Vieles ist dem deutschen Boxen in den vergangenen Jahren verloren gegangen, aber zumindest die berühmteste Stimme will noch nicht verstummen.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2019
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