Boxen:Die Nachfolger der harmlosen Tanzbären

Anthony Joshua in action with Wladimir Klitschko

Anthony Joshua (rechts) gilt als legitimer Nachfolger von Waldimir Klitschko.

(Foto: REUTERS)
  • Fast ein Jahr liegt es zurück, dass Wladimir Klitschko nach einer Niederlage gegen den 13 Jahre jüngeren Anthony Joshua seine Karriere beendet hat.
  • Wer ist nun der beste Schwergeschichtsboxer der Welt?
  • Neben Joshua bewirbt sich noch der Neuseeländer Joseph Parker, sein Gegner am Samstag. Und der Amerikaner Deontay Wilder.

Von Benedikt Warmbrunn

Zu den größten Ängsten eines Boxers gehört ein Handtuch, das auf dem Boden liegt. Sieht ein Boxer ein Handtuch auf dem Boden, kann er üblicherweise froh sein, dass er es überhaupt noch als Handtuch erkennt, zumindest während eines Kampfes. Geworfen hat es dann meist der eigene Trainer, weil der Boxer zu unterlegen ist, aber in sich noch genug Instinkt und Ehrgefühl auftreiben kann, um sich bis zum Schluss gegen den Knockout zu wehren, indem er weiterkämpft, obwohl der Kampf schon längst gelaufen ist. Das Handtuch auf dem Boden ist also eine Schmach, ein Symbol der Schwäche.

Am Wochenende lag nun ein Handtuch neben Wladimir Klitschko, doch der Mann, der ein Jahrzehnt lang das weltweite Schwergewichtsboxen dominiert hat, sah zufrieden aus, sogar ein bisschen stolz. Von dem Handtuch hat Klitschko ein Foto gemacht und es in den sozialen Netzwerken verbreitet. Es war das Wochenende seines 42. Geburtstags, und er hatte Zeit für Bikram Yoga, für Yoga also bei circa 40 Grad Celsius. Das Handtuch war vollgesogen mit Schweiß, für Klitschko war es ein Symbol der Stärke. Es war ein Zeichen, dass er sein neues Leben genießt. Ende April 2017 stand Klitschko zum 69. und letzten Mal für einen Boxkampf im Seilgeviert. Es war noch einmal ein spektakulärer Kampf; Klitschko hatte an Respekt gewonnen, obwohl er verloren hatte gegen den 13 Jahre jüngeren Briten Anthony Joshua. Danach beendete er seine Karriere. Das Schwergewichtsboxen, das Klitschko seit der Mitte der Nullerjahre beherrscht hatte, verlor seine prägende Figur.

An diesem Samstag boxt Joshua in Cardiff gegen den Neuseeländer Joseph Parker, es geht um die Weltmeistertitel der Verbände IBF, WBA, WBO und IBO, also um all die Titel, die Klitschko zum Ende seiner Regentschaft getragen hatte. Der Kampf in Cardiff steht daher auch dafür, dass das Schwergewichtsboxen geschmeidig das Ende einer Ära überwunden hat.

Klitschko hatte - genauso wie sein älterer Bruder Vitali - auf dem Höhepunkt seiner Karriere darunter gelitten, dass ihm ein Konkurrent fehlte, gegen den er hätte nachweisen können, wie gut er wirklich ist. Erst als er fast 40 Jahre alt war, begannen Boxer auf sich aufmerksam zu machen, die deutlich talentierter sind als die harmlosen Tanzbären, gegen die der Ukrainer überwiegend seinen Titel verteidigen musste. Ein knappes Jahr nach Klitschkos letztem Kampf ist daher das Schwergewichtsboxen so ausgeglichen besetzt wie seit dem Ende des vergangenen Jahrtausends nicht mehr (wenn auch lange nicht auf so einem hohen Niveau wie in den Jahren von Mike Tyson, Lennox Lewis, Evander Holyfield oder Riddick Bowe).

"Joshua hat das Potenzial, die Gewichtsklasse auf Jahre zu beherrschen"

Und so ist erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt auch die Frage nicht eindeutig zu klären, wer der Stärkste der schwersten Männer der Branche ist. Als erster Anwärter auf die Rolle als Nachfolger gilt Joshua, nicht nur, weil er mit seinem Knockout in der elften Runde Klitschkos Karriere beendet hatte. Bernd Bönte, der Manager der Klitschko-Brüder, sagt: "Joshua hat das Potenzial, die Gewichtsklasse auf Jahre zu beherrschen." Bönte findet zwar, dass Joshuas Beinarbeit "noch nicht optimal" sei. "Aber sein rechter Aufwärtshaken ist grandios!"

Der 28-Jährige ist 198 Zentimeter groß, hat eine Reichweite von 208 Zentimetern und eine in der Gewichtsklasse der Tanzbären seltene Athletik, die er mit viel Wucht paart; seine 20 bisherigen Kämpfe gewann er alle vorzeitig. Der Olympiasieger im Superschwergewicht von 2012 hat eine solide technische Grundausbildung, und er hat von Klitschko, mit dem er früh trainiert hatte, einen Ansatz mitgenommen: den, dass nicht stets der stärkere Boxer gewinnt - sondern oft der intelligentere.

Der extrovertierte Wilder wirbt auch mit knallenden Sprüchen

"Joshua sieht eine Sache so wie die Klitschkos: Boxen ist nicht nur der wilde Nachvornegang. Die Defensive ist genauso wichtig", sagt Bönte. Vor dem Kampf gegen Parker erzählte Joshua nun, dass er genau diese strategische Ausrichtung weiterhin schult. Mit Klitschkos letztem Trainer Jonathon Banks habe er sich im Laufe der Jahre angefreundet, sie telefonieren regelmäßig. "Ich nutze diese Konversationen als einen Weg, um mit Klitschko zu sprechen", sagte Joshua. Ihm imponiert, dass sein Vorgänger sich immer verbessern wollte, dass er vor einem Kampf den Gegner bis ins Detail analysierte und dann einen Plan entwickelte. "Vor dem Kampf gegen mich haben sie an seinem Jab und seiner Beweglichkeit gearbeitet", erzählte Joshua stolz.

Gegen Parker, 26, den Weltmeister der WBO, gilt der Brite als Favorit, aber vor diesem Duell stellen sich Fragen, die es vor Klitschkos Titelverteidigungen nur selten gab. Gewinnt Joshua, weil er Schlaghärte, Dynamik und Eleganz besser kombiniert? Kann der flinke Parker so lange ausweichen, bis sich ihm die Chance auf einen Knockout bietet? "Parker hat sehr schnelle Hände und sehr, sehr gute Nehmerfähigkeiten - aber ich bezweifle, dass das für Joshua reicht", sagt Bönte. "Wer den Kampf gewinnt, der ist der Beste", sagte Parker. Zumindest in dieser Ansicht dürfte ihn Joshua bestätigen, auch sonst wird es nicht viele geben, die das anders sehen.

Einer der Anderen ist Deontay Wilder.

Der Amerikaner, 32, hält den WM-Titel des anderen großen Weltverbandes, den der WBC, und er bemüht sich seit Jahren darum, als bestes Schwergewicht der Welt wahrgenommen zu werden. Doch erst kam es nicht zu einem Duell gegen Klitschko, nun wartet die Branche auf einen Kampf gegen Joshua bzw. Parker. Wilders Auftritte sind oft ein Spektakel, nur eines seiner 40 Duelle gewann er nicht vorzeitig. "Er bringt etwas mit, das im Schwergewicht nie unterschätzt werden darf: Er hat einen rechten Hammer", sagt Bönte. Der extrovertierte Wilder wirbt auch mit knallenden Sprüchen für sich - doch obwohl er so vorlaut ist, hat er noch nie gegen einen Boxer gekämpft, der zumindest ansatzweise ebenbürtig ist. Nachdem er Anfang März gegen den Kubaner Luiz Ortiz seinen Titel verteidigt hatte, sagte Wilder: "Ich bin genau jetzt bereit. Ich will die Vereinigung." In Richtung von Joshua und Parker fügte er hinzu: "Ich bin bereit, wann auch immer es diese Jungs sind."

Bis es zu diesem Kampf kommt, bleibt offen, wer Klitschkos wahrer Nachfolger ist; sollte Parker am Samstag gewinnen, gäbe es drei Kandidaten, ansonsten zwei. Doch bis zur nächsten Titelvereinigung wird es wohl noch dauern. Das Boxen ist schließlich ein Geschäft, das auch von der Vorfreude lebt.

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