Boxen:Den Kampf ins Auto bringen

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Dominic Bösel (li.) wird seinen Titel im Halbschwergewicht wohl erst im Herbst wieder verteidigen können. (Foto: dpa)

Wie kann es im Boxen mit Kämpfen weitergehen? Promoter Ulf Steinforth feilt am Konzept für einen ersten Kampfabend nach der Corona-Pause und denkt dabei auch an das Konzept von Autokinos.

Von Benedikt Warmbrunn, München

Ein Boxer ist ein Sportler, der die Nähe sucht. In der Kabine lässt er sich seine Hände in Bandagen einwickeln, meist von seinem Trainer, die beiden sitzen sich gegenüber, gerne in beinahe andächtiger Stille. Vor dem Kampf lassen sich die Boxer dann von ihrem Cutman das Gesicht mit Vaseline bestreichen, um Wunden weitgehend zu vermeiden (Wladimir Klitschko schwor auf Kokosbutter). In jeder Rundenpause sind nur wenige Zentimeter zwischen Boxernase und Trainernase, für eine möglichst intensive Ansprache; zeitgleich wischt der Cutman im Gesicht herum, noch mehr Vaseline (oder Kokosbutter), manchmal arbeitet er noch mit Wattestäbchen, um das Blut zu stillen. All diese Momente der Nähe braucht ein Boxer, um ganz bei sich selbst zu bleiben, denn wenn er nicht in sich ruht, riskiert er seine Gesundheit.

Und dann sind da all die Momente der Nähe im Ring. Die Sekunden, in denen die Kämpfer sich vor dem ersten Gong in die Augen starren und manchmal, wie sie gerne behaupten, auch gleich in die Seele. Im Kampf Schläge aus der Nahdistanz, gegen das Kinn, auf die Schläfe, auf die Nase, immer wieder prallen die Köpfe gegeneinander. Schläge aus der Distanz, neben den Fäusten fliegen Schweißtropfen hin und her, manchmal auch Blutstropfen.

In Monaten, in denen der Abstand zueinander ein zentraler Indikator des Zusammenlebens geworden ist, scheint das Boxen fast aus der Zeit gefallen zu sein. Aber auch im Berufsboxen soll es weitergehen. Also sagt Ulf Steinforth, der Promoter des Magdeburger SES-Teams: "Natürlich ist bei uns gerade die Kreativität gefordert."

Kreativität war noch nie ein Problem für Steinforth, 52. Als junger Mann verdiente er sein Geld, indem er Anfang der Neunzigerjahre am Leipziger Hauptbahnhof Kondomautomaten aufstellen ließ; seit 2000 führt er sein SES-Team, das vielleicht nicht die schillerndsten Figuren der Branche beheimatet, das sich aber einen Namen für seriöse Planung gemacht hat. Andere Box-Manager verlassen sich auf die Fernsehgelder, Steinforth hat sich ein Netzwerk an lokalen Förderern aufgebaut. Während andere Box-Teams pleite gegangen oder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind, hat Steinforth all die Jahre unaufgeregt gearbeitet. Mit Erfolg.

Der gegenwärtig einzige deutsche Weltmeister im Profi-Boxen, der Halbschwergewichtler Dominic Bösel, kämpft für SES. Ende März hätte Bösel seinen Titel verteidigen sollen, in Magdeburg, die ARD hätte übertragen - zwei Wochen vor dem geplanten Termin wurde die Veranstaltung abgesagt. Seitdem arbeitet Steinforth an einem Konzept, das er wöchentlich, manchmal täglich anpasst - das es ihm aber ermöglichen soll, bald wieder einen Kampfabend organisieren zu können.

Seit der Absage im März hält Steinforth Kontakt zu Wissenschaftlern, zu Virologen, zu Politikern, außerdem zu einem Ingenieurbüro, das sich auf Hygienestandards spezialisiert hat. Mit Interesse hat er das Vorgehen im Profifußball verfolgt, ihm war klar, dass seine Boxer kaum vor den Fußballern antreten dürfen. Am Dienstag wird die Landesregierung in Sachsen-Anhalt ihre neuen Leitlinien bekannt geben, bei SES hoffen sie, dass das bedeuten wird, dass sie dann auch wieder einen konkreten Box-Abend planen dürfen.

"Der Vorteil im Boxen ist, dass wir an einem Kampfabend eine kleine Einheit haben. Wir können also gut steuern, wie viele Menschen miteinander in Kontakt sind", sagt Steinforth, er hat das auch ausgerechnet: An einem Abend mit drei Kämpfen kalkuliert er mit 50 beteiligten Personen, die er wiederum in drei Kreise aufteilt.

Der innerste Kreis sind die Boxer, die Trainer, die Betreuer, das Kampfgericht, dazu natürlich er, Steinforth, als Promoter und Hauptverantwortlicher. Im zweiten Kreis geht es um die Logistik, um den Aufbau des Rings, die Beleuchtung und andere technische Dinge. Der dritte Kreis ist die Sicherheit. Für Quarantäne-Maßnahmen hat sich Steinforth bereits mit Hotels abgestimmt. Unbeantwortet ist für ihn derzeit eigentlich nur, wer genau dann boxen wird - und wo. Steinforth sagt: "Dass wir umdenken müssen, ist klar. Die Frage wird sein, in welcher Größenordnung wir denken können."

Der Promoter geht davon aus, dass aufgrund anhaltender Reiseeinschränkungen erst nationale Duelle möglich sein werden, "da habe ich ein gutes Gefühl". Was internationale Duelle angeht, zum Beispiel die nächste Titelverteidigung von Weltmeister Bösel, da ist Steinforth noch vorsichtig. "Ich befürchte, dass es uns noch lange beschäftigen wird, wie wir wieder internationale Top-Kämpfe nach Deutschland holen können - aber ich bin zuversichtlich, dass das nach dem 31. August realistisch sein könnte."

Kämpfer aus Nachbarländern

Gerade auf der Veranstaltung, glaubt Steinforth, werden vor allem Boxer aus Deutschland antreten, allenfalls noch Kämpfer aus Nachbarländern, er denkt zum Beispiel an Polen. "Wenn das gut geklappt hat, dann können wir auch überlegen, wie wir von da aus weiterplanen können - ob vielleicht auch ein internationaler Kampf möglich wird im zweiten Halbjahr." Dieses erste Event - Steinforth nennt es ein "Fall-Beispiel" - könnte er "jeden Tag" organisieren, doch voreilig wird er nicht werden. "Ein Boxer sollte sich schon sechs bis acht Wochen lang vorbereiten können. Realistischerweise sprechen wir also über einen Kampfabend frühestens im Juli."

Ein bisschen Zeit braucht Steinforth außerdem noch, um in all den Vorschriften vielleicht auch etwas Ungewöhnliches organisieren zu können.

Seine Berechnungen, sagt Steinforth, würden in der Halle, aber auch im Freien funktionieren, "die Wahrscheinlichkeit für eine Freiluftveranstaltung ist in den nächsten Monaten aber höher". Zumal Steinforth sich etwas Kreatives überlegt hat. "Weil wir natürlich auch auf Zuschauer hoffen, überlegen wir auch, wie das klappen könnte. Eine Idee wäre es, den Kampfabend zu planen wie ein Autokino. Die Leute fahren in ihren Autos hin, bleiben in ihren Autos sitzen, gucken den Kampf an, dann fahren sie nach Hause." Die einzigen Kontakte, die sich dabei nicht verhindern lassen würden, wären dann nur noch die im Ring.

© SZ vom 08.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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