Boxer Anthony Joshua:Großes Rätsel statt großer Show

Lesezeit: 4 min

Mehr Fragen als Antworten: Anthony Joshua. (Foto: Dan Mullan/Getty)

Für Schwergewichtsboxer Anthony Joshua geht es darum, sich gegen Jermaine Franklin neu zu erfinden - oder zumindest zu sich zurückzufinden. Davon hängt auch ein lange erwartetes Duell ab.

Von Benedikt Warmbrunn

Im vierten Teil der "Rocky"-Filmreihe treibt den Schwergewichtsboxer Rocky Balboa nicht ein Titel an, nicht der Ruhm, nicht das Geld, all das hat er schon. Er kämpft aus Rache. Ivan Drago, sein aufgepumpter, gnadenloser Gegner aus Russland, hatte zuvor im Ring mit seinen harten Schlägen Apollo Creed getötet, Rockys Freund und Trainer. Um sich auf seinen Kampf gegen Drago vorzubereiten, reist Rocky in die Berge Russlands, dort rennt er durch knietiefen Schnee, zieht einen Schlitten, fällt einen Baum, trägt einen Baumstamm, sein Gym ist eine alte Blockhütte. Einmal rennt er den russischen Spionen davon, die ihn im Auto verfolgen. Nach diesem Trainingslager ist Rocky nicht nur kräftiger geworden, er ist auch bereit, bis ans Ende dieser Kräfte zu gehen. Er besiegt an Heiligabend in Moskau Ivan Drago durch einen Knock-out in der 15. Runde und wird vom Publikum gefeiert. Ein Film, klar, aber einer, der bis heute Boxer inspiriert. Zum Beispiel Anthony Joshua.

Vor seinem Kampf an diesem Samstag in London gegen den wohlgenährten, weichen US-Amerikaner Jermaine Franklin hat Joshua sich von Rocky anregen lassen. Also griff er zur Axt. Und hieb mit dieser auf einen Baum ein sowie auf einen Baumstumpf (neben dem Holzscheite lagen, womöglich gehackt von Joshua, womöglich auch nicht). Ob er nun auch kräftiger ist, womöglich sogar bereit, bis ans Ende seiner Kräfte zu gehen? Oder war der Griff zur Axt nichts als ein Showeffekt? Wie so oft bei Joshua ist die Antwort auf diese Fragen nicht ganz klar.

Achtung, Baum fällt: Im April 2017 knockt Anthony Joshua Weltmeister Wladimir Klitschko aus. (Foto: Ben Stansall/AFP)

Der 33 Jahre alte Brite ist auch vor dem 28. Duell seiner Profi-Karriere das große Rätsel an der Spitze des Schwergewichtsboxens. Er ist so muskulös und athletisch, dass selbst Ivan Drago bei seinem Anblick neidisch werden dürfte. Er hat einen der härtesten Schläge. Er ist nicht der versierteste Techniker, aber gerade in seinen ersten Profijahren waren es auch seine wuchtigen Kombinationen, die ihn so gefährlich machten; erleben musste das auch der damals 41 Jahre alte Wladimir Klitschko, der vor sechs Jahren durch technischen Knock-out gegen Joshua verlor, nachdem dieser ihn mit Geraden, mit Haken und Aufwärtshaken attackiert hatte. Doch diesen jugendlichen Schwung hat Joshua irgendwann abgelegt. Lange, zu lange vertraute er vor allem seiner Schlagkraft. Dann setzte er viel auf den einen Schlag, der zum Knock-out führt. Auf den einen Schlag, der als große Show wahrgenommen wird.

Manchmal wirkt Joshua wie ein Boxer, der nicht bereit ist, bis ans Ende seiner Kräfte zu gehen

Diese einseitige Strategie ließ ihn aber auch unvorsichtig und selbstverliebt werden. 2019 verlor er seine drei WM-Titel gegen den pummeligen Andy Ruiz, den er nicht ernst genommen hatte. Im September 2021 verlor er erneut, dieses Mal gegen den Ukrainer Oleksandr Usyk, den er bestimmt ernst genommen hatte. Aber Joshua war gekommen für einen Show-Abend, schon beim Einmarsch in den Ring klatschte er sich mit Zuschauern ab. Im Ring selbst hatte er dem listigen, aus allen Winkeln treffenden Usyk nichts entgegenzusetzen. Er wirkte nicht mehr wie ein Boxer, der noch wusste, wie kräftig er ist. Vor allem aber wirkte er nicht wie ein Mann, der bereits ist, bis ans Ende seiner Kräfte zu gehen.

Kontrollverlust: Gegen Oleksandr Usyk musste Joshua zwei Mal einstecken. (Foto: Hassan Ammar/AP)

Im Rückkampf gegen Usyk im vergangenen August war Joshua ruppiger, er boxte besser, mutiger, vielseitiger. Dennoch verlor er - den Kampf, und nach dem Urteil auch die Fassung und die Kontrolle über sich selbst. Er warf zwei von Usyks Gürteln aus dem Ring. Er nahm Usyk eine ukrainische Flagge weg, legte sie sich über die Schulter, redete wirr über den Krieg. Er animierte die Zuschauer zu einem fünffachen Hip hip hooray. Und er fragte seinen Besieger ungläubig: "Du bist nicht stark. Wie hast du mich geschlagen?"

Offenbar war Joshua auch sich selbst ein Rätsel geworden.

Bereits für den Rückkampf gegen Usyk hatte er den Trainer gewechselt, und danach gleich wieder. Nun trainiert er in Texas bei Derrick James, der unter anderem Errol Spence betreut, den Weltmeister im Weltergewicht, gefürchtet für seine Ring-Intelligenz, aber auch für seine Kombinationen. James hat erzählt, dass er gelacht habe, als er Joshua im Rückkampf gegen Usyk gesehen habe, dass er sich über dessen Strategie gewundert habe. Unter ihm soll er wieder schneller, beweglicher, variabler boxen. Gegen den 29 Jahre alten Franklin dürfte das reichen - zuletzt hatte dieser nach Punkten gegen Dillian Whyte verloren. Gegen Whyte wiederum hat der junge Joshua 2015 vorzeitig gewonnen.

Zweimal scheiterte ein Kampf gegen seinen Landsmann Tyson Fury - kommt es nun endlich zum Duell?

Schon vor dem Kampf gegen Franklin ging es um kommende, größere Aufgaben für Joshua. Zum Beispiel um ein Duell mit seinem ewigen Rivalen, WBC-Weltmeister und Landsmann Tyson Fury. Zweimal war ein Duell zwischen den beiden so gut wie abgemacht - und scheiterte dann doch. In den vergangenen Tagen endeten auch die Verhandlungen zwischen Fury und Usyk über einen Vereinigungskampf Ende April ohne Vertrag; Furys Trainer gestand anschließend, dass Fury ohnehin noch nicht mit dem Training begonnen hatte. Joshuas Promoter Eddie Hearn kündigte indes bereits an, dass er nicht daran zweifle, bald einen Vertrag mit Furys Team "perfekt" machen zu können. Finanziell sei dieses Duell ohnehin "doppelt so groß" wie das zwischen Fury und Usyk. Und das ist es, was Joshua antreibt, so hat er es selbst vor wenigen Tagen gesagt: "Ich verdiene gerne Geld."

Doch damit es nicht nur eine große, lukrative Show wird, sondern auch ein Duell, in dem wirklich offen ist, wer gewinnen könnte, Fury oder Joshua - dazu müsste Joshua sich gegen Franklin wieder als ein neu erfundener Boxer präsentieren. Oder zumindest als der, der er zum Beginn seiner Karriere einmal war.

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