Süddeutsche Zeitung

Boxkampf in Las Vegas:Gegen eine rechte Hand wie ein Laserstrahl

Lesezeit: 3 min

Die ersten zwei Boxkämpfe zwischen Gennadi Golowkin und Saúl Álvarez endeten umstritten - im dritten Duell geht es auch darum, ob einer der beiden sich neu erfinden kann.

Von Benedikt Warmbrunn

Ende Mai 2011 machte sich ein Reporter des US-Box-Magazins The Ring auf den langen, kurvigen Weg in das kalifornische Bergdorf Big Bear Lake. Er wollte sich ein Sparring von zwei noch nicht weltbekannten, aber von Insidern bereits genau verfolgten Boxern anschauen: von einem 29 Jahre alten, hart schlagendem Kasachen und einem 20 Jahre alten, technisch versierten Mexikaner. Sechsmal vier Minuten boxten die beiden gegeneinander, "seine rechte Hand ist wie ein Laserstrahl", notierte der The Ring -Reporter über den Kasachen. Und über den Mexikaner: "Er vermeidet keine Konfrontation." Er sah ein gutes Sparring, die lange, kurvige Anfahrt hatte sich gelohnt. Der Trainer des Kasachen sagte ihm noch, dass die beiden den Mexikaner wegen dessen Geschwindigkeit ausgewählt hätten, und "er nutzt uns wegen unserer Größe".

Doch wie sehr sich der Kasache Gennadi Golowkin und der Mexikaner Saúl Álvarez über die Jahre tatsächlich noch gegenseitig nutzen würden, das war im Mai 2011 keinem der Anwesenden bewusst.

An diesem Samstag treten in Las Vegas der inzwischen 40 Jahre alte Golowkin und der acht Jahre jüngere Álvarez, der wegen seiner zimtfarbenen Haare nur Canelo gerufen wird, zum dritten Mal in einem Profikampf gegeneinander an, nach zwei spektakulären, umstrittenen Duellen zuvor. Im September 2017 hatte Golowkin in zehn von zwölf Runden häufiger getroffen, dennoch endete der Kampf um die WM im Mittelgewicht mit einem für Álvarez schmeichelhaften Unentschieden. Ein knappes Jahr später traf Golowkin in acht Runden häufiger, sein Rivale dafür häufiger mit schweren Schlägen. Nun hätte sich über ein Unentschieden kaum jemand beschwert - Álvarez gewann durch eine Mehrheitsentscheidung. Für Golowkin war es die bislang einzige Niederlage seiner Karriere.

Manchmal, so heißt es im Profiboxen, ist es schwerer, die Punktrichter zu besiegen als den Gegner im Ring.

Álvarez hat seiner Karriere nach den beiden Kämpfen einen ganz neuen Schwung gegeben

Über die ersten 24 Runden hinweg war Golowkin also der bessere Boxer, doch er hatte nicht alles richtig gemacht; im zweiten Kampf zum Beispiel hatte er zunächst zu wenig auf seine Schlaghärte gesetzt und zu sehr darauf, Álvarez auf Distanz halten zu können. In beiden Duellen hatte er dennoch nachgewiesen, einer der besten Mittelgewichtsboxer der Geschichte zu sein. Viermal hat der mönchisch-höfliche Golowkin seitdem geboxt, viermal gewonnen, die vergangenen beiden Kämpfe wieder mit der alten Wucht in den Fäusten. Dennoch war es Álvarez, der es verstanden hat, die beiden Begegnungen zu nutzen, um seiner Karriere einen ganz neuen Schwung zu geben, einen Schwung, wie es ihn selten gegeben hat im Profiboxen.

Bis zu den Kämpfen gegen Golowkin hatte Álvarez bereits ein paar große Namen geboxt, nur gegen einen hatte er verloren, gegen Floyd Mayweather Jr., keine zweieinhalb Jahre nach dem Sparring gegen Golowkin. Im September 2013 war Álvarez gegen den Defensivkünstler Mayweather naiv durch den Ring gestolpert, viel zu ungestüm, viel zu überzeugt von den eigenen technischen Fähigkeiten. Immer wieder lief er in Schläge seines Gegners hinein. Erst im zweiten Kampf gegen Golowkin demonstrierte er, dass er als Boxer gereift ist. Er setzte nicht mehr allein auf seine Technik, er fügte dieser eine allgemeine Aggressivität hinzu. Es war der Beginn einer Verwandlung.

Im Dezember 2018 gewann er einen WM-Titel im Supermittelgewicht, im November 2019 einen weiteren im Halbschwergewicht, gegen den Russen Sergej Kowalew, der nicht ohne Grund Krusher genannt wird, Brecher. Der nun deutlich muskulösere Álvarez gewann durch einen Knockout, der Brecher verfing sich in den Ringseilen. Zwischen Dezember 2020 und November 2021 sicherte er sich als erster Boxer der Geschichte alle vier großen WM-Titel im Supermittelgewicht, den ersten der vier gegen den 18 Zentimeter größeren Briten Callum Smith. Wendig, variabel, gnadenlos, so boxte er nun. Er verdiente Dutzende von Millionen, wurde zur größten Attraktion außerhalb des Schwergewichts. Und die Verwandlung war auch außerhalb des Rings zu spüren.

Bis zu den Kämpfen gegen Golowkin war Álvarez zumindest in den USA schüchtern aufgetreten, nun sprach er auf einmal, sogar auf Englisch. Und nicht nur im Ring wurde er aggressiver. Den US-Amerikaner Caleb Plant schubste er während einer Pressekonferenz. Er vertraute fast nur noch seiner Härte. Im Mai verlor Álvarez im Halbschwergewicht gegen den Russen Dmitri Biwol, der ihn entspannt ausboxen konnte, da der Mexikaner nur auf Wucht setzte, seine feine Technik nie einsetzte. Und wieder in Schläge hineinlief.

In das dritte Duell mit seinem ewigen Rivalen geht Álvarez trotz der Niederlage gegen Biwol als Favorit. Ob er sich erneut wandeln wird? In den vergangenen Tagen sprach er oft darüber, wie sehr er Golowkin hasse, dass er ihn früh ausknocken wolle. Álvarez sucht also weiterhin die Konfrontation, einige Jahre lang hatte ihn das ja auch stark gemacht. Golowkin allerdings hat auch weiterhin eine rechte Hand wie einen Laserstrahl.

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