Genie Bouchard bei den French Open:Raus aus der Selfie-Schublade

Tennis: Genie Bouchard bei den French Open 2020

"Ich bin körperlich in der besten Verfassung meines Lebens": Tennisprofi Eugenie Bouchard.

(Foto: Rob Prange/ZUMA Wire/imago)

Eugenie Bouchard stand im Wimbledon-Finale, war die Nummer fünf der Welt, verdiente Werbe-Millionen - und fiel dann sportlich tief. Aber auf ihren Willen konnte sie sich immer verlassen.

Von Gerald Kleffmann

Eugenie Bouchard hat in Paris bei den French Open bislang zwei Pressekonferenzen gegeben und vor allem über diese Themen gesprochen: ihre harte Arbeit in den vergangenen Monaten; wie sie Gil Reyes als Fitnesstrainer gewann, den langjährigen, legendären Wegbegleiter von Andre Agassi seinerzeit; dass es ihr darum geht, mental stark zu sein; dass sie auf schnellen Belägen am liebsten spielt, aber auch Spaß am Schmerz findet, wenn sie auf Sand wie in Roland Garros leidet.

Worüber Bouchard nicht sprach: über Instagram und ihre 2,1 Millionen Follower allein dort. Über Modestrecken, über Selfies, über Fotos am Strand. Einmal ging sie auf Kuscheltiere ein. Aber nur, weil sie danach gefragt wurde. Ob sie etwas mitgenommen habe, um den Aufenthalt im Hotel angenehmer zu gestalten. Nein, hat sie nicht, hat sie da höflich geantwortet.

So was wird sie manchmal noch gefragt, aber inzwischen viel seltener. Denn die 26 Jahre alte Frau aus Montreal, die zwei Wohnsitze hat, in Las Vegas und auf den Bahamas, die in so vielen Schubladen steckte, dass sie kaum aufgingen, ist jetzt in erster Linie Tennisprofi. Und nicht mehr: Postergirl, Model, Sternchen. Wurde ja alles über sie geschrieben. Lange hat ihr das auch gefallen, und sie hat diese Bilder bereitwillig bedient. Vorbei, diese Zeit.

In Paris hat sie das zwar so nicht gesagt. Nach zwei tollen Matches, in denen sie die Russin Anna Kalinskaja, 21, und die frühere Top-20-Spielerin Daria Gavrilova, 26, aus Australien besiegte, rückte berechtigterweise ihre sportliche Leistung in den Vordergrund. Aber jüngst in einem Podcast bei tennis.com betonte sie: "Ich will davon wegkommen, Bikini-Bilder zu posten. Ehrlich!" Natürlich kann man sich über solche Sätze lustig machen, er klingt ja, als wolle sie sich von einer Droge lossagen. Aber sie selbst weiß sehr wohl, wie alles zustande kam: "Als ich gut gespielt habe, ging es auch mit den sozialen Medien so richtig los. Dabei habe ich damals nur das gemacht, was andere 20-Jährige auch gemacht haben. Nur dass meine Sachen von viel mehr Leuten geschaut wurden als die meiner Freunde. Ich war nur ich selbst."

Das stimmte, nur mit dem kleinen Unterschied, dass die meisten ihrer Generation nicht mal eben binnen weniger Monate eine gesamte Sportbranche hyperventilieren ließen. 2014, mit 20 Jahren, stand Bouchard im Halbfinale der Australian Open, im Halbfinale der French Open, im Finale von Wimbledon, in dem sie gegen die Tschechin Petra Kvitova verlor. Die "Genie Army", Hardcore-Fans, folgte ihr. Sie schwärmte von Justin Bieber, die Werbemillionen flossen, sie trat im Fernsehen auf. Sie war im Big Business angekommen. Bouchard war Big Business. Entsprechend hoch war von da an ihre Fallhöhe.

Selbst ein Achtelfinale war von diesem Moment an ein Rückschritt. Und es ging tiefer. Bouchard, die Weltranglisten-Fünfte, traf kaum noch den Ball. Sie fiel im Ranking. Und fiel. Als sie statt im All England Club an der Royal Box vorbeizuflanieren in der amerikanischen Prärie versuchen musste, ein paar Weltranglisten-Pünktchen zu ergattern, sei das "ein Schock" für sie gewesen. Es ging alles so schnell.

Sie wurde unterschätzt

Aber auch ohne gute Ergebnisse blieb sie präsent. Weil ihre schlechten Ergebnisse oft mehr interessierten als Siege anderer. Zudem vermarktete sie sich weiterhin offensiv und genoss ihr Leben als Frau, weshalb sie wohl unterschätzt wurde in ihrem Ehrgeiz und Willen. "Sie ist eine Straßenkämpferin", hatte einmal ihr früherer Trainer Thomas Högstedt der SZ gesagt, die Beschreibung stand im Widerspruch zu all den Attributen, die ihr zugesprochen wurden. Aber Högstedt hatte recht. Bouchard sah sich nie als Opfer gieriger Marktmechanismen, sondern nahm eher amüsiert die Reaktionen zur Kenntnis, als sie zum Beispiel sich in einer Gischt rekelnd das Cover der Sports Illustrated zierte.

Sie wusste für sich: "Am Ende des Tages bin ich eine Tennisspielerin. Meine beste Rolle ist die, wenn ich auf dem Platz stehe und kämpfe." Beim Turnier in Nürnberg war sie mal aufs Knie gestürzt und hatte eine dieser Wunden erlitten, die höllisch schmerzen. Andere beanspruchen da gerne einen medizischen Stab - sie kam, kurz die Stelle getupft, zum Interview und sagte: "No problem." Zimperlich ist sie nicht.

Noch ist Bouchard 168. der Welt, aber sie hat die Wende geschafft. Darum ging es: rauszukommen aus der Stagnation. Im August war sie 330. - und erreichte dann das Viertelfinale von Prag, das Finale von Istanbul. "Ich bin körperlich in der besten Verfassung meines Lebens", sagte sie in Paris. Ihre durchtrainierten Oberarme zeugen von der Arbeit mit Reyes. Dazu wird sie nun von Rennae Stubbs trainiert: Die Australierin hatte als Profi mehr erreicht als viele andere, nur weil sie clever spielte. Etwas Stubbs ist in Bouchard bereits zu sehen. Sie knallt nicht mehr nur drauf.

"Ich bin superstolz, dass ich es geschafft habe zurückzukommen", sagte Bouchard. Sie sei auch dem französischen Tennis-Verband für die Wildcard dankbar, die sie als einzige Nicht-Französin neben der Bulgarin Zwetana Pironkowa erhielt. Dass ihr in der dritten Runde die Polin Iga Swiatek in zwei Sätzen die Grenzen aufzeigte, muss sie akzeptieren. Es geht nicht im Handumdrehen zurück an die Spitze. Aber Bouchards Perspektive stimmt. Sie sprach: "Ich bin so dankbar, dass ich einen Job habe." Bouchard ist Tennisprofi. Mehr vielleicht, als sie es je war.

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