Botafogo gewinnt die Copa Libertadores:Hinfort, böse Dämonen!

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Endlich. Botafogo ist einer der großen Traditionsklubs Brasiliens, hatte aber noch nie die Libertadores, das südamerikanische Pendant zur Champions League, gewinnen können. (Foto: Alejandro Pagni/AFP)

Dem Klub aus Rio de Janeiro passieren stets die seltsamsten Dinge, diesmal sieht ein Spieler im Finale der Libertadores nach 29 Sekunden die rote Karte. Doch dann erlebt Trainer Artur Jorge den „wahrscheinlich epischsten Sieg“ in der Geschichte der Copa.

Von Ralf Itzel, Rio de Janeiro

Jetzt braucht es noch den Meistertitel, dann sollten die alten Dämonen vertrieben sein. Zwei Spieltage stehen noch aus in der brasilianischen Liga, Botafogo hat drei Punkte Vorsprung auf Palmeiras aus São Paulo, Meister der beiden vergangenen Spielzeiten. Seit fast zwanzig Jahren haben die Fußballer aus dem Stadtteil Rios den nationalen Titel nicht mehr gewinnen können. Auch vergangenes Jahr nicht trotz zwischenzeitlich 13 Punkten Vorsprung.

Aber jetzt, mit dieser Euphorie im Rücken, muss doch auch das möglich sein. Wer so ein dramatisches Libertadores-Finale gewinnt wie das vor 70 000 Zuschauern in Buenos Aires, wer oder was sollte den noch stoppen? „Es war ein epischer Sieg“, sagte der portugiesische Trainer Artur Jorge nach dem 3:1 (2:0)-Erfolg im rein brasilianischen Endspiel gegen Atlético Mineiro, „wahrscheinlich der epischste Sieg in der Geschichte der Libertadores.“

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Dass dem Verein Botafogo de Futebol e Regatas, einst wie die Stadtkonkurrenten Flamengo und Vasco da Gama als Ruderklub gegründet, die komischsten Sachen zustoßen, ist für die Sportfreunde in Brasilien eine Binsenwahrheit. Diesmal schockte die Fans der schnellste Platzverweis in der 64-jährigen Geschichte des Endspiels der südamerikanischen Variante der Champions League.

Nach 29 Sekunden erwischte der Mittelfeldspieler Gregore beim Kampf um den Ball Gegner Fausto Vera mit der Schuhsohle am Kopf, ein blutender Schnitt und die rote Karte waren die Folge. Botafogo musste das wichtigste Spiel der Vereinsgeschichte komplett in Unterzahl bestreiten. Da waren sie wieder, die alten Dämonen.

Zu Hause in den Bars in Rio, das die ersten heißen Tage des aufkommenden Sommers erlebt, erfasste die Fans der Konkurrenten schon wieder Schadenfreude. Ein Satz machte die Runde, der in Brasilien benutzt wird, wenn einer kurz vor dem Ziel doch noch strauchelt: Nadar e morrer na praia – Schwimmen, um am Strand zu sterben. Wie im vergangenen Jahr im Rennen um den Meistertitel, als Botafogo wie ein Ausreißer bei einem Radrennen doch noch geschluckt und durchgereicht wurde auf Platz fünf.

Eduardo Vargas vergibt die Chancen zum Ausgleich. Dann liegen sich die Botafoguenses in den Armen

Doch Artur Jorge behielt an der Seitenlinie im enormen Oval des Estádio Monumental einen klaren Kopf. Viele Kollegen hätten einen Offensivspieler durch einen Verteidiger ersetzt. Der 52-Jährige blieb dagegen mutig und setzte weiter auf seine tollen Vier: den argentinischen Spielmacher und Weltmeister Thiago Almada, 23, im Juli für umgerechnet 22 Millionen Euro aus Atlanta geholt, teuerster Einkauf in der Geschichte der brasilianischen Liga; den kleinen Wirbler Savarino, 28, aus Venezuela; den Mittelstürmer Igor Jesus, 23, der in der Nationalelf Real Madrids Endrick verdrängt hat; und den athletischen Flügelstürmer Luiz Enrique, 23, im Januar von Betis Sevilla nach Brasilien zurückgekehrt und jüngst ebenfalls für die Landesauswahl nominiert.

Nach ansehnlicher Kombination und einem Abpraller erzielte Enrique das 1:0 (35.) und holte dann auch einen Elfmeter heraus, den Alex Telles zum 2:0 verwandelte (44.). Später sagte Enrique, dem als „Held des Turniers“ ein goldener Schuh überreicht wurde: „Ich lebe einen Traum.“

Den schien der Gegner aus Belo Horizonte im zweiten Durchgang noch in Gefahr zu bringen. Der eingewechselte Eduardo Vargas, ehemals Hoffenheim, erzielte das 1:2 (47.), der Chilene köpfte frei stehend nach einer Ecke des unermüdlichen Kapitäns Hulk, mittlerweile 38 Jahre alt. Doch Vargas vergab am Ende zwei große Ausgleichschancen. Und im Ganzen war der Zehnte der brasilianischen Liga zu einfallslos.

Botafogo konnte in der letzten der sieben Nachspielminuten durch Junior Santos noch auf 3:1 erhöhen. Als der Schiedsrichter abgepfiffen hatte, lagen sich die Botafoguenses auf dem Rasen und den Rängen weinend vor Freude in den Armen.

Botafogo-Fans verfolgen im Stadion Nilton Santos das Endspiel auf Leinwänden. (Foto: Renato Spyrro/Reuters)

Seit Tagen hatten die Gäste aus Brasilien Argentiniens Hauptstadt in Schwarz-Weiß getaucht, die Farben beider Klubs. Je gut 20 000 Eintrittskarten hatten sie zugeteilt bekommen, viele Botafogo-Fans kamen aber einfach ohne. Die Anreise aus Rio ist etwas leichter als aus Belo Horizonte, und der Hunger der Fans war groß.

Atlético, 1937 der erste offizielle Fußballmeister Brasiliens und nach seinem Maskottchen oft einfach o galo, der Hahn, genannt, hatte die Copa Libertadores schon gewonnen, 2013 mit o bruxo, dem Hexer, Ronaldinho Gaucho.

Die Botafoguenses dagegen strömten nach Buenos Aires, um am Ufer des Flusses Rio de la Plata zu neuen Ufern aufzubrechen. Denn der wichtigste kontinentale Titel fehlte noch. Anhänger erreichten Buenos Aires nicht nur mit dem Flugzeug, sondern auch nach 40 Stunden im Bus oder von Uruguay aus mit dem Boot. Drei Mutige kamen sogar mit dem Fahrrad. Fans reisten auch aus Kanada, den USA, Europa an – nie zuvor mobilisierte der Klub mit dem weißen Stern auf schwarzem Wappengrund so viele Unterstützer für eine Partie im Ausland. Und sie kosteten den Trip schon vor dem Anstoß aus, verbrüderten sich vor dem Stadion La Bombonera mit Anhängern der Boca Juniors, tanzten Samba im Tango-Viertel San Telmo, weinten, als sie John Textor auf der Straße trafen.

Seit der US-Investor, Kosename Papai (Papi), vor zwei Jahren 90 Prozent der Klubanteile kaufte, geht es aufwärts. Mag die Konkurrenz auch die Nase rümpfen ob der Geldspritze des Geschäftsmanns aus Missouri, der Samstagnacht für den Triumph einen Scheck über 23 Millionen US-Dollar überreicht bekam. Bei Flamengo und Palmeiras schimpfen sie, obwohl die eigenen Kader nach wie vor weit teurer sind, sogar über Wettbewerbsverzerrung, weil Botafogo, anders als man selbst, die Kosten nicht durch laufende Einnahmen decken könne. Aber eine Financial-Fairplay-Regel gibt es nur in Europa.

Mit dem Sieg qualifiziert sich Botafogo für die Klub-WM

Das ficht die Fans, darunter Künstler wie Pop-Diva Anitta und Samba-König Zeca Pagodinho, nicht an. O glorioso, der Ruhmreiche, wird der Verein gerufen, aber der Ruhm brauchte dringend diese Auffrischung. Lange liegt sie zurück, die goldene Ära der 50er und 60er Jahre mit dem Dribbelkünstler Garrincha, dem weltmeisterlichen Mário Zagallo und Rekordspieler Nilton Santos, nach dem das Olympiastadion benannt ist, in dem die Elf ihre Heimspiele austrägt und in dem diesmal 50 000 Anhänger das Finale auf Großleinwänden verfolgten. Nach dem Sieg wurde wie immer ein Feuerwerk gezündet, schließlich bedeutet Botafogo übersetzt „stecke es in Brand“ oder „lege Feuer“. Der Name geht auf ein Kriegsschiff zurück.

Als Sieger der Copa Libertadores gebührt dem Team nun nicht nur der letzte Startplatz bei der Klub-WM im kommenden Sommer, sondern vor allem gloria eterna, ewiger Ruhm: Mit diesem Slogan bewirbt Südamerikas Fußballverband den Wettbewerb.

Der Titel bleibt also in Rio, im Vorjahr siegte Fluminense, davor Flamengo. Da auch Vasco da Gama schon gewann, haben nun alle vier großen Klubs der Stadt den Pokal in der Vitrine. Und im Museum von Botafogo wäre auch noch Platz für den Meisterpokal. Am Mittwoch geht es in Porto Alegre gegen Internacional. Diesmal würden sie gerne auf ein Missgeschick verzichten, „um Garrinchas willen“, wie ein Radioreporter sagte.

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