Süddeutsche Zeitung

Peter Bosz:Verrückter Trainer, guter Mensch

  • Der Trainer findet mit seiner offensiven Idee von Fußball bei Bayer Leverkusen guten Anklang.
  • Nach seinem Reinfall bei Samstags-Gegner Dortmund sucht er inzwischen taktische Kompromisse.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Am vorigen Freitag war Peter Bosz an der Seite von Simon Rolfes Zeuge des Länderspiels zwischen Deutschland und Holland. Was der Trainer von Bayer Leverkusen dort in Gesellschaft seines Sportdirektors sah, müsste ihm eigentlich gut gefallen haben. Es war ein Spiel mit hohem Unterhaltungsfaktor, in dem viel passiert ist, und am Ende gewannen seine Landsleute 4:2. Das eine erfüllte seine primären Erwartungen an ein Fußballspiel, das andere kam seinen patriotischen Gefühlen entgegen. Dass das Resultat seinen Expertenstatus in Frage stellte - er hatte einen deutschen Sieg vorhergesagt -, konnte er verkraften. Was Bosz hingegen gar nicht gefallen konnte: dass ein Spieler seines Teams zum Hauptdarsteller avancierte, und zwar in der undankbarsten aller Rollen. Verteidiger Jonathan Tah, 23, war nach Auffassung vieler Rezensenten der Verlierer des Abends und ein Urheber der deutschen Niederlage. Die Fachpresse schickte ihn mit der Note "Ungenügend" ins Hotelbett.

Ein paar Tage später, wieder zu Hause in Leverkusen, trat Bosz diesen Schuldzuweisungen entgegen: Es sei nicht Tah gewesen, der das 2:4 verursacht habe, "da waren noch zehn andere", sagte er, "wie alle auf Jona draufgehauen haben, das war nicht in Ordnung". Doch dass Tah in Hamburg ein schlechtes Spiel gemacht hatte, das hat der Trainer beim gerechten Ärger über die ungerechte Behandlung auch nicht unterlassen zu erwähnen. Was schon typisch ist für Bosz: Fürsorge ist das eine, aber Beschönigung liegt ihm nicht.

Bosz verwendet vor großem Publikum schon mal den Begriff "Scheißspiel", wenn ihm ein Spiel nicht gefallen hat. Auch diese erfrischende Klarheit in der Wortwahl ist Teil seiner Lehre, die in Leverkusen intensiven Anklang findet, seitdem er sein Engagement im Januar angetreten hat. Die jüngeren wie die älteren Spieler gingen "total mit", stellt Sportchef Rudi Völler fest, "sein Stil, aber auch seine persönliche Art kommen in der Mannschaft sehr gut an". Bosz wird in Leverkusen nicht nur wegen seiner offensiven Idee von Fußball geschätzt, wegen der ansehnlichen Spiele und ihrer vorwiegend guten Resultate, sondern auch, weil zu seiner Arbeitsweise eine menschliche Komponente kommt, die zu seinem Wesen und Selbstverständnis gehört.

"Ich finde, er ist ein sensationeller Trainer"

Bayer-Profi Sven Bender erzählte den Ruhr Nachrichten dazu jetzt eine Episode: Als Bosz vor zwei Jahren als Trainer nach Dortmund kam, befand sich Bender schon auf dem Sprung nach Leverkusen. Bosz und er hatten nur eine Woche miteinander zu tun, bevor der Wechsel vollzogen wurde. Trotzdem habe ihn Bosz später noch mal angerufen und mitgeteilt, dass er gern mit ihm zusammengearbeitet hätte, berichtete Bender: "Das fand ich cool." Nun bilden die beiden seit acht Monaten eine Arbeitsgemeinschaft - und Bender sieht seinen Eindruck bestätigt: "Ich finde, er ist ein sensationeller Trainer."

Völler hat mit dem 55 Jahre alten Holländer etwas Ähnliches erlebt - mit dem Ergebnis, dass sich wieder eine seiner Lebensweisheiten bewahrheitete: Im Fußballgeschäft sehe man sich eben immer zweimal.

Bevor sich Bosz im Sommer vor zwei Jahren Borussia Dortmund anschloss, hatten es auch die Leverkusener bei ihm schon einmal versucht. Völler hatte die Sache bereits abgehakt und das Interesse auf Heiko Herrlich gerichtet, als ihn Bosz noch mal anrief und sich für das Angebot bedankte. Als dann Herrlichs Zeit bei Bayer zu Ende ging, "da haben wir uns logischerweise sofort an ihn erinnert", so Völler. Zunächst waren beide Seiten vorsichtig und schlossen ein Bündnis bis Sommer 2020, doch in der nächsten Zeit, da ist Völler äußerst zuversichtlich, wird man eine neue, langfristige Vereinbarung treffen: "Wir wissen beide, was wir voneinander haben." Sondierungen für den neuen Vertrag haben im Sommer im Trainingslager begonnen.

Rudi Völler beschreibt den Coach als "angenehmen, lustigen Menschen mit einem kleinen Schalk im Nacken". Dass er Bosz ausdrücklich für verrückt erklärt, stellt kein Problem dar. Es ist diese Sorte von Auffälligkeit, die seiner Meinung nach zum Berufsbild dazugehört: "Er ist so fußballverrückt, wie Trainer sein sollten."

Als Bosz die sportlichen Belange in Dortmund vertrat, kam bei der Borussia gegen Ende der kurzen Schaffenszeit allerdings der Verdacht auf, dass seine Passion für den Fußball zu einer gewissen Obsession geführt habe. Das Glaubensprinzip des Trainers, dass Fußball nur dann etwas tauge, wenn er dem Publikum Spaß macht, habe seinen Unterricht auf einen einzigen Paragraphen beschränkt: auf Angriff um jeden Preis.

Rückkehr nach Dortmund für die Dauer eines Punktspiels

Am Samstag kehrt Bosz nun mit Bayer für die Dauer eines Punktspiels nach Dortmund zurück, und Völler ist überzeugt davon, dass sich die alte Geschichte nicht wiederholen wird. Bosz verlangt weiterhin, dass die Zuschauer "Wow, das war aufregend!" sagen, wenn sie nach den Spielen seines Teams nach Hause gehen. Aber "er arbeitet jetzt mit den Erfahrungen, die er in Dortmund gemacht hat", sagt Völler. Bayer profitiere von diesen Kenntnissen.

Wenn andere Beobachter meinen, dass der Trainer aus dem Reinfall in Dortmund ein gewisses Misstrauen überbehalten habe, ist das kein Widerspruch. "Mein Weg ist der Offensivfußball mit einer kompakten Defensive", hat Peter Bosz kürzlich im Gespräch mit der Deutschen Welle sein Konzept definiert. Man darf diese Formel als Kompromiss aus Idealismus und Realismus verstehen. Ein Risiko will der Trainer nicht leugnen: "Wenn wir den Plan nicht richtig nutzen, dann ist hinter unserer Abwehr ein sehr großer Raum, den der Gegner gern nutzt." Doch der Erfolg, den er mit Bayer in der Rückrunde hatte - mit einem großen Plus an eigenen Toren und einem markanten Minus an Gegentoren -, und der gelungene Saisonstart bestätigen ihn.

Bosz braucht dazu Spieler, die nicht nur besonders fleißig, sondern besonders aufmerksam sind. Nicht den Jonathan Tah aus Hamburg, sondern den Jonathan Tah, der in Belfast gegen Nordirland plötzlich ins Spiel kam - "und von Beginn an alles richtiggemacht hat".

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Quelle:
SZ vom 13.09.2019
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