Borussia Mönchengladbach:Raus aus der Zwangsjacke

Borussia Mönchengladbach FC Augsburg 23 09 2015 Trainer Andre Schubert BMG jubelt nach dem Tor

Grün ist die Hoffnung: Gladbachs Interimstrainer André Schubert (Mitte) ballt beim befreienden Sieg gegen Augsburg die Faust.

(Foto: imago/Horstmüller)

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Unter den Entfesselungskünstlern gilt der längst verstorbene Harry Houdini bis heute als Referenz. Gern befreite er sich aus einer Zwangsjacke, während er kopfüber von einem Wolkenkratzer hing. Oder er kletterte unter Wasser aus einer verschlossenen Holzkiste, in der er sich zuvor hatte zusammenbinden lassen. Solch waghalsige Tricks sind den Mönchengladbacher Fußballern fremd. Allerdings spielen auch sie gern mit den Nerven des Publikums; und wenn die Gefahr sich auflöst, kreischen die Fans vor Vergnügen.

Am Mittwochabend haben die Gladbacher "wie entfesselt" aufgespielt - so war es nach dem 4:2 gegen den FC Augsburg jedenfalls vielfach zu lesen. Sechs Spiele in Serie hatte die Borussia zuvor verloren und war in neun Stunden Fußball auf gerade mal zwei Tore gekommen. Das fühlt sich für Fußballer ungefähr so an, als hingen sie in einer Zwangsjacke kopfüber von einem Wolkenkratzer.

Vier Tore in 21 Minuten

Am Mittwoch zwischen 20 Uhr und 20.21 Uhr aber zeigten die Gladbacher mit einem atemberaubenden Trick, wie man sich aus einer vermeintlich hoffnungslosen Situation erlöst. Binnen 21 Minuten erzielten sie gegen Augsburg vier Treffer. "Anscheinend war Gladbach befreit von etwas, das sie vorher blockiert hatte", sagte Augsburgs Trainer Markus Weinzierl und erhielt dafür Bestätigung von Gladbachs Manager Max Eberl: André Schubert, der Interimstrainer, habe es "geschafft, die Jungs ein Stück weit frei zu machen". Unter dem Eindruck dieser erfreulichen Entwicklung verlängerte Eberl seinen ursprünglich bis 2017 datierten Vertrag am Donnerstag vorzeitig bis 2020.

Wochenlang hatten die Gladbacher unter ihrem erfolgsverwöhnten Dirigenten Lucien Favre ausschließlich in Moll gespielt, doch unter Schubert wurde daraus plötzlich eine große Sinfonie in C-Dur. Der von einer Verletzung gerade erst genesene Fabian Johnson (5.), der Mittelfeldspieler Granit Xhaka (17.), der zuletzt so blasse Zugang Lars Stindl (19.) und der 19-jährige Mahmoud Dahoud (21.) ließen die Stimmung im Borussia-Park wieder einmal steigen. Der Deutsch-Syrer Dahoud, einer der verheißungsvollsten DFB-Juniorennationalspieler und von Lucien Favre stets gefördert und gelobt, spielte neben Xhaka im defensiven Mittelfeld.

Mit neuem Mut zum Vorwärtsdrang

Der Schweizer Xhaka, selbst erst 22 Jahre alt, durfte in Vertretung des verletzten Tony Jantschke erstmals als Kapitän auflaufen und wirkte ob dieser Ehre angemessen gerührt. Xhaka geht verbal und körperlich gerne voran, er spielt bisweilen zwar noch ein wenig naiv, vom Favre-Nachfolger Schubert fühlte er sich aber zu einer Führungsrolle ermuntert. "Wir haben immer noch das Favre-Spiel im Kopf", meinte Xhaka, "aber André hat uns mental gestärkt und gesagt, dass wir mutig spielen sollen und Fehler machen dürfen."

Mit einer Körpersprache und Leidenschaft, die manche schon als Befreiung vom bisweilen gestrengen Favre interpretierten, überrannten die Gladbacher die überraschten Augsburger und hatten das Glück, dass anfangs fast jeder Schuss den Weg ins Tor fand. "Die Jungs haben ihr Herz in die Hand genommen", schwelgte Schubert. Der 44-Jährige hatte bis Sonntag die Regionalliga-Amateure der Borussia trainiert, seit Montag steht er plötzlich im Mittelpunkt des Interesses - ein Interesse, dem er mit der Eloquenz eines ehemaligen Germanistikstudenten begegnet.

Manager Max Eberl verlängert seinen Vertrag bis 2020

Der gebürtige Kasseler, der als Trainer in Paderborn, beim FC St. Pauli sowie im Jugendbereich des Deutschen Fußball-Bunds gearbeitet hat, wirkte von der urplötzlichen Stärke seiner Gladbacher am Mittwochabend selbst ein bisschen überrascht. Er äußerte sich wie ein Golf-Fahrer, der in einem Porsche mit der Fußspitze mal kurz aufs Gaspedal drückt. "Ich war überrascht, mit welcher Intensität und Wucht sie gekommen sind - aber diese Jungs haben nun mal eine unglaubliche Qualität, und wenn sie auch noch den Mut haben, diese einzusetzen, dann gelingt so eine erste Halbzeit wie gegen Augsburg." Erst in die Gladbacher Ermüdungsphase hinein hatten die Augsburger im zweiten Durchgang durch Paul Verhaegh mit zwei Elfmetern auf 2:4 verkürzt.

Weil parallel der VfB Stuttgart mit einem 3:1 in Hannover seinen ersten Saisonsieg sicherstellte, kommt es am Samstag zwischen Stuttgart und Mönchengladbach nun zum qualitativ vielleicht besten Kellerderby der jüngeren Bundesliga-Historie. Zwei offensiv sehr gut besetzte Mannschaften mit neuem Mut zum Vorwärtsdrang wollen ihre noch ganz junge Befreiung bestätigen und werden alles für einen weiteren Sieg geben. Schubert warnte deshalb schon mal vor zu viel Euphorie. "Wir müssen auch wieder ein bisschen Demut entwickeln." Denn noch ist nicht viel gewonnen mit diesem ersten Bundesliga-Sieg. "Es war toll, was die Spieler gezeigt haben, aber wir sind nicht Tabellenführer, sondern Sechzehnter."

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