Borussia Mönchengladbach:Neues Lebensgefühl

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Beim 2:1 über den zunehmend angeschlagen wirkenden FC Schalke 04 tritt die Elf von Trainer Hecking wie geheilt auf. Dazu tragen auch Videos mit Spielsequenzen von Real Madrids Kapitän Sergio Ramos bei.

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Im Sommer war der "Ramos-Song" ein großer Hit auf dem Internet-Kanal Youtube. Darin wird Real Madrids Kapitän Sergio Ramos besungen, unter anderem mit folgenden schönen Zeilen: "Dieses Fairplay - vergiss es/ schlag einfach zu - so isses". Dieses Lied hat Matthias Ginter aber bestimmt nicht gemeint, als er am Samstagabend nach Borussia Mönchengladbachs 2:1-Sieg gegen den FC Schalke 04 berichtete, er habe sich in jüngster Zeit mit Sergio-Ramos-Videos fortgebildet. Ginter ist bisher nicht durch schmutzigen Kampfsport aufgefallen, aber dass er wie Ramos ein ausgezeichneter Kopfballspieler ist, das wussten die Kenner schon länger. Unter anderem deshalb hatte Jogi Löws Vertrauter Urs Siegenthaler für Ginters Aufnahme in den WM-Kader 2014 plädiert ("Matthias hat einen wunderschönen Kopfball"). In Brasilien hat Ginter zwar ebenso viel gespielt wie bei der nächsten WM - nämlich keine Minute -, beim Aufbruch in die neuen Zeiten hat ihm Löw aber eine tragende Rolle zugewiesen. Ginter, 24, fungiert jetzt als Rechtsverteidiger, und beinahe hätte er sich im Länderspiel gegen Peru auch als Torschütze verdient gemacht, fachgerecht hatte er den Kopfball angesetzt, doch mangels Platzierung landete er in den Armen des peruanischen Torwarts. Deshalb hat er Miroslav Klose um Tipps gebeten und sich die Ramos-Videos angeschaut.

Die Erklärung von Schalkes Manager Christian Heidel zur Niederlage ist eine Legende

Schon nach drei Minuten hatte Ginter dann am Samstagabend einen anspruchsvollen Kopfball im Schalker Tor versenkt, den kein Ramos besser hinbekommen hätte. Es war der gelungene Start in ein Spiel, das den Borussen ähnlich wie dem plötzlich wichtigen Nationalspieler Ginter ein überraschendes, neues Lebensgefühl verschaffte. Zwar steht nahezu das gleiche Personal auf dem Platz wie in der vorigen Saison, die als Zeit des Stillstands empfunden wurde und einige Zweifel an der Kunst des Trainers Dieter Hecking hinterließ. Doch der Gladbacher Fußball sieht erfrischt aus wie nach einer wundersamen Heilbehandlung. Hecking, gestern noch Symbolfigur für den ausgebliebenen Fortschritt, steht auf einmal als erfolgreicher Reformer da. Der Trainer schwärmte wie verliebt, als er mit vielen Worten seine Mannschaft lobte und deren Widerstandsgeist zur "neuen Qualität" erhob. "Gegen einen richtig guten Gegner mit wahnsinniger, körperlicher Präsenz sind sie immer wieder durchs Feuer gegangen", sprach er, als würde er aus einer nordischen Heldensage erzählen.

Das Gladbacher Publikum teilte seine Begeisterung. Schon in den vergangenen Jahren wussten die Borussen an guten Tagen mit ihren schnellen Kontern über die Flügel unwiderstehlichen Schwung zu entwickeln, am Samstagabend sah ihr systematisch modifiziertes Spiel aber noch ein Stück vielseitiger und unbeherrschbarer aus. Immer wieder sahen sich die Schalker zum Hinterherlaufen genötigt, immer wieder standen andere Räume in ihrer Deckung offen. In Abwesenheit der bestimmenden Oberhäupter Raffael und Lars Stindl (beide verletzt) gingen die Gladbacher Hauptrollen aufs Kollektiv über, Denis Zakaria und Jonas Hofmann traten als Antriebskräfte aus der Mitte hervor, Thorgan Hazard beschäftigte die Schalker mit seinen Solo-Läufen, und der vielversprechende neue Angreifer Alassane Plea schuf Platz, indem er sich als Anspielstation in der vordersten Linie gegen die gefürchtete Dreierkette mit Naldo, Salif Sané und Matija Nastasic behauptete. Auch an Patrick Herrmanns 2:0 hatte der teure Sommer-Transfer seinen Anteil.

Den Wortführern des Gegners fiel es schwer, die Logik anzuerkennen, die zur dritten Saisonniederlage geführt hatte. Tatsächlich gab es Momente und Phasen, in denen die Schalker das Spiel hätten noch wenden können. Sie waren mit ihren grellgrünen Trikots zwar schlechter angezogen als zuletzt, spielten aber besser und deutlich energischer als gegen Hertha BSC Berlin (0:2) und beim VfL Wolfsburg (1:2). Die Geschichte von Manager Christian Heidel, dass die Gladbacher den Sieg lediglich ihrem starken Torwart Yann Sommer und der höheren Effizienz im Angriff zu verdanken hätten, war dennoch eine Legende.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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