Kurze Rückblende, nur ein Jahrzehnt zurück. Borussia Mönchengladbach taumelte am Tabellenende der Bundesliga. Max Eberl, der junge Sportdirektor, tat sich lange äußerst schwer, einen Verrat an der Hausordnung zu begehen und den Traditionsborussen Michael Frontzeck zu entlassen. Als er sich im Februar 2011 doch dazu entschloss und das deprimierte Personal dem heutigen Dortmund-Trainer Lucien Favre anvertraute, tat er dies auch in der Absicht, der Schweizer müsse dann halt in der zweiten Liga einen Neuaufbau gestalten. Doch was damals wie eine Kapitulation wirkte, war aus heutiger Perspektive der krachende Startschuss: Borussia gelang in letzter Sekunde der Klassenerhalt, der Trainerwechsel leitete das Comeback der Gladbacher Fohlen ein, die in den Siebzigern in Europa mal sehr berühmt waren, aber dann nicht mehr.
Unter Favre entwickelte sich Borussia wieder zum Stammgast im oberen Bundesliga-Drittel, Kontinuität zog ein, und nun ist da europaweit ein Raunen: 6:0 bei der eigentlich unbedingt ernst zu nehmenden Elf von Schachtjor Donezk! Die Fohlen sind zurück! Sie werden in einem Atemzug genannt mit Real Madrid und Inter Mailand und stehen bei Halbzeit der Champions-League-Gruppe B in der Tabelle jetzt sogar vor der Prominenz. Auch wenn dies nur eine Momentaufnahme bleiben sollte, solche Momente muss man erst einmal erschaffen.
Max Eberl revitalisierte einen Mittelstandsstandort - und das, obwohl er viele Talente ziehen lassen musste
Denn in jener Marktposition, in der die vergleichsweise kleinen Gladbacher sich befinden, muss man immerzu damit kalkulieren, dass die Dinge nicht von Dauer sind. Und dass heute schon die Geier mit den Adleraugen, die Scouts, über dem Borussia-Park kreisen, um zu überlegen, welcher Profi wohin passen könnte - all dies in der berechtigten Annahme, dass eine 260 000-Einwohner-Stadt am Niederrhein nicht das Ziel aller Träume sein dürfte. In diesem Wissen hat Eberl einen Mittelstandsstandort revitalisieren können, und dies, obwohl er schweren Herzens viele Talente ziehen lassen musste: Granit Xhaka (für 45 Millionen Euro), Thorgan Hazard (25,5), Jannik Vestergaard (25), Marco Reus (17), Marc-André ter Stegen oder Mahmoud Dahoud (je zwölf) hatten bei der Borussia einen guten Eindruck, aber auch viel Geld für neue Pläne hinterlassen.
Umso erstaunlicher war es, dass die Mannschaft im Sommer 2020 zusammengehalten werden konnte. Dass Verteidiger Ginter, die Mittelfeldspieler Neuhaus und Zakaria (fehlt seit Wochen verletzt) sowie die Stürmer Plea und Thuram, die aufgrund ihrer Jugend bald die Meistumworbenen sein dürften, in Mönchengladbach blieben. Dabei half argumentativ die Qualifikation zur Champions League, die im Fernduell mit Bayer Leverkusen kurz vor Toreschluss gelang. Zudem lockten der ruhige Sportdirektor Eberl und Trainer Marco Rose, für den das Attribut "obercool" einst erfunden wurde, mit der Perspektive, einen pfeilschnellen Fußball vorführen zu dürfen.
Eine Geschichte wie jene vom Comeback-Jahrzehnt der Borussia gibt es im modernen Fußball nur noch sehr selten: dass sich ein Standort, der schon aus der Zeit gefallen zu sein schien, noch einmal erholt, noch einmal international begeistert. Und das ohne Import von Fremdgeld oder Werkskapital, sondern hauptsächlich aus eigenen Mitteln. Die Botschaft: Nicht allein Geld schießt schöne Tore. Manchmal hilft auch das geschulte Auge dafür, welches Fohlen in den Stall passt.