Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Zweifel am Charakter

Dortmund kassiert gegen Hoffenheim die nächste bittere Pleite im Endspurt. Trotz Rang zwei ist das Saisonfazit letztlich ernüchternd für den BVB.

Die Dortmunder hatten schon lange das Spielfeld verlassen, als die Hoffenheimer dort lauthals Europapokal-Lieder anstimmten, als sie tanzten und diesen seltenen Moment der Freude genossen. 4:0 (2:0) gewannen sie beim Tabellen-Zweiten, alle vier Treffer machte der Angreifer Andrej Kramaric, der damit eine neue Vereinsbestmarke in einem Bundesliga-Spiel aufstellte. Es war ein genialer Auftritt des Kroaten, der per Weitschuss, zweimal aus dem Spiel im Strafraum sowie per Elfmeter traf.

Sportdirektor Alexander Rosen geriet angesichts der famosen Vorstellung des zuletzt vom Verletzungspech geplagten Profis ins Schwärmen: "Die TSG mit Kramaric ist eine andere Mannschaft als ohne Kramaric. Er hat nicht nur diese Scorer-Qualität, sondern arbeitet auch sehr viel. Wir sind froh, dass er uns zum Saisonabschluss wieder zur Verfügung stand." Rosen, der nach der kürzlichen Entlassung des Coaches Alfred Schreuder auch als Trainer im Verbund mit Kollegen einsprang, wirkte sehr zufrieden: "Das war ein grandioser Abschluss einer anspruchsvollen Saison. Und das war nach einem solchen Umbruch im Sommer nicht unbedingt zu erwarten." Hoffenheim ist nach dem Erfolg auch direkt für die Europa League in der kommenden Saison qualifiziert. Dass der Jubel also groß war und auf fremdem Platz getanzt wurde, hatte durchaus seine Berechtigung.

Anders sah es natürlich bei den Gastgebern aus: Die peinliche Niederlage zum Saisonabschluss verhagelte allen Beteiligten die Stimmung. Nur eine Woche nach dem starken Auftritt beim 2:0 im Spitzenspiel bei RB Leipzig bezog das Team von Lucien Favre eine denkwürdige Niederlage, die neue Zweifel an der Charakterstärke des Teams schüren dürfte. Es schien die Saison innerlich schon abgehakt zu haben. Dabei vergaßen die Spieler elementare Dinge wie eben das Verteidigen des stärksten Angreifer des Gegners. Sie waren immer wieder zu passiv. "Vielleicht haben wir einfach manchmal die falsche Mentalität", klagte Torhüter Roman Bürki im ersten Frust bei Sky.

WM-Held Götze wird vor dem Spiel verabschiedet

Mit einem Mal schien die Freude über den respektablen zweiten Platz und die beste Torausbeute der Vereinsgeschichte verflogen. "Es war nicht gut von uns und wir haben zu viele Geschenke verteilt. Das war zu wenig", klagte Lucien Favre. Bleibende Schäden befürchtet der BVB-Coach jedoch nicht: "Wir werden das ziemlich schnell vergessen. Wir haben trotzdem unser Ziel erreicht und sind am Ende die Nummer zwei. Wir haben eine gute Saison gespielt."

Wie sehr die normalerweise inspirierende Atmosphäre des eigenen, vollen Stadions der Borussia fehlt, dokumentiert die ernüchternde Bilanz in den Geisterspielen seit der Corona-Pause. Drei der fünf Partien endeten mit einer Niederlage. Das leise Lebewohl für Mario Götze kurz vor der Partie passte ins Bild eines alles andere als euphorischen Saisonfinales. Vier Jahre nach seiner Rückkehr aus München wurde der 28 Jahre alte Mittelfeldspieler offiziell verabschiedet, er bekam eine gerahmte Collage und Blumen überreicht, die Mitspieler applaudierten. "In der Summe waren es viele Jahre, die ich in Dortmund verbracht habe, die mit vielen positiven und negativen Gefühlen bestückt waren", sagte der WM-Held von 2014. Dass er bei seinem Abschied ohne die Emotionen der Zuschauer auskommen musste, konnte Götze verschmerzen: "Es ist eine spezielle Situation mit Corona. Ich bin eh nicht der Typ, der großen Augenmerk darauf legt, gerade was den Abschied betrifft."

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SZ vom 28.06.2020 / dpa, sz
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