Borussia Dortmund:Wie ein Rennauto mit Moped-Bremsen

Borussia Dortmund: Unangenehmer Gang: Gleich viermal musste BVB-Torhüter Roman Bürki gegen Gladbach den Ball aus seinem Tor holen.

Unangenehmer Gang: Gleich viermal musste BVB-Torhüter Roman Bürki gegen Gladbach den Ball aus seinem Tor holen.

(Foto: Wolfgang Rattay/AFP)

Wieder drei Standard-Gegentore - und plötzlich sogar die Königsklasse gefährdet: Das 2:4 in Gladbach legt erneut die Dortmunder Mannschafts-Baustellen offen. An Trainer Terzic wird intern noch nicht gezweifelt - dennoch könnte im Sommer ein Charismatiker wie Marco Rose kommen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Das Training am Samstag soll ereignislos geblieben sein. Was hätte auch passieren sollen, an einem kalten Tag mit tristen Zahlen: 2:4 am Freitag in Mönchengladbach, davor 1:2 in Leverkusen, davor 1:1 gegen den Abstiegskandidaten Mainz. Drei Spiele in sieben Tagen - und Borussia Dortmund findet sich auf Platz sieben wieder, unterhalb jenes Strichs, der in der Tabelle die vier Champions-League-Ränge markiert. Aber als sich alle Dortmunder die berüchtigten Gegentore aus Standardsituationen oft genug angeschaut hatten, kamen sie zu einer Erkenntnis, die man aus der Politik kennt: Weitermachen ist alternativlos. Sollte konkret in Dortmund heißen: "Wir ziehen das mit Edin durch."

Das Durchhalten mit einem Trainer hatte der BVB vorher schon zweieinhalb Jahre mit Lucien Favre praktiziert. Die Treuebezeugung für dessen Nachfolger Edin Terzic spiegelt aber glaubwürdig die Gemütslage. Trotzdem kann es sein, dass Terzic nur bis Sommer die Stellung hält - für einen prominenteren Nachfolger, am wahrscheinlichsten für einen wie Mönchengladbachs Marco Rose. Aber dass Dortmunds ehemaliger Co-Trainer bisher etwa genauso oft verliert wie zuvor Favre, das wollen sie Terzic nicht anhängen. Dessen Ansprache der Mannschaft sei gut, er komme an, heißt es. Fußballerisch habe sich schon vieles zum Besseren entwickelt, in manchen Spielphasen sehe der Offensivwirbel endlich so aus, wie man sich das von der Rasselbande der BVB-Wunderkinder vorgestellt hatte - zum Beispiel in der starken Phase am Freitag vor der Pause, als zweimal Erling Haaland traf (1:1/2:1).

Wenn da bloß diese Standards nicht wären. In Gladbach kassierte der BVB schon wieder zwei Tore nach Freistößen, ein drittes nach einer Ecke. In der Ära Favre hatte Dortmund das Verteidigen gegen Spielsituationen nach ruhendem Ball zu einer Art negativer Perfektion gebracht. Statistisch fing sich Dortmund seit Favres Ankunft 2018 etwa alle drei Spiele ein Gegentor bei Ecken und Freistößen. Manche meinen, dass man mit der guten alten Bolzplatz-Regel nicht schlechter fahren würde: Drei Ecken, ein Elfer. Terzic hat das Problem geerbt - gelöst hat er es noch nicht. Die Werte bei Standards sind die eines Absteigers.

Borussia Mönchengladbach - Borussia Dortmund

Nutznießer schwacher Dortmunder Verteidigung bei Standards: Gladbachs Innenverteidiger Nico Elvedi traf gegen den BVB doppelt.

(Foto: Martin Meissner/dpa)

Sportchef Michael Zorc sagte diesmal zur Langzeitbaustelle: "Wenn du in so einem Spiel gegen so eine gute Mannschaft drei Tore durch Standardsituationen fängst, brauchst du dir über das Ergebnis keine Gedanken machen." Gedanken machen sie sich allerdings schon hinter den Kulissen - über ein bisher kaum vorstellbares Szenario: das Verpassen der Champions League. In einem Jahr, in dem sich die Corona-Saisonverluste auf bis zu 80 Millionen Euro belaufen dürften, müsste Dortmund dann ein weiteres Loch von 25 bis 30 Millionen stopfen. Wie man hört, wäre das nur durch den Verkauf von zwei wertvollen Spielern kompensierbar. Corona allein ließe sich durch Transfererlöse ausgleichen, etwa für Jadon Sancho. Doch ein Verpassen der Königsklasse hätte nicht nur finanzielle Nachteile. Viele der Großtalente sind hauptsächlich wegen der Chance da, in Dortmund Champions League spielen zu können.

In Gladbach ging es erst mal wieder um schnöde Standard-Gegentore - just gegen eine Mannschaft, die von Marco Rose offenbar so trainiert ist, nicht nur hinten wenige Gegentore bei Standards zuzulassen, sondern selbst schon ein gutes Dutzend Treffer auf diese einfache Weise erzielt zu haben. "Der Aufwand, den wir für unsere Tore betreiben mussten", analysierte BVB-Coach Terzic, "stand in keinem Verhältnis zum Gegner, der dreimal bei Standards trifft."

Borussia Moenchengladbach v Borussia Dortmund - Bundesliga

Könnte im Sommer von der einen Borussia zur anderen wechseln: Gladbach-Trainer Marco Rose.

(Foto: Lars Baron/Getty)

Rose wirkte während des Spiels souverän wie ein Feldherr, der seine Spieler streng kommandierte. Kann sein, dass er gegenüber dem jungen Terzic den Vorsprung hat, bereits Cheftrainer in Salzburg gewesen und in Gladbach schon im zweiten Jahr angekommen zu sein. Vielleicht aber benötigt man für das Coaching von Top-Mannschaften auch so etwas wie ewig wolkiges Charisma. Neben seiner Ausstrahlung hat Rose aber noch etwas - eine Ausstiegsklausel, die ihn im Sommer theoretisch verfügbar macht. Schon 2019 flirtete der BVB mit dem damaligen Salzburger. Aber weil Favre damals - trotz einer schwachen Rückrunde - als Vizemeister dastand, wurde die Chefsache abgeblasen.

Die Standards-Misere und der Trainerwechsel haben nun die wahren Probleme des BVB aufgedeckt: zu viele blutjunge Spieler in Schlüsselpositionen; zu viele Spieler, deren Defensiv-Larifari Punkte kostet; zu viele Form-Wackler bei Strukturspielern wie Hummels oder Reus - und zu viele im Kader, denen der Trainer offenbar nicht mehr allzu viel zutraut, wie Schulz, Dahoud oder Meunier. Hinzu kommt Torwart Roman Bürki, der in der Summe seiner Talente nicht ganz dem Level einer europäischen Spitzenelf genügt, und dem in dieser Woche in allen drei Spielen eine Mitschuld an Gegentoren gegeben wurde. Auch Bürki stand schon bei Favre auf der Kippe.

Generell ist die BVB-Mannschaft auf offensive Show ausgelegt, doch zu oft wirkt sie wie ein Ferrari mit Moped-Bremsen. Um das Gefährt durch den TÜV zu bekommen, wird der Trainer eine große Portion Charisma brauchen.

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