Borussia Dortmund:Überragend schmerzhaft

Trotz klarer Dominanz scheitert die Borussia an der Chancenverwertung. Torjäger Aubameyang verballert furios. Tuchel sagt trotzig: "Für solche Tage gibt es ein Rückspiel."

Von Ulrich Hartmann, Lissabon/Dortmund

Das jüngste in einer Reihe von Rätseln rund um Borussia Dortmund stellte Torwart Roman Bürki in der Nacht zum Mittwoch. Es war nicht allzu schwer zu lösen. Der Schlussmann berichtete aus der Kabine und sagte: "Einer ist dort richtig am Boden zerstört." Man brauchte sich dann bloß daran zu erinnern, wie jener "Mister X" in der 10. Minute frei vor dem Tor weit drüber geschossen hatte; wie er in der 38. Minute eine Hereingabe verpasst hatte; wie er in der 53. Minute erneut unbedrängt die Kugel übers Tor drosch - und schließlich in der 58. Minute einen derart lausigen Elfmeter halbhoch auf die Tormitte schoss, dass Benfica Lissabons Torwart Ederson den Ball stehend parieren könnte. In der 62. Minute wurde Dortmunds Mister X dann mit einer Leidensmiene ausgewechselt.

Aubameyang habe "seit dem Afrika-Cup einen körperlichen Rückstand", sagt Tuchel

Es handelte sich bei dem Am-Boden-Zerstörten ganz unzweifelhaft um Pierre-Emerick Aubameyang. Der 27 Jahre alte Stürmer aus Gabun hätte den BVB mit seinen vier Großchancen alleine auf sicheren Kurs ins Viertelfinale der Champions League bringen können. So aber, angesichts einer unglücklichen 0:1-Niederlage in Lissabon, wird das Rückspiel am 8. März in Dortmund zur Nervenprobe. "Das wird ssssuper kompliziert", sagte Trainer Thomas Tuchel mit superscharfem "s". Seine Dortmunder machen es sich zurzeit selbst unnötig schwer. Mal mangelt es ihnen an der Arbeitsmoral (in Darmstadt), mal an der Kaltschnäuzigkeit bei der Chancenverwertung (in Lissabon) - und immer fällt irgendwann mindestens ein Gegentor.

Der Ergebnisdurchhänger befeuert auch eine schwelende Debatte über die Saisonziele, vor allem über jenes in der Bundesliga. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hatte den Schlagabtausch im Januar eröffnet mit den Worten: "Ich erwarte nicht mehr und nicht weniger, als dass wir uns direkt für die Champions League qualifizieren." Dies konterte Tuchel in Darmstadt mit der Bitte um mehr Akzeptanz für die Schwankungsanfälligkeit seiner jungen Elf: "Ich plädiere seit Saisonbeginn dafür, dies einzugestehen, und dachte, das ist auch intern schon angekommen."

SL Benfica v Borussia Dortmund - UEFA Champions League Round of 16: First Leg

BVB-Stürmer Pierre Emerick Aubameyang nach einer frustrierenden Partie - und seiner umstrittenen Auswechslung.

(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Sportchef Michael Zorc konterte nun wiederum in Lissabon: "Wenn ich mir die Tabelle anschaue, dann sind wir einen Punkt hinter dem dritten Platz, und welches Ziel sollen wir da bitte schön haben - sollen wir sagen, wir möchten Fünfter werden?" Das nächste Kapitel dieser Debatte wird am kommenden Samstag gegen den VfL Wolfsburg vor der gesperrten Südtribüne geschrieben. 25 000 BVB-Fans werden vom ersehnten Genesungsprozess ihrer angeschlagenen Helden ausgeschlossen.

In diese graue Gemengelage passte der bittere Spielausgang in Portugal. Den spielerischen Anspruch aber, den Tuchel an seine Mannschaft stellt, hatte diese anders als drei Tage zuvor in Darmstadt gegen Benfica erfüllt. Sie dominierte dieses Champions-League-Auswärtsspiel klar und spielte sich beste Chancen für ein halbes Dutzend Tore heraus. "Sie haben nicht gut, sondern überragend gespielt", lobte Tuchel. "Leider ist die Chancenverwertung im Moment ein Thema." Schon häufiger hatte der Coach zuvor einräumen müssen, dass es seinem Team am letzten Biss für den Torabschluss mangele. Auch Zorc zählte zähneknirschend zusammen: "Wir haben Hertha BSC im Pokal unnötig lange am Leben gelassen, hätten Leipzig 5:0 abschießen und in Bremen höher gewinnen müssen." Allein Aubameyang, fand Zorc, "hätte diesmal drei Dinger machen müssen".

Doch beim Gabuner ist eine negative Tendenz festzustellen. Bis einschließlich 7. Dezember (2:2 bei Real Madrid) hatte Aubameyang in 18 Pflichtspielen 18 Tore geschossen. Von diesen 18 Spielen mit seiner Beteiligung gewann der BVB zehn. Seither hat Aubameyang in acht Pflichtspielen nur noch drei Tore geschossen. Von diesen acht Spielen mit seiner Beteiligung gewann Dortmund nur eines - das zeigt die Abhängigkeit von Aubameyangs Toren. Den zweiten echten Neuner, Adrian Ramos, hatte der Klub im Januar veräußert - gegen den Willen des Trainers übrigens.

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Es war nicht der Abend von Pierre-Emerick Aubameyang. Höhepunkt: der gegen Ederson kläglich verschossene Elfmeter.

(Foto: imago)

Tuchel sah sich in Lissabon dazu veranlasst, Aubameyang in der 62. Minute, kurz nach seinem verschossenen Elfmeter, durch André Schürrle zu ersetzen - obwohl Dortmund in der finalen halben Stunde niemanden besser hätte gebrauchen können als einen Ausnahmestürmer. Tuchel begründete den Wechsel mit Aubameyangs Gesamtverfassung: "Auba hat seit dem Afrika-Cup einen körperlichen Rückstand und ich hatte von seiner Körpersprache und seiner Physis her nicht mehr das Gefühl, dass er drauf wartet, den nächsten zu machen." Kritik an der Auswechslung musste sich der Trainer in den medialen Analysen trotzdem gefallen lassen.

10:1 Torchancen hatte Dortmund in Lissabon. Angesichts dieser Zahlen hätte es noch einen zweiten BVB-Spieler geben müssen, den die Niederlage besonders frustrierte. Doch Torwart Bürki, der voller Mitgefühl vom frustrierten Kollegen Aubameyang berichtete, wirkte recht aufgeräumt angesichts des Umstands, dass er 90 Minuten nichts zu tun gehabt hatte- um beim 0:1 durch Kostas Mitroglu in der 48. Minute machtlos zu sein. "Ich hatte wirklich keinen einzigen Ball in der Hand, nicht mal beim Gegentor habe ich ihn berührt", sagte Bürki. Tuchel befand lakonisch: "Shit happens. Für solche Tage sind Rückspiele gemacht." Und Bürki ahnt schon mal, wer den Karren am 8. März aus dem Dreck zieht: "Auba hat uns schon so oft gerettet - nächstes Mal gegen Benfica schießt er eben gleich zwei oder drei Tore."

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