Borussia Dortmund:Tuchels radikale und kalte Kritik überrascht

Eintracht Frankfurt - Borussia Dortmund

Verärgert wie selten: Dortmunds Trainer Thomas Tuchel.

(Foto: Ronald Wittek/dpa)

Die heftige Team-Schelte des Cheftrainers nach der Niederlage in Frankfurt sorgt bei Borussia Dortmund für Irritationen. Aber aus der Chefetage dringt kein Widerspruch.

Von Freddie Röckenhaus, Frankfurt

Ob man Ein- und Auswechslungen bei Bundesliga-Spielen ins Guinnessbuch der Rekorde eintragen lassen kann, müsste noch geklärt werden. Dortmunds Trainer Thomas Tuchel jedenfalls hat am Samstag in Frankfurt eine Bewerbung eingereicht. Dass ihm angesichts des uninspirierten, unengagierten Rasenschachs seiner Mannschaft der Kragen platzte, brachte er durch einen Dreifach-Wechsel schon nach 58 Minuten auf bisher unbekannte Weise zum Ausdruck.

Bei Borussia Dortmund gab es das jedenfalls noch nie, und dieser Vorgang könnte das Verhältnis zwischen Trainer, Mannschaft und Management neu justieren. Tuchels Auswechsel-Protest war aber nur das zarte Vorspiel zu seinen verbalen Attacken gegen die eigene Mannschaft auf der Pressekonferenz nach dem Spiel: "Technisch, taktisch, mental, Bereitschaft - komplett. Unsere Leistung war ein einziges Defizit", sagte er dort.

Schon die Trainingswoche über, seit dem skurrilen 8:4-Sieg in der Champions League am Dienstag gegen Legia Warschau, habe sich das Phlegma angedeutet, erklärte Tuchel den verblüfften Reportern, "und heute war das von der ersten bis zur letzten Minute eine Leistung, die keinen einzigen Punkt verdient hatte".

Nach dem ersten Tor für Eintracht Frankfurt gefragt, das Szabolcs Huszti nach nur 15 Sekunden Spielzeit in der zweiten Halbzeit gelungen war, ätzte Dortmunds Cheftrainer ironisch: "So, wie wir aus der Kabine gegangen sind, hätte es mich fast gewundert, wenn wir kein Gegentor bekommen hätten." Dortmunds Sportchef Michael Zorc und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wollten weder am Samstag noch am Sonntag zu der Abrechnung ihres Trainers mit den BVB-Spielern Stellung nehmen. Auch wenn Tuchels Zorn nachfühlbar war: Die Radikalität und Kälte seiner Kritik überraschte dann doch, nachdem seine Mannschaft noch vor einer Woche den FC Bayern mit Bravour in die Knie gezwungen hatte (1:0) - und in der Champions League souverän die Gruppe vor Real Madrid anführt.

Wutausbrüche kennt man von Thomas Tuchel aus seinen Mainzer Zeiten. In Dortmund hatte er allerdings bisher nur einmal eine schwere Niederlage einzustecken, im Pokal-Endspiel im Mai gegen die Bayern. Damals kritisierte er - ebenfalls irritierend heftig - den scheidenden Kapitän Mats Hummels, der sich hatte auswechseln lassen. Der Rückschlag in Frankfurt, schon die dritte Auswärts-Schlappe der Saison nach Leipzig und Leverkusen, traf Tuchel offenbar ähnlich ins Mark.

Tuchels missglückte Personalentscheidungen

Die Ruhr-Nachrichten titelten nach dem Frankfurt-Spiel allerdings: "Tuchel fehlt die Selbstkritik". Sie trafen damit eine diffuse Stimmungslage beim BVB. In Frankfurt hatte der Trainer erneut heftig rotiert und dabei gerade Spieler, die gegen Warschau herausragend gut gespielt hatten, ohne nachvollziehbaren Grund herausgenommen: die beiden rasenden Außenstürmer Christian Pulisic und Ousmane Dembélé, der später nach seiner Einwechslung groß auftrumpfte, und vor allem die beiden Zentral-Strategen Shinji Kagawa und Nuri Sahin, die Tuchel nicht einmal mit in den Kader nahm.

Stattdessen überraschte der Coach mit dem schon mehrmals missglückten Versuch, den lupenreinen Mittelstürmer Adrian Ramos als Flügelspieler zu bringen. Auch den tatsächlich formschwachen Julian Weigl durch Sebastian Rode als Solo-Sechser zu ersetzen, ist schon mehrfach schiefgegangen; Rode hat in Dortmund auf dieser Position bisher nie überzeugen können.

Ideen- und ratlos gegen robuste Gegner

Bei seinen Rotationen wirkt Tuchel bisweilen ungestüm, für manche Spieler - etwa den spanischen Defensiv-Mann Mikel Merino oder für die Helden der Klopp-Ära, Kagawa und Sahin - scheint das Prinzip aufgekündigt worden zu sein, sich durch besondere Leistungen für den engeren Kreis empfehlen zu können. Nach dem Frankfurt-Spiel war zu hören, dass Tuchel wohl kein Zacken aus der Krone gebrochen wäre, hätte er seine offenbar als Statement gedachte Triple-Auswechslung auch als Eingeständnis eigener Fehleinschätzungen vor dem Spiel eingestanden.

Die wiederholte Ideen- und Ratlosigkeit der Mannschaft, speziell in Auswärtsspielen gegen robust einsteigende Gegner; dazu der Mangel an eingespielten Strukturen, vor allem beim Defensivpersonal; das Festhalten an einem neuen System mit nur einem Sechser (Weigl) - all das scheint die BVB-Chefetage zu erstaunen. Dass weder Zorc noch Watzke sich zu Wort melden wollten, kann man wohl kaum als Einverständnis mit Tuchels harschen Kommentaren werten.

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