Borussia Dortmund:Jedes Heimspiel eine Wallfahrt

BVB-Stürmer Paco Alcacer beim Spiel Borussia Dortmund gegen FC Augsburg

Gol, gol, gol: Dortmunds Paco Alcacer jubelt über seinen Treffer zum 4:3 in der Nachspielzeit.

(Foto: dpa)
  • Borussia Dortmund gerät nach dem 4:3 ins Schwärmen - über die Tabellenführung in der Bundesliga, über Stürmer Paco Alcacer und sogar über Mario Götze.
  • Gerade der Stürmer aus Spanien lässt die Fans mit seiner erstaunlichen Torquote träumen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Der Rekord war so alt wie die Bundesliga: Sechs Tore in seinen ersten drei Spieler hatte nur Gert Dörfel vom Hamburger SV bis zum dritten Spieltag der allerersten Saison 1963 geschossen. Dass dem Spanier Francisco "Paco" Alcácer ein solcher Katapultstart 55 Jahre später nun als Zweitem gelang, wäre also keine historische Bestleistung gewesen - aber sie war es dann doch, weil Dörfel damals drei Mal 90 Minuten durchgespielt hatte, während Alcácer bei Borussia Dortmund in seinen ersten drei Bundesliga-Einsätzen drei Mal eingewechselt worden ist.

Alcácer hat die sechs Tore in seinen ersten drei Ligaspielen in nur 84 Minuten erzielt. Das ergibt im Schnitt alle 14 Minuten ein Tor. BVB-Fans, die wegen dieser Quote nervöse Zuckungen bekommen und hochrechnen, dass ihr neuer Mittelstürmer bei Fortsetzung dieser Frequenz in den verbleibenden Saisonspielen auf weitere 173 Tore kommen könnte, werden nicht gerne hören, dass Sportdirektor Michael Zorc als amtlicher Gutachter beschied: "Man darf das nicht hochrechnen."

Dabei herrscht in der Tabellenführerstadt Dortmund gerade eine Ausgelassenheit, die die Fans dort so ziemlich alles glauben lässt. Die Stadt ist das Lourdes des Ruhrgebiets - mit dem Unterschied, dass dort nicht die Jungfrau Maria erschienen ist, sondern ein Fußballer namens Alcácer, der den BVB wieder von der Meisterschaft träumen lässt. Was die Borussia unter dem neuen Trainer Lucien Favre mit ihren neuen Angriffshelden Alcácer, Jadon Sancho und Jacob Bruun Larsen aufführt, macht für die Anhänger momentan jedes Heimspiel zu einer Wallfahrt.

Sogar der ermattete Mario Götze wurde wiedererweckt. Sieben Minuten nach seiner ersten Liga-Einwechslung in dieser Saison schoss er sein erstes Tor seit acht Monaten. Alle vier Dortmunder Tore beim furiosen 4:3 gegen Augsburg fielen in den letzten 37 Minuten, inklusive sechs Minuten Nachspielzeit - und alle fielen durch die Joker Alcácer und Götze. Die Schlussphase gegen den tapferen FC Augsburg hatte den Adrenalinwert eines Fallschirmsprungs. Erquickender kann ein Schluck aus heiligen Quellen auch nicht sein.

Dem Trainer Favre fehlt meistens die Bereitschaft zur öffentlichen Tiefenanalyse, aber nach diesen spektakulärsten 37 Minuten der Saison rekapitulierte er seine Begeisterung mit den Worten: "Nulleins, einseins, einszwei, zweizwei, dreizwei, dreidrei, vierdrei." Das war die präzise formulierte Tor-Reihenfolge, aber diese Zusammenfassung im Stile eines Schweizer Buchhalters gibt emotional nur unzureichend wieder, was die drei Augsburger und die vier Dortmunder Treffer mit den 81 365 Zuschauern anstellten.

Selten war Geld in ein Fußballticket so gut angelegt, um einen unvergesslichen Nachmittag im Langzeitgedächtnis abzuspeichern. Das galt auch für die Spieler. Augsburgs Österreicher Michael Gregoritsch beschrieb die letzte halbe Stunde mit Jubel und Ärger auf beiden Seiten so: "Hin und her, hin und her, hin und her, hin und her - und am Ende musst du in einen Kübel speien."

Alcácer versenkt im Training neun von zehn Bällen

In der Dortmunder Kabine musste sich niemand übergeben. Dorthin hatte sich ein Autogrammjäger geschlichen, was normalerweise die bullige Security auf den Plan ruft. Aber bei diesem Autogrammjäger handelte es sich um Alcácer höchstpersönlich - mit dem beschlagnahmten Spielball. Alle Mitspieler ließ er unterschreiben und notariell beglaubigen, dass er wirklich drei Tore in 34 Minuten geschossen und das letzte in der sechsten Minute der Nachspielzeit mit einem Freistoß aus 20 Metern erzielt hatte. Aus der sportlichen Leitung ist zu hören, Alcácer versenke im Training neun von zehn solcher ruhenden Bälle.

Zweieinhalb Jahre lang war der Mann nicht mehr zur spanischen Nationalelf eingeladen worden, weil er beim FC Barcelona nur Ergänzungsspieler war. Der 25-Jährige musste erst 1200 Kilometer nach Dortmund fortziehen, um im eigenen Lande wieder etwas zu gelten. Wenn Spanien am Donnerstag in Wales und vier Tage später gegen England spielt, darf Alcácer wieder das Nationaltrikot tragen. Auch das ist eine Facette jener Dankbarkeit, die ihn wohlwollend über Dortmund sprechen lässt.

Nach dem Spiel gegen Augsburg sagte Alcacer, er könne sich vorstellen, über die Saison hinaus beim BVB zu bleiben. Der Klub besitzt dem Vernehmen nach die Option, den bis 2019 ausgeliehenen Spieler danach für 25 Millionen Euro vom FC Barcelona fest zu übernehmen, aber mit jedem seiner Treffer drängt sich stärker die Frage auf, was wohl passiert, wenn Barca sich selbst wieder in diesen Stürmer verlieben sollte - oder was, wenn ein englischer Klub das tut? Dann gelangt man ganz schnell in den Bereich stellarer Ablösesummen, und der BVB könnte die Akte Alcácer womöglich zwischen den Akten der Abgänger Aubameyang und Dembélé einsortieren.

Gegen Augsburg stahl der Spanier sogar Götze die Aufmerksamkeit - oder sollte man sagen: Er hat ihn ein bisschen davor bewahrt? Götze verließ das Stadion wortlos. Die teils hämischen Kommentare der vergangenen Wochen haben ihn geärgert. Sein Comeback samt Tor entzückte aber jenen Mann, der über Götzes Schicksal mitbestimmt: "Er hat eine fantastische Mentalität", sagte Favre über die Trainingsmoral des zuletzt ausgebooteten Weltmeisters. Dessen Leistung war ein weiterer Grund dafür, warum bei BVB die Erwartungen steigen. Vor der Saison hatte Vorstandsboss Watzke noch betont, man habe keinerlei Hoffnung auf den Titel. Spätestens jetzt könnte sich diese Haltung ein bisschen verändert haben.

Zur SZ-Startseite
BVB-Spieler bejubeln ein Tor in der Champions League gegen den AS Monaco

BVB in der Champions League
:Dortmunds Hochbegabte verblüffen

Erster in der Bundesliga, sechs Punkte in der Champions League: Es läuft gänzend beim BVB. Doch Trainer Favre will noch "viele Details verbessern".

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: