Borussia Dortmund:Sie schlafen wieder besser

Schritt für Schritt versuchen die Dortmunder, ihre Rolle als Anschlagsopfer abzulegen. Der turbulente 3:2-Sieg in Mönchengladbach soll als Energieschub für das Pokal-Halbfinale beim FC Bayern wirken.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Roman Bürki schläft wieder besser. Der Schweizer hatte nach dem Bombenattentat auf Borussia Dortmund vor 13 Tagen von nächtlichen Schreckmomenten berichtet und dadurch traurige Berühmtheit als schlafloser Torwart erlangt. An seiner wiedergewonnenen Nachtruhe lässt sich nun trefflich der Seelenzustand einer Mannschaft festmachen, der es wieder etwas besser geht.

"Jetzt wollen wir den Bayern ein Stück weit die Saison vermiesen", sagte Trainer Tuchel

Beim Gastspiel in Mönchengladbach summierten sich mehrere Indizien zu der Diagnose, dass die Dortmunder auf dem Weg der Besserung sind. Sie haben am Niederrhein in der letzten halben Stunde einen 1:2-Rückstand in einen 3:2-Sieg umgewandelt und danach in der Kabine euphorisch gesungen. Vor der Abreise haben sie erleichtert berichtet, dass sie nach dem Sieg, nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters und nach vielen Gesprächen wieder zurück in die Spur finden. Sie fühlen sich mental fast stärker als zuvor. "Wir sind enger zusammengerückt", sagte Mittelfeldspieler Gonzalo Castro über positive Nebenwirkungen eines traumatischen Erlebnisses. Am Mittwoch wollen sie mit diesem gestärkten Zusammenhalt den FC Bayern in München bezwingen. Bürki steckt schon wieder voller Zuversicht: "In diesem Pokal-Halbfinale kann alles passieren - da gibt es keinen Favoriten."

Die Partie am Samstag stand symbolisch für den Dortmunder Befreiungsschlag. In Mönchengladbach war ihnen zwischenzeitlich alles schiefgegangen. Kurz nach der frühen Führung verloren sie in Nuri Sahin einen für die Stabilität wichtigen Mentalitätsspieler, sie bekamen vom Schiedsrichter Wolfgang Stark dabei außerdem einen Elfmeter verwehrt und sahen ausgerechnet den für Sahin eingewechselten Mikel Merino kurz vor der Pause mit einem Fehlpass das Gegentor zum 1:1 einleiten. Als Dortmunds Marcel Schmelzer die Gladbacher nach dem Wiederanpfiff per Eigentor sogar mit 2:1 in Führung gebracht hatte, drohte dem BVB mit dem Verlust des Spiels und der tabellarischen Perspektive ein akuter Rückschlag. Doch sie verzagten nicht und kamen durch den bloß 108 Sekunden zuvor eingewechselten Pierre-Emerick Aubameyang sowie drei Minuten vor Schluss durch Raphael Guerreiro zum verdienten 3:2, das sie über ihre Rückkehr auf den dritten Tabellenplatz hinaus zum Signal ihrer Stärke erhoben.

22 04 2017 Fussball GER 1 Bundesliga Saison 2016 2017 30 Spieltag Borussia Moenchengladbach

Weil Raphael Guerreiro beim 3:2-Siegtreffer höher springt als Mönchengladbacher Julian Korb, beginnen ausgelassene Dortmunder Feierlichkeiten.

(Foto: imago/Team 2)

"Ich glaube, Rückschläge machen uns momentan sogar noch stärker", sagte der Sportdirektor Michael Zorc. "Wenn du als Gruppe gemeinsam negative Dinge erlebst, dann schweißt dich das zusammen", analysierte Bürki. Der Torwart bekannte, erstmals seit dem Attentat wieder "echte Glücksgefühle" erlebt zu haben - "nicht erzwungene", also solche, mit denen man sich selbst zum Optimismus nur ermutigt. "Die Mannschaft ist richtig ausgelassen", schilderte der Trainer Thomas Tuchel und freute sich über diese unverhoffte Beobachtung vielleicht mehr als über den Sieg, weil sie ihn mit Blick auf die nächsten Spiele beruhigt und bestärkt.

Und so war inmitten dieser symbolträchtigen Stimmung des Aufbruchs das einzig sorgenvolle Bild beim BVB jenes, wie der traurige Nuri Sahin mit Krücken und einem dick bandagierten linken Knöchel aus dem Stadion humpelte. Ausgerechnet Sahin. Er war in einer für ihn schwierigen Saison mit wenigen Einsätzen und etlichen Verletzungen durch den Bombenschreck plötzlich zum Führungsspieler erwachsen. "Nuri hat bei der Verarbeitung der Dinge eine tragende Rolle für die ganze Mannschaft gespielt", hatte Tuchel vorige Woche gesagt. Sahins Ausfall am Samstag nach gerade mal einer Viertelstunde wegen eines mutmaßlichen Bänderrisses im Knöchel hat der Mannschaft einen Schlag versetzt. Sie verspielte ihre Führung und lag eine halbe Stunde später 1:2 zurück. Doch über alle Widerstände hinweg erzwangen die Dortmunder den Sieg und zelebrierten ihn als Kampfansage an die Bayern.

22 04 2017 xkvx Fussball 1 Bundesliga Borussia Moenchengladbach Borussia Dortmund emspor v l

Borussia Dortmund jubelt im grün illuminierten Borussia-Park.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Es ist ja erst gut zwei Wochen her, dass sie ihr Bundesligaspiel in München chancenlos mit 1:4 verloren hatten. Aber in den Tagen seither ist in beiden Klubs derart viel passiert, dass das Spiel gefühlt schon viel länger her ist. Das Dortmunder Aus in der Champions League verblasste unter dem Eindruck des Anschlags, und während die Münchner das ihre heftig beklagten, entdeckten die Dortmunder, dass der Fußball ihnen sogar einen Schock verdauen helfen kann. "Er hat uns geholfen, die Dinge zu verarbeiten", sagte Castro, obwohl sie die schnelle Neuansetzung des Heimspiels gegen Monaco bloß 24 Stunden nach dem Attentat noch als Zumutung beschrieben hatten. Fußball hilft genau dann, wenn man gewinnt.

Dass bei den Dortmundern eine Melancholie sogar in Euphorie umgeschlagen ist, war am Samstag zu beobachten. "Jetzt wollen wir den Bayern ein Stück weit die Saison vermiesen", sagte Tuchel spitzbübisch, und es klang ein bisschen so, als könne man sich des Pechs entledigen, indem man es auf andere überträgt. Die Dortmunder legen ihre Rolle als Anschlagsopfer nun aber ganz bewusst sukzessive ab, weil Tuchel wieder in die Normalität zurückkehren will. Dazu gehört eine bewährt hohe Anspruchshaltung an die eigenen Spieler ebenso wie ein gewisser Flachs, um die alte Rivalität mit den Bayern zu pflegen. Tuchel und die Dortmunder wollen schließlich nichts anderes, als möglichst schnell wieder ganz die Alten zu sein. Womöglich verbittet sich der Torwart Bürki nach dem Pokalspiel sogar weitergehende Fragen nach seiner Schlafqualität.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: