Der FC Ingolstadt verfolgt in dieser Saison neben sportlichen Interessen als Aufsteiger auch die Mission, in Deutschlands höchster Fußball-Liga für sein Image und seine Tradition zu werben. Wer das erste Heimspiel am Sonntag gegen Borussia Dortmund besuchte, sah das gleich. Auf dem Cover des Stadionmagazins posierten Ingolstädter Fußballer inmitten einer märchenhaft anmutenden Schwarzweiß-Zeichnung, angefertigt von einer Werbeagentur. Die hatte auch ein Plakat entworfen, mit jubelnden Menschen vor einer Stadtmauer und den Sätzen: "Unsere Schanz hielt weit über 400 Jahre. 90 Minuten überstehen wir auch noch."
Das Motto für das Spiel gegen den BVB war damit vorgegeben. Die Schanzer, wie sich der Klub aufgrund der im 16. Jahrhundert errichteten Stadtmauer nennt, sollten am besten eine Mauer vor ihr Tor bauen, um das Spiel zu überstehen. Die Schanz hielt dann aber nur 55 Minuten. Dortmund gewann am Ende 4:0 (0:0) und übernahm die Tabellenführung vor den Bayern.
Ingolstadt wehrt sich eine Halbzeit
Schnellste Tore der Bundesliga:Schnellschüsse von Volland bis Kobra
Sie hatten es mit dem Toreschießen eilig: Kevin Volland trifft nach 8,84 Sekunden, Karim Bellarabi nach neun - und immer wieder erwischt es Werder Bremen. Die flottesten Bundesligatreffer im Überblick.
Der Nachmittag im ausverkauften, auf Hochglanz polierten Ingolstädter Stadion begann mit einer waghalsigen Ankündigung des Stadionsprechers. Er forderte die Zuschauer auf, vor dem Anpfiff rotes, weißes und schwarzes Plastik in die Luft zu halten: "Damit das in die Geschichte der Choreografie eingeht." Es wurde dann, als die Mannschaften einliefen, immerhin so laut wie wohl noch nie im Stadion. Trainer Hasenhüttl hatte es so formuliert: "Hier herrscht einfach eine brutale Euphorie."
Dass dem FCI auf dem Rasen allerdings nicht gleich der nächste historische Coup gelingen würde, dass er nicht euphorisch zum nächsten Sieg stürmen würde, deutete sich bereits in der Anfangsphase an. Nach zwei Minuten trat Ingolstadts Tobias Levels Henrikh Mkhitaryan, nach fünf Minuten trat Pascal Groß Marcel Schmelzer. Und nach sechs Minuten hätte Marco Reus das 1:0 erzielen können.
Der Nationalspieler war nach einer Pause beim turbulenten 4:3 unter der Woche im Europapokal gegen Odds BK in die Startelf zurückgekehrt. Er schoss den Ball volley aus zehn Metern am Tor vorbei. Doch da war schon klar: Die Dortmunder waren die Hauptdarsteller der Ingolstädter Heim-Premiere, das nächste Märchen würde ausfallen.
Wie beim 4:0 gegen Gladbach und in der zweiten Halbzeit gegen die überforderten Norweger am Donnerstag war viel vom neuen BVB-Stil erkennbar, den sich Tuchel vorstellt. Spieler wie Shinji Kagawa, Ilkay Gündogan oder Mkhitaryan, in der Vorsaison verunsichert oder uninspiriert, wirken wie ausgewechselt: spielfreudig und voller Elan. Nach 17 Minuten lief Gündogan aus der eigenen Hälfte allen Ingolstädtern davon, mit Ball war er schneller als sie ohne. Erst vor dem Tor legte er sich den Ball zu weit vor.
Das fahrlässige Auslassen bester Gelegenheiten war das einzige Manko, bis zur Pause vergab der BVB Chance um Chance. Doch nach der Pause durchbrach gleich der erste Versuch die Ingolstädter Mauer. Mkhitaryan spitzelte den Ball in der 55. Minute nach rechts zu Matthias Ginter, den Tuchel als Rechtsverteidiger aufgestellt hatte, Neven Subotic spielte an dessen Stelle in der Innenverteidigung. Ginter verteidigte sicher und rückte oft mit nach vorne, machte das BVB-Spiel so noch unberechenbarer.
Er nahm den Ball an, umspielte Konstantin Engel und schloss mit einem Schuss in die linke Ecke zum 1:0 ab. Jubelnd lief er in die Dortmunder Fankurve. "Das Tor gibt mir Selbstbewusstsein", sagte er später und sein Trainer erklärte: "Er darf sich freuen. Er hat gezeigt, dass er auf dieser Position konkurrenzfähig ist." Auch Tuchel selbst war die Erlösung anzusehen, er sprang nach dem 1:0 auf und zersägte mit seinen Handflächen die Luft. Nur fünf Minuten später ballte er die Hände zu Fäusten: Nach einem Foul von Moritz Hartmann an Schmelzer im Strafraum verwandelte Reus den Elfmeter, 2:0 (60.).
Kagawa (84.) und Pierre-Emerick Aubameyang (90.+1) erhöhten in der Schlussphase. Tuchel hatte in der ersten Halbzeit noch unruhig gewirkt, das schönste Spiel nützt ja nichts, wenn die Tore nicht fallen. Doch in der letzten halben Stunde betrachtete er entspannt das Geschehen: "Ich bin zufrieden, dass wir uns in der Halbzeit vom Ärger freigemacht haben", sagte er. Zufrieden war er auch mit der Spielweise, "wir haben mutig angegriffen und mutig verteidigt." Sein Fazit: "Absolut top." Ganz so unglücklich sah auch Kollege Hasenhüttl nicht aus. Er sei nicht unzufrieden: "Das Spiel war für uns eine Riesenerfahrung." Aus seinem Gesicht sprach die Gewissheit: Es werden auch Gegner nach Ingolstadt kommen, gegen die die Schanz halten wird.