Borussia Dortmund:Niedergang der Spielkultur

Borussia Dortmund v VfB Stuttgart - Bundesliga

Vor allem rustikal: Dortmunds Sokratis im Zweikampf mit Stuttgarts Erik Thommy.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Zwar ist das Resultat eindeutig, doch der optische Eindruck bleibt alarmierend: Das 3:0 gegen Stuttgart täuscht nicht darüber hinweg, dass der BVB ein Team im Umbruch ist.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Zehn Minuten vor dem Ende des Spiels wurde der 18 Jahre alte Engländer Jadon Sancho eingewechselt und drei Minuten vor Schluss der 17 Jahre alte Spanier Sergio Gomez. In der Pferdezucht nennt man so etwas eine Fohlenschau, man zeigt dem Fachpublikum das Potenzial der jüngsten Jahrgänge und dokumentiert deren Perspektive. Bei Borussia Dortmund hat die Präsentation der Talente auch therapeutischen Charakter, denn beim deutschen Meister von 2011 und 2012 und dem damit bislang letzten Titelträger, der nicht aus München kommt, datieren die Hoffnungen auf eine Rückkehr zu alter Stärke eher im mittelfristigen Bereich.

Wer vom jüngsten 3:0-Sieg des BVB gegen Stuttgart bloß gehört und nichts gesehen hat, kann kaum erahnen, wie erbärmlich Dortmund in der ersten halben Stunde spielte. Wieder einmal. Vom notwendigen großen Umbau in der Sommerpause künden vieldeutige Statements aus dem Management. In den verbleibenden fünf Wochen geht es eigentlich nur noch darum, selbst ohne Glanz und Gloria bloß nicht mehr aus der Champions-League-Zone der Tabelle herauszurutschen.

"Ich erwarte in dieser Saison keine Galavorstellungen mehr", sagt der Sportdirektor Michael Zorc und klingt wie ein einst ambitionierter Restaurantmanager, der dem Chef de Cuisine mittlerweile sogar das Servieren von Spiegeleiern verzeiht.

Bei Borussia Dortmund werden in dieser Saison Lebensläufe angekratzt. Man fragt sich, was aus dem Trainer Peter Stöger wird, was aus den Mittelfeldspielern Gonzalo Castro und Nuri Sahin und erst recht aus den 2014er WM-Helden André Schürrle und Mario Götze. Schürrle fehlte am Sonntag verletzt, Götze schaute vom Spielfeldrand aus bloß zu.

Es gab einige Momente, die in der Summe darauf hindeuteten, dass der WM-Siegtorschütze von 2014 bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Russland nicht dabei sein wird. Wenn ihn schon der BVB-Trainer Stöger im sechstletzten Saisonspiel gegen Stuttgart weder in die Startelf beruft noch zur zweiten Halbzeit und nicht einmal kurz vor Schluss für die ausgewechselten Angreifer Maximilian Philipp (80.) und Marco Reus (87.) einwechselt, was soll dann der Bundestrainer Joachim Löw beim bedeutendsten Fußballturnier der Welt mit ihm anfangen? Nun ist der Österreicher Stöger für Löw nicht unbedingt meinungsbildend, aber es entspricht Götzes aktuellem Leistungsvermögen, dass er beim BVB momentan nicht erste Wahl ist.

Der Niedergang der Spielkultur in Schwarz und Gelb liegt aber natürlich nicht nur an ihm. Der gegenwärtige Fußball des einst mitreißenden Bundesligisten lässt sich wohl am besten mit den Vokabeln ideenlos und entgeistert beschreiben.

Die neue Woche könnte indes sehr emotional werden, denn am Mittwoch jährt sich das Bombenattentat auf den Mannschaftsbus, und am Sonntag gastiert der BVB zum Revierderby bei Schalke 04. Über das Attentat wollen die damaligen Bus-Insassen eigentlich schon gar nicht mehr sprechen. Als Sahin am Sonntag kurz nach dem Spiel vor der Kamera darauf angesprochen wurde, schüttelte er verständnislos den Kopf, sagte zwei Mal kurz "Nee" und verschwand grußlos aus der Interviewzone. Im laufenden Prozess vor dem Landgericht Dortmund gegen den geständigen Attentäter werden noch einige der Spieler als Zeugen aussagen, das genügt ihnen dann aber auch zur Rückschau.

Relevanter ist das fünftletzte Saisonspiel am Sonntag in Gelsenkirchen. Gegen Schalke 04 hat der BVB im November unter dem damaligen Trainer Peter Bosz in der letzten halben Stunde eine 4:0-Führung noch verspielt und ein 4:4 akzeptieren müssen. Nicht nur angesichts dieser Vorgeschichte ist das Rückspiel ein ultimativer Prüftermin für den Zusammenhalt des Dortmunder Gefüges. Es geht um den zweiten Tabellenplatz und darum, dass der Sieger sich so gut wie sicher in der Champions League weiß. Im Revierderby, heißt es, kann man verkorkste Spielzeiten binnen 90 Minuten retten. Selten galt dies mehr als für den gegenwärtig trüben BVB.

Mit den Investitionen in eine bessere Zukunft war der BVB in letzter Zeit hingegen ganz weit vorn. Im Januar 2017 verpflichtete er den Mittelstürmer Alexander Isak,18, vom AIK Solna nahe Stockholm, im August 2017 den Flügelstürmer Jadon Sancho, 18, aus der A-Jugend von Manchester City, und im Januar den Linksaußen Sergio Gomez, 17, aus der A-Jugend des FC Barcelona. Schätzungen zufolge haben sie für das Trio insgesamt 20 Millionen Euro ausgegeben. Sancho hat bisher 314 Minuten Bundesliga gespielt, Isak 116, Gomez am Sonntag seine ersten drei. Für das Spektakuläre, das sie dem BVB-Fußball irgendwann mal zurückgeben sollen, braucht man jetzt besonders eines: Geduld.

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