Borussia Dortmund:Masse an Klasse

1. FC Köln - Borussia Dortmund

Beginn der Aufholjagd: Jadon Sancho (r.) lässt sich von Alcácer zum Ausgleichs beglückwünschen.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Borussia Dortmund erweist sich erneut als Mannschaft, deren Ersatzbank Spiele entscheiden kann.Beim 3:1 in Köln zieht Trainer Favre die richtigen Joker - spannend bleibt, wie er die Ansprüche im Kader moderiert.

Von Philipp Selldorf, Köln

Um 20:20 Uhr hieß ihn der Stadionsprecher willkommen, den zweifellos prominentesten Zugang, den der 1. FC Köln in diesem Sommer importiert hat. Ein halbes Dutzend Cheerleaderinnen bildete das Spalier für seinen Einmarsch, die Fankurve applaudierte, Fanfarenklänge kamen aus den Boxen. Mit festem Schritt betrat er den Rasen, selbstbewusst und unbeeindruckt vom Rumoren der 50 000 Menschen auf den Rängen. Geißbock Hennes IX. ist ein stattlicher Kerl, eine auffallend andere Erscheinung als sein eher zierlicher, liebenswerter Vorgänger Hennes VIII.

Typen mit seiner tierischen Kraft hätte der 1. FC Köln bei der Begegnung mit Borussia Dortmund brauchen können, als die heikle Schlussphase einsetzte und es darum ging, aus der Position des Schwächeren zumindest einen Teilerfolg ins Ziel zu bringen. Es hat aber niemanden verblüfft, dass der Kölner Trainer Achim Beierlorzer darauf verzichtete, den neuen Geißbock einzuwechseln, und am Ende war auch keiner unter den 50 000 ernsthaft überrascht, dass der BVB die Partie durch zwei späte Treffer mit 3:1 gewann. Doch noch gewann, wie gesagt werden kann.

Die Kölner überzeugen durchaus, müssen jetzt aber erst mal auf Stürmer Cordoba verzichten

Zu den Ein- und Auswechslungen haben sich später Vertreter beider Parteien auffallend häufig geäußert, nicht wegen des Ausbleibens von Hennes IX., sondern weil die Wechsel auf der einen wie der anderen Seite große Wirkung ausübten. Während Lucien Favre mit der Hereinnahme von Julian Brandt, Achraf Hakimi und Jacob Bruun Larsen der Offensive des BVB eine Menge Pferdestärken hinzufügte, musste sein Kölner Kollege in der 53. Minute einen Spieler auswechseln, den er nicht ersetzen konnte und dessen Abwesenheit die Kölner strategisch deutlich einschränkte.

"Jhon Cordoba hat uns dann schon gefehlt", stellte der Kölner Sportchef Armin Veh fest. Mit einer nicht näher benannten Muskelverletzung im Oberschenkel wird Cordoba mindestens im nächsten Spiel beim SC Freiburg ausfallen.

Bis der kolumbianische Angreifer - einst als 17-Millionen-Euro-Fehleinkauf in Verruf, inzwischen als unentbehrlich geschätzt - seinen Posten räumen musste, hatte er nicht nur seinem ständigen Gegenspieler, dem Innenverteidiger Manuel Akanji, Mühe und Not gebracht, sondern auch immer wieder effektvoll in den Dortmunder Spielaufbau eingegriffen. Für die Seniorchefs und Vordenker des BVB, Axel Witsel und Mats Hummels, war Cordoba ein ständiger Störfaktor. "Ärgerlich" sei dieser Verlust gewesen, merkte FC-Trainer Beierlorzer an, dem ansonsten nur noch ein zweiter Grund zur Beschwerde einfiel: "Es war ein sehr gutes Spiel von uns - leider Gottes ohne Lohn."

Während der ersten Halbzeit hatte der Borussia-Coach Favre häufig Gelegenheit zu seinem typischsten Gesichtsausdruck - seine Miene drückte Besorgnis aus, regelmäßig erschien er an der Seitenlinie, um zu ordnen, was sich einfach nicht ordnen lassen wollte. Die ganze Woche hatten Favre und Sportchef Michael Zorc die Mannschaft durch öffentliche und interne Appelle wissen lassen, dass gegen den mutmaßlich hoch motivierten Aufsteiger Schärfe und Intensität gefragt seien. Genau davon war wenig zu sehen während der ersten 45 Minuten. "Keine Lösung nach vorn, zu langsam, nicht zielstrebig", so beschrieb es Torwart Roman Bürki, der sich von den zunehmenden Fehlern seiner Vorderleute anstecken ließ. Beim Stand von 0:1 - Dominick Drexler hatte nach einem Eckball getroffen (29.) - verlor der Schlussmann beinahe den Ball an den besagten Störenfried Cordoba, zum 0:2 fehlte da nicht viel.

Nach einer Stunde betraten dann aber Hakimi und Brandt den Rasen, und die Szenerie änderte sich abrupt. "Die Einwechslungen haben uns sehr, sehr viel gebracht. Man hat das sofort gesehen", bekannte Favre. Der BVB beschleunigte sein Spiel, während die Hausherren ihre wachsende Erschöpfung nicht mehr lange leugnen konnten. So wie die Kölner es mit Teamarbeit verstanden hatten, die spielerischen Vorteile des BVB zu neutralisieren, so legte sich nun flächendeckend Müdigkeit übers Team. "Sie waren sehr aggressiv und sind sehr gut angelaufen", sagte Bürki, "aber es war auch klar, dass sie das nicht 90 Minuten durchhalten würden."

Die Kölner zogen sich notgedrungen an den eigenen Strafraum zurück, trotzdem gab es für die Dortmunder Individualisten nun mehr Platz zur Entfaltung. Jadon Sancho gelang nach 70 Minuten das 1:1, und nach einer schnell ausgeführten Ecke bereiteten die Dortmunder den Kölner Verteidigern jene Schwindelgefühle, mit denen sie in dieser Saison garantiert noch viele Gegner peinigen werden. Am Ende einer brillanten Kombination legte Außenverteidiger Lukasz Piszczek seinem Kollegen Hakimi die perfekte Flanke für das 2:1 auf den Kopf. Paco Alcácer ließ schließlich noch ein typisches Kontertor zum 3:1 folgen.

Dieses Spiel erfüllte also mehr oder weniger buchstabengetreu die Erwartungen des Programmhefts. Der FC, angetreten mit fünf Neueinkäufen, erwies sich als konkurrenzfähiger Aufsteiger, der BVB präsentierte sich als Team, das bei Bedarf immer noch etwas mehr zu bieten hat. Die Masse an Klasse setzte sich durch. Wenn Einwechselspieler wie Brandt und Hakimi zum Sieg beitragen könnten, sei dies die Bestätigung der Personalpolitik des BVB, sagte Bürki: "Das ist das, was wir brauchen." Zum Beispiel, wenn man deutscher Meister werden möchte.

Während die Kölner Spieler vom Publikum wie Gewinner gefeiert wurden, sah man auf Dortmunder Seite nicht nur glückliche Gesichter. In den Mienen von Mario Götze, Mo Dahoud oder Thomas Delaney drückte sich die Unzufriedenheit derer aus, die wieder nicht mitspielen durften. Der stark besetzte Kader gibt Trainer Favre noch mehr Möglichkeiten, aufs laufende Spiel Einfluss zu nehmen, zumal nun acht Feldspieler auf der Bank erlaubt sind. Er zwingt ihn aber auch zu verschärfter Moderationsarbeit - im Moment zählen ja Spieler zu den Reservisten, die zuletzt noch höhere Ansprüche verwirklichen durften.

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