Es ist mitunter ratsam, nicht alles wortwörtlich zu nehmen, was ein Akteur der Fußballindustrie so von sich gibt. Am Mittwochabend war es allerdings angebracht, jeder Silbe Glauben zu schenken, als Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer von Borussia Dortmund, in Berlin den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden entgegennahm. „Nie“ habe er persönlich eine größere Ehre erfahren; er könne sich auch nicht vorstellen, dass da noch eine kommen werde, die sie toppe, sagte Watzke in einer nach dem legendären US-Sprinter Jesse Owens benannten Lounge des Berliner Olympiastadions. Als Josef Schuster, der Zentralratsvorsitzende, ihm am Telefon mitgeteilt habe, dass er mit dem Leo-Baeck-Preis bedacht worden sei, habe er sich „völlig erschlagen“ gefühlt und sei „sprachlos“ gewesen.
Auch wenn Watzke, 65, nicht der erste Fußballfunktionär ist, der den Preis bekommen hat (vor ein paar Jahren hatte ihn auch der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger erhalten), so fällt sein Name doch aus dem Rahmen. Die Liste der Preisträger füllen Kanzler, Minister und Staatspräsidenten, und auch Politiker, die vom bestens vernetzten Christdemokraten Watzke vertraulich beraten wurden oder werden. Den Preis erhielt Watzke freilich nicht für eine politische Rolle. Sondern für seinen Kampf gegen Antisemitismus, oder genauer: für den Kampf, den Borussia Dortmund mit und unter Watzke geführt hat, führt – und weiterhin führen wird.
Dass nicht Watzke allein geehrt wurde, sondern eine Reihe von Mitarbeitern des Klubs, das war sowohl der Rede von Zentralratschef Schuster als auch der Dankesrede von Watzke zu entnehmen. Der BVB-Geschäftsführer dankte ausdrücklich, stellvertretend und merklich von Herzen dem früheren Fanbeauftragten Daniel Lörcher, der die Antidiskriminierungsinitiativen des BVB seit Jahren prägt. Watzke rückte damit eine Arbeit ins Zentrum, die politisch-pädagogisch wirken und den vor gar nicht so langer Zeit noch großen Einfluss von Neonazis auf die Tribünen im Westfalenstadion zurückdrängen sollte. Ein Beispiel für diese Arbeit sind Bildungsreisen für BVB-Fans an Orte des deutschen Terrors gegen Juden.
Der BVB hat die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit Spenden bedacht, die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) adoptiert (und damit in der Bundesliga eine Vorreiterrolle gespielt), den Terror der Hamas vom 7. Oktober 2023 verurteilt. Unter anderem. In seiner Dankesrede betonte Watzke auch seine Freundschaft zum Staate Israel. Und er fügte hinzu, dass diese „auch immer bedingt, dass man sich ab und zu das Recht herausnimmt, dem Freund zu sagen: Das gefällt mir jetzt persönlich nicht so gut, wenn man mit einer politischen Entscheidung nicht einverstanden ist“.
Der Zentralrats-Vorsitzende Josef Schuster kritisiert den Rheinmetall-Deal des BVB
Konkreter wurde Watzke an dieser Stelle nicht, dafür war er es an anderer Stelle. Als er etwa sagte, dass es ihn mit Blick auf die Geschehnisse in Amsterdam am Rande des Spiels von Maccabi Tel Aviv bei Ajax Amsterdam oder auf die jüngsten antisemitischen Attacken in Berlin und anderen Gegenden Deutschlands beschäme, „dass Juden in Deutschland oder Deutsche jüdischen Glaubens wieder Angst haben, auf die Straße zu gehen“. Da nämlich äußerte Watzke seine Überzeugung, dass „eine fehlgeleitete Migrationspolitik“ zu den Treibern dieser Entwicklung gehöre und zu einer Radikalisierung am rechten und linken Rand der Gesellschaft beitrage. „Auch das muss man einfach mal sagen dürfen“, rief Watzke und erntete Applaus – nicht zuletzt von den prominenten Vertretern eines auflagenstarken Blattes des Landes, das in balkenbreiten Überschriften und Leitartikeln gern mal ähnlich klingt.
Umgekehrt zeigte Watzke auch Nehmerqualitäten: als der Zentralratsvorsitzende Schuster den kontroversen Werbevertrag der Borussia mit der Waffenschmiede Rheinmetall thematisierte. „Ich war ehrlich gesagt nicht begeistert, dass Borussia Dortmund ein Sponsorenverhältnis mit einem Rüstungskonzern eingeht, der erheblichen Nachholbedarf bei der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus hat“, sagte Schuster – und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass der BVB auf Rheinmetall einwirke.