Hans-Joachim Watzke hatte schon vor acht Monaten eine Ahnung. Im Mai 2024, als der Vorsitzende der Geschäftsführung der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA im Pressesaal des Stadions saß und Lars Ricken als neuen Geschäftsführer Sport präsentierte, da sagte Watzke über die Führungsmannschaft des BVB: „Ich hoffe, dass sie es hinkriegen, unter Lars’ Führung konstruktiv und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten – es kann aber auch sein, dass es nicht funktioniert.“ Nun deutet sich an: Zwischen dem Sportdirektor Sebastian Kehl und dem Kaderplaner Sven Mislintat funktioniert es womöglich tatsächlich nicht.
Die Hauptfiguren in diesem Backstage-Drama sind: Vorstandsboss Watzke, Sportgeschäftsführer Ricken, Sportdirektor Kehl, der Technische Direktor Kaderplanung Sven Mislintat und Berater Matthias Sammer. Erst im Mai hatte Watzke über dieses stattliche Konglomerat von Fachleuten noch gesagt: „Jeder, der über eine gewisse Qualität verfügt, hat auch ein gewisses Ego.“
Bevor sich durch vier Niederlagen und ein Remis zu Beginn dieses Jahres die sportliche Entwicklung beim BVB verschärft hat, ereignete sich vergangenen Sommer Folgendes: Der damalige Trainer Edin Terzic trat zurück (offizielle Version) und der Co-Trainer Nuri Sahin, 36, wurde als neuer Chefcoach installiert. Sahin hatte mit der Mannschaft aber keinen Erfolg und ist vergangene Woche nach einem halben Jahr schon wieder freigestellt worden. In jener Nacht sagte der BVB-Berater Sammer nach einer 1:2-Niederlage in Bologna in seiner Rolle als Experte im Amazon-Streaming: „Diese Mannschaft ist körperlich und geistig in einer Nichtverfassung; sie kann nicht verteidigen, aber angreifen kann sie auch nicht – alle haben gesehen, was einige Spieler hier aufs Feld gebracht haben.“
Der Vertrag mit Kehl ist Anfang Januar bis 2027 verlängert worden
Es waren, Zufall oder nicht, diese Worte, die die ohnehin schon kritische Lage in Dortmund ultimativ verschärft haben. Sahin wurde noch nächtens in Bologna freigestellt, tags darauf der A-Jugend-Trainer Mike Tullberg als Interimslösung präsentiert. Sammer wurde für sein Statement allenthalben kritisiert angesichts seiner Doppelrolle als BVB-Berater und als TV-Experte. Dem Vernehmen nach wurde er beim BVB intern angehalten, zumindest bei Dortmunder Champions-League-Spielen nicht mehr als Amazon-Experte aufzutreten.
Unterdessen wurden Gerüchte immer lauter, dass es um die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Sportdirektor Kehl und dem Technischen Direktor Mislintat nicht zum Besten stehe. Der Vertrag mit Kehl ist Anfang Januar bis 2027 verlängert worden. Sollte dies ein Signal für eine Entweder-oder-Entscheidung gewesen sein, so passte dazu am Dienstag eine Meldung der Ruhrnachrichten, wonach sich der BVB zeitnah von Mislintat trennen wolle. Offenbar beabsichtigt der Verein aber, das Ende der Transferperiode am 3. Februar zunächst noch abzuwarten. Der BVB steht transfertechnisch unter einem gewissen Druck, der Klub ist kurzfristig auf der Suche nach Verstärkungen, nachdem Flügelstürmer Donyell Malen für etwa 25 Millionen Euro an Aston Villa nach England verkauft wurde. Dass nun auch noch Mittelfeldspieler Felix Nmecha wegen einer Bänderverletzung wochenlang fehlt, versuchen sie beim BVB dadurch zu kompensieren, dass sie den nach Wolfsburg verliehenen Salih Özcan sofort zurückholen. Dies vermeldete der BVB am Dienstagnachmittag.
All die personellen Unwägbarkeiten fallen mit der akuten Suche nach einem neuen Cheftrainer zusammen. Im finalen Champions-League-Gruppenspiel gegen Schachtar Donezk an diesem Mittwoch wird die Mannschaft ein zweites Mal vom A-Jugend-Trainer Tullberg betreut, vielleicht auch noch am kommenden Samstag beim Bundesliga-Auswärtsspiel in Heidenheim – und ganz vielleicht sogar noch bis zum Saisonende. Sky berichtete am Dienstag, Watzke und Ricken hätten am Vortag Ralf Rangnick in Salzburg getroffen. Der 66-Jährige steht noch bis Dezember 2025 als Nationaltrainer von Österreich unter Vertrag und sollte von den BVB-Granden offenbar abgeworben werden.
Zuletzt hatten sich Hinweise verdichtet, dass der 53 Jahre alte Niko Kovac (zuvor Nationaltrainer Kroatien, Eintracht Frankfurt, Bayern München, AS Monaco und VfL Wolfsburg) heißester Kandidat für den Cheftrainerposten ist und es erste Gespräche gegeben hat.