Borussia Dortmund:Ein Tag aus saurer Milch

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Die 2:4-Niederlage in Hannover sorgt für einen Stimmungsumschwung beim bisherigen Tabellenführer. Manager Zorc kritisiert den "Alibifußball" der Spieler - und auch die Taktik von Trainer Bosz steht zur Debatte.

Von Jörg Marwedel, Hannover

An einem sogenannten Sahne-tag bekommt man sogar einen Elfmeter, wenn ein Stürmer einfädelt. Hannovers Felix Klaus hatte sich geschickt über das Knie von Dortmunds Torwart Roman Bürki fallen lassen, Jonathas erzielte das 1:0. An einem Sahnetag macht es auch nichts, dass der Gegner zweimal den Ausgleich erzielt wie die Borussia durch Dan-Axel Zagadou und Andrej Jarmolenko, weil einen nichts aus der Fassung bringen kann. Dann kontert man eben mit zwei wunderbar herausgespielten Toren des überragenden Ihlas Bebou und einem Freistoß in den Winkel (durch Klaus) - und gewinnt mit 4:2. Nach so einem Sahne-Nachmittag, an dem sogar skeptische 96-Fans den "Oh, wie ist das schön"-Gesang anstimmen und man plötzlich nur noch zwei Punkte hinter dem abgestürzten Tabellenführer liegt, kann man schon "stolz" sein, wie es Trainer André Breitenreiter war.

Doch während die 96-Anhänger in ihrer Euphorie darüber nachdachten, wann sie zuletzt ein solches Spektakel erlebt hatten, musste man das Spiel aus Dortmunder Sicht nicht mit Sahne, sondern eher mit angesäuerter Milch vergleichen. Vor zwei Wochen, bis zum 2:3 gegen RB Leipzig, noch mit fünf Punkten Vorsprung als Titelfavorit gehandelt, wird nun bei der Borussia offenbar über die richtigen Zutaten gestritten. Neun Tore hat der BVB in den vergangenen drei Bundesligaspielen kassiert. Und plötzlich wird die Debatte um den riskanten Spielstil des niederländischen Trainers Peter Bosz laut und lauter.

Die löchrige Abwehr ist nach Ansicht des Kapitäns Marcel Schmelzer nicht allein die Schuld der "vier hinten und der Sechser". Doch es scheint, als habe die offensivstarke Gruppe vergessen, dass auch die Defensive zu einem guten Fußballspiel gehört. Bosz, der einstige Trainer von Ajax Amsterdam, muss vielleicht einsehen, dass man so zwar gegen die meisten Gegner in den Niederlanden auskommen kann, ohne größeren Schaden zu erleiden - aber kaum in der Bundesliga.

Schmelzer sagte, der BVB habeeine "nicht Borussia-Dortmund-würdige" Leistung dargeboten. Er monierte, die Mannschaft sei immer wieder auf einfache Mittel hereingefallen: Hannover kam mit dem ersten Ballkontakt hinter die Dortmunder Abwehrlinie. Das sei ein Punkt, über den man sprechen müsse, sagte Schmelzer. Manager Michael Zorc konnte seine Wut über das fehlende Engagement kaum verbergen. "Pomadig" habe man begonnen, "selbstgefällig, ohne die nötige Robustheit und Zweikampfhärte". Über weite Strecken sei das "Alibifußball" gewesen, urteilte Zorc. Er war ganz außer sich.

Und Bosz? Die Vermutung, die Gegner hätten nun den "Borussia-Code" geknackt, wollte er nicht gelten lassen. Doch sein Kollege Breitenreiter, der schon die Taktik des Schalker Trainers Domenico Tedesco beim 1:0-Sieg entzaubert hatte, hatte taktisch eben einen "Sahnetag" erwischt, wie 96-Manager Horst Heldt meinte. Diesmal hatte er seinen Schützlingen den Auftrag gegeben, den Gegner "Mann gegen Mann zu jagen" - also quasi in Manndeckung über das ganze Feld. Zudem hatte er, wie nicht nur Schmelzer erkannte, gefordert, ständig hohe Bälle hinter die hoch stehende BVB- Abwehrkette zu chippen.

Bosz sagte, dass es nicht das System gewesen sei, das 96 zu viele Räume gestattet hatte. Wenn die Einstellung stimme, könne man mit gutem Gegenpressing dagegen angehen, argumentierte er. Doch weder das Mittelfeld mit Gonzalo Castro (später Shinji Kagawa), Nuri Sahin und Mario Götze noch Pierre-Emerick Aubameyang, den auch drei freie Tage unter der Woche nicht von seiner mutmaßlichen Lustlosigkeit befreit hatten, beteiligten sich genügend am aufwendigen Spielstil. Hinten unterliefen Marc Bartra, Sokratis und Zagadou Fehler.

Zagadou sah zudem in der 59. Minute die rote Karte, als er den aufs Tor zueilenden Jonathas mittels Notbremse stoppte. Das Ergebnis dieser Tat war der Zauber-Freistoß von Felix Klaus zum 3:2. Für die Knackpunkte dieser Partie, nämlich den Elfmeter nach 19 Minuten und die rote Karte, wollte Bosz niemanden verantwortlich machen als das eigene Team: "Das müssen wir uns selber anheften", sagte er. Es kommt eine richtungsweisende Woche auf den Trainer zu. Am Mittwoch wird wohl selbst ein Sieg gegen APOEL Nikosia das Aus in der Champions League nicht verhindern. Dann kommt am Samstagabend der FC Bayern nach Dortmund.

Und für Hannover wird es im zweiten Spiel der derzeitigen Top-Four bei RB Leipzig darum gehen, "weitere Punkte gegen den Abstieg" zu sammeln. So sagt es jedenfalls der gefeierte Breitenreiter. Er werde kein neues Ziel ausgeben, sprach der erfolgreiche Coach des Aufsteigers, "wir spielen dieses Spiel nicht mit". Auch die drei Punkte gegen Dortmund hätten nur einen Sinn gehabt: den Abstieg zu vermeiden.

© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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