Borussia Dortmund:Der BVB plant die große Korrektur

Borussia Dortmund: Die Mannschaft von Borussia Dortmund steht vor einer ungewissen Zukunft.

Die Mannschaft von Borussia Dortmund steht vor einer ungewissen Zukunft.

(Foto: AFP)

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Wenn man schon eine vernichtende Niederlage hinnehmen muss, dann ist es noch am erträglichsten an so einem Ostersamstag. Der Frieden der Ostertage hat Borussia Dortmunds Protagonisten gut getan, sich mit dem Unabänderlichen abzufinden: 0:6 bei Bayern München. Mag sein, dass das passieren kann, sogar dem BVB, der doch vor der ganzen Fußballnation immer noch als einziger kleiner Herausforderer der Bayern gilt. Aber darf man so untergehen? Mit der zweitteuersten Mannschaft der Liga? Und wo bitte hängen die Reißleinen, an die man sich jetzt werfen müsste? Kader austauschen? Trainer? Management?

Wenn es damit getan wäre, den Trainer auszuwechseln, wäre es ja vergleichsweise leicht vollbracht. Dortmund lag, zur Erinnerung, nach sieben Spieltagen der laufenden Saison an der Spitze der Liga - fünf Punkte vor den Bayern. Dann wechselten die Bayern ihren Trainer, Heynckes kam für Ancelotti, der Rest der Geschichte ist bekannt. Dortmund hörte zum selben Zeitpunkt auf zu gewinnen, holte aus den nächsten acht Spielen noch drei von 24 möglichen Punkten. Dann feuerte der BVB Peter Bosz, und Peter Stöger kam als Notlösung. Dass der Österreicher nicht den Soforteffekt eines Jupp Heynckes auslösen würde, war ihnen auch in Dortmund klar, aber ein freundlicher Kerl sei er halt, mit dem man angenehm arbeiten und reden könne, auch über Politik und alles Mögliche jenseits des Fußballs. Und siehe da, Stöger verlor in den ersten zwölf Bundesliga-Spielen nicht. Bis zum Samstag war der BVB Zweiter der Rückrundentabelle.

Man glaubt das kaum, weil man vom BVB eine so andere, kreativere, elegantere Spielweise gewohnt war. Man glaubt auch kaum, dass Dortmund auch im vergangenen Jahr, noch unter dem Trainer Thomas Tuchel, zu diesem Saison-Zeitpunkt nur zwei Pünktchen mehr hatte.

Franz Beckenbauer hat vor Jahren seinen urheberrechtlich schützenswerten Begriff vom "Rumpelfußball" geprägt. Ohne allerdings zu ahnen, wie sehr er damit einmal die aktuelle Spielweise des Stöger-BVB beschreiben würde. Zu Saisonbeginn schwärmten Freund und Feind noch vom Dortmunder Offensiv-Spektakel, schnell aber wurde es schon unter Trainer Bosz immer weniger. Mit Nachfolger Stöger gab es wenigstens wieder Punkte, aber auch das schleichende Ende jeglicher Spielfreude. "Beamtenfußball" nannte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc das leidenschaftslose Ballgeschiebe, an dem sich nur noch die kolossale Unzuständigkeit jedes einzelnen Spielers fürs große Ganze ablesen lässt. Seit Monaten schon. Man dachte zunächst, Zorc meine damit nur die Spieler. Peter Stöger, vermutlich ein exzellenter Trainer für so ziemlich jede graue Maus der Liga, hat nur einen Vertrag bis Sommer. Aber wird alles sofort besser, wenn dann wieder ein anderer übernimmt?

Manager Zorc erhofft sich von Sammer "frische Ideen"

Ausgerechnet am Samstag, Stunden vor dem Nullsechs von München, hatte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke via Interview angekündigt, dass Matthias Sammer sein Fachwissen künftig wieder exklusiv dem BVB zur Verfügung stellen werde. Sammer wird - in aller Ruhe von seinem Wohnort München aus - Inspirationen für Watzke und Zorc hinüberrufen, regelmäßig auch in die alte Heimat fliegen, wo er als Spieler und Trainer Triumphe feierte. Wo er dann aber auch eine Zeitlang in Ungnade fiel, weil er sich allzu öffentlich mit dem früheren BVB-Präsidenten Gerd Niebaum solidarisierte, dem Verantwortlichen für die Beinahe-Pleite des BVB in jenen Jahren, bevor Watzke und Präsident Reinhard Rauball den Klub übernahmen.

Sammers fachliche Kompetenz ist unstrittig. Aber seinen Namen wieder mit dem BVB zu verbinden, ist auch ein geschickter PR-Schachzug. Mit Stöger wird Sammer nach dem 0:6-Schock sicher nicht mehr zu tun haben. Stöger kündigte seinen bevorstehenden Rückzug, sympathisch wienerisch verbrämt, irgendwie schon selber an. Man müsse beim BVB nicht an Rädchen drehen, sondern an Rädern. "Man muss dann schauen, wer das kann." Stöger weiß wohl, dass er das nicht sein wird. Aber Matthias Sammer wird helfen wollen, einen Nachfolger zu finden.

Die Suche kann man in etwa so definieren, dass der BVB den Trainer holt, den der FC Bayern übrig lässt - einen Trainer, der zudem aus einem bestehenden Vertrag herauszukaufen wäre. Julian Nagelsmann war schon letzten Sommer Lieblingskandidat beim BVB, ist aber in Hoffenheim bei Milliardär Dietmar Hopp ungefähr so schwer loszueisen, wie es Pep Guardiola gerade bei Manchester City wäre. Nico Kovac, der Eintracht Frankfurt disziplinierte, stand schon auf Dortmunds Beobachtungsliste ganz oben, als noch Thomas Tuchel Trainer war, wird aber in München hoch gehandelt. Lucien Favre gilt immer noch als kompetent und immer noch als schwierig, wäre in Nizza inzwischen aber wohl zu bekommen. Um den geschätzten Ralph Hasenhüttl wagt man sich gar nicht ernsthaft zu bemühen, weil absehbar ist, dass RB Leipzigs Mäzen Dietrich Mateschitz den Teufel tun wird, seinen Trainer ausgerechnet zu den größten Kritikern des Leipzig-Modells, nach Dortmund, gehen zu lassen.

Manger Michael Zorc, für den die BVB-Rochaden eher eine Beförderung sein dürften, erwartet sich von Sammer "frische Ideen, eine Sicht mit Abstand und von außen". Manche Arbeitsweisen seien inzwischen vielleicht etwas zu routiniert. Ein zusätzlicher, unabhängiger Blick soll da nützlich sein. Zorc und Sammer haben sich, das ist bekannt, nicht sonderlich gut verstanden, als beide zweimal deutscher Meister und 1997 Champions-League-Sieger mit Borussia Dortmund wurden. Als Zorc später schon Manager war und Sammer BVB-Trainer, war es nicht besser. Und als Sammer dann Mario Götze und Robert Lewandowski - in seiner vorübergehenden Rolle als Sportvorstand des FC Bayern - nach München lotste, hat dies die Beziehung auch nicht verbessert. Aber Zorc versichert, dass er sich mit Sammer inzwischen gut verstehe. Vielleicht auch, weil der sich nach seiner Schlaganfall-Erkrankung verändert haben soll; weniger schroff, weniger verbissen soll er heute sein.

Und die Mannschaft? Zerspielt sich gerade offenbar in ihre Elementarteilchen. Gewiss, Nationalspieler Marco Reus war nicht mit dabei in München, Raphael Guerreiro auch nicht, und Torjäger Aubameyang spielt seit wenigen Wochen beim FC Arsenal. Die Mannschaft steht auf Platz drei, und die Stöger-Resultate der Rückrunde haben sie irgendwie in den Champions-League-Rängen gehalten. Doch was ist aus dem geworden, was der BVB noch vor wenigen Monaten mit praktisch gleichem Kader an Fußball aufzuführen imstande war? Der BVB ist immerhin der Pokalsieger des vorigen Sommers.

Das Millionen-Karussell fliegt den Dortmundern um die Ohren

Und nun? Schwer zu beschreiben, so multifaktoriell erscheint es. Klar ist, dass der BVB mit all dem Geld, den rund 400 Millionen Euro, die der Klub in den letzten Jahren aus Transfers einnahm, nicht allzu viel anfangen konnte. Erst Götze und Lewandowski, dann auf einen Schlag Hummels, Gündogan, Mkhitaryan, zuletzt Dembélé und Aubameyang: Wenn man so einen Aderlass erlebt, muss man mit den meisten Schüssen am Transfermarkt richtig liegen. Und man darf eben nicht glauben, zum Beispiel einen Hummels durch ein Nachwuchstalent ersetzen zu können, das eben kein neuer Hummels ist. Das Millionen-Karussell fliegt den Dortmundern schon seit einiger Zeit um die Ohren, auch schon im vorigen Jahr unter Thomas Tuchel.

Mario Götze sucht nach seiner Identität. Seine Begabung, im Dribbling die Gegner links wie rechts aussteigen zu lassen und ständig aufs Tor zu schießen: nicht mehr zu sehen - verschollen zwischen der Guardiola-Zeit in München, den Monaten unter Tuchel und einer inzwischen auskurierten Hormon-Erkrankung. Schürrle, Weigl, Dahoud - lauter Spieler, die man als Zukunft des deutschen Fußballs sah. Und jetzt?

Für Christian Pulisic boten englische Klubs noch im Winter 50 Millionen Euro und mehr. Für Maximilian Philipp, der in der Startphase der Saison fünf Tore erzielte, hat der BVB 20 Millionen gezahlt, Alexander Isak aus Schweden wurde als neuer Ibrahimovic gehandelt, Jadon Sancho als 17-Jähriger von Manchester City geholt. Jeder scheint für sich allein doch aufgeschmissen zu sein. Dem BVB scheint nicht nur ein Plan zu fehlen, ihm fehlen die gestandenen, die körperlich robusten Typen, wie sie der FC Bayern reihenweise hat.

Im Sommer könnten acht bis zehn Neue kommen

Borussia Dortmund hat sich verkalkuliert. So schlimm, dass ihnen das Schlimmste passierte: Mitleid vom FC Bayern. Thomas Müller, mit vielen Dortmundern von der Nationalelf bekannt, sagte: "Es tut einem auch ein bisschen weh, dass die Verunsicherung so zu spüren war."

Im Sommer werden sie vielleicht nicht alles über den Haufen werfen, trotzdem könnte es zum Austausch von acht bis zehn Spielern kommen. Damit wird sich dann aller Voraussicht nach auch Sebastian Kehl beschäftigen, als neuer "Leiter der Lizenzspieler-Abteilung". Kehl wird Zorc viel Arbeit abnehmen können, im täglichen Kleinkrieg mit den Profis von heute. Kehl hat von 2002 bis 2015 beim BVB gespielt, mehr Identifikation geht kaum. Er hat gerade eine Trainer-A-Lizenz gemacht; und Kehl ist ehrgeizig, bissig, mitreißend. Mit Sammer als Trainer und Zorc als Manager wurde er 2002 sogleich deutscher Meister.

Sehr wahrscheinlich hätten die Spielertypen Zorc, Kehl und Sammer dem BVB aus der aktuellen Krise helfen können. Mit Mentalitäts-Fußball, mit bisweilen auch mal mehr Willen als Talent. Am Ostersamstag konnte man hier und da sehen, dass einige BVB-Spieler mit den Bayern technisch durchaus mithalten konnten. Aber Fußball ist halt mehr, als mit dem Ball umgehen zu können. Das werden sie im nächsten Kader und mit dem nächsten Trainer erkennen und korrigieren müssen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: