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Abwinken im Fußball:Eine Geste, die verbannt gehört

Schiedsrichter Aytekin wird kritisiert, weil er den Dortmunder Dahoud nach einer abfälligen Handbewegung bestraft. Doch das oft vermisste Fingerspitzengefühl fehlt hier nicht dem Referee.

Kommentar von Ulrich Hartmann

In der Trainingsgestaltung von Borussia Dortmund spielt die wegwerfende Handbewegung keine Rolle. Wer dort diese abfällige Geste benutze, könne sich von ihm etwas anhören, droht Marco Rose als Trainer von Borussia Dortmund. Am Samstagabend in Mönchengladbach haben seine Fußballer Raphael Guerreiro und Mahmoud Dahoud die wegwerfende Handbewegung indes mit routiniert anmutender Intuition abgerufen. Zum Nachteil ihres Klubs.

Man weiß nicht, ob die Dortmunder bei Borussia Mönchengladbach zu elft einen 0:1-Rückstand hätten ausgleichen können. Zu zehnt vermochten sie es jedenfalls nicht. Und dass sie ab der 40. Minute nur noch zu zehnt spielten, lag an genau dieser Geste: der wegwerfenden Handbewegung.

Das abfällige Abwinken ist eine emotionale Mischung aus Enttäuschung und Tadelung und im Fußball längst ein etabliertes Kavaliersdelikt. Die erste Geste dieser Art ließ Guerreiro etwas überraschend seinem Mitspieler Mats Hummels angedeihen, nachdem dieser den Ball versehentlich ins Aus gepasst hatte statt zu Guerreiro. Danach dauerte es nicht lange, ehe Guerreiro auch den Schiedsrichter Deniz Aytekin mit der Geste bedachte, nachdem dieser ihm ein Foul attestiert hatte. Aytekin nahm Guerreiro daraufhin erheblich ins Gebet und achtete merklich darauf, dass es jeder im Stadion mitbekam.

Aytekin imitierte auffällig das Abwinken und stellte Guerreiro für den Fall der Wiederholung gestisch eine Verwarnung in Aussicht. Doch der nächste, der nur ein paar Minuten später die wegwerfende Handbewegung machte, war nicht Guerreiro. Sondern Dahoud.

Man könne sich nicht irgendeinen Spieler raussuchen, um ein Zeichen zu setzen, kritisiert Rose

Dass Aytekin dem Dortmunder Mittelfeldspieler in der 40. Minute nicht fürs vorangegangene Foul, sondern für die anschließende Geste Gelb zeigte (nachdem Dahoud in der zehnten Minute bereits Gelb für ein taktisches Foul erhalten hatte), gereichte den Dortmundern zum Zorn. Völlig übertrieben fand es der angehende BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl. Man könne sich nicht irgendeinen Spieler raussuchen, um ein Zeichen zu setzen, kritisierte Trainer Rose. Die meisten beklagten, dass zwar Guerreiro ermahnt, aber Dahoud bestraft wurde.

Die eigentliche Fehlentscheidung war aber nicht, dass Dahoud für seine Geste bestraft wurde, sondern dass Guerreiro zuvor nicht auch schon Gelb gesehen hatte. In der Regel 12 (Fouls und Fehlverhalten) der offiziellen "Fußball-Regeln 2021/22" heißt es unter Punkt 3 (Disziplinarmaßnahmen): "Ein Spieler wird verwarnt: bei Protestieren durch Worte oder Handlungen." Und in einem farblich eigens hervorgehobenen Kasten ("Zusätzliche Erläuterungen des DFB") heißt es extra noch einmal: "Jeder Spieler, der gegen eine Schiedsrichter-Entscheidung protestiert, wird verwarnt."

Damit wäre der Schiedsrichter Aytekin aus dem Schneider. Wer die Regel so nicht akzeptieren kann, führt gerne den Faktor "Fingerspitzengefühl" ins Feld. Davon ist in der Fußballregel 12.3 sowie in den Zusätzlichen Erläuterungen allerdings keine Rede.

Vermutlich wird die beileibe nicht nur von Dortmundern benutzte Geste in nächster Zeit sensibler beobachtet. Das geht mit einer neuerlichen Debatte über Respekt auf dem Fußballplatz einher. "Abfällig" und "wegwerfend" sind nicht zufällig Lehnwörter aus dem Fachjargon der Müllentsorgung. Entsprechende Gesten gehören als Schadstoff verbannt.

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